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Allgemeine Zeitung. Nr. 170. Augsburg, 18. Juni 1840.

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der Vertretung etwa direct betheiligt worden wäre, bei dem Grade seiner jetzigen Bildung für das Wohl des Volks mehr gethan haben würde, als seine adeligen Vertreter gethan. Indessen läugne ich nicht, daß diese in gewissen Dingen in einer gründlichern Richtung und zweckmäßigern Reihenfolge, vielleicht auch mit zweckdienlichern Mitteln hätten zu Werke gehen können. Ohne Zweifel wird mit der Zeit auch das Volk überall einen unmittelbaren Antheil an der Vertretung gewinnen; dieß setzt aber bei uns noch mehrfältige Prämissen voraus, und die Rechte des Volks werden am sichersten nach Maaßgabe der Entwicklung nationaler Erziehung erweitert. Die Staatsmänner Englands haben dieß bei Anlaß der Emancipation der westindischen Sklaven, mit deren früherem Loos verglichen selbst der vormalige Zustand unserer Bauern ein paradiesischer war, vollkommen eingesehen.

Vergebens behauptet der Verfasser obenerwähnten Artikels, daß wir nichts besitzen, was andere Nationen erst zu erhalten suchen müßten; denn unser Municipalsystem allein, gegen jenes anderer europäischen Nationen gehalten, würde hinreichen, vom Gegentheil zu überzeugen - doch erfordert auch dieses Verbesserung. Wie kann er dann ausrufen, "das Land als Land wird nicht vertreten?" Vielleicht liegt gerade darin der Hauptfehler, daß beinahe ausschließend nur das Land, d. h. das unbewegliche Eigenthum vertreten wird.

Was die königlichen Freistädte betrifft, ist es noch sehr zweifelhaft, ob sie alle zusammengenommen an Volkszahl und real drei großen Gespannschaften gleichgestellt werden könnten. Obschon nun auch hiebei eine Reform noth thut, so ist man doch auch hier schon auf dem Wege, und die eifrigste Bereitwilligkeit ist dazu vorhanden: freilich in dem Sinn, daß auch hier das demokratische Element mit dem aristokratischen vermengt werde.

Die Superintendenten der Protestanten haben als solche keinen Sitz beim Landtag; sie besitzen aber auch kein namhafteres und bleibendes Grundeigenthum. Es fragt sich übrigens, ob selbst in dem Fall, wenn die protestantischen Superintendenten beim Landtag Sitz und Stimme gehabt, sie, bei den jetzigen Religionswirren Europa's, mehr erlangt haben würden, als sie bereits, besonders bei dem neuesten Landtag, erlangt haben.

Es ist wahr, daß die slavische und deutsche Bevölkerung das Vaterland ebenfalls zu jeder Zeit vertheidigt hat, doch dieß geschah ja überall, in allen Ländern Europa's, wo die Bevölkerung verschiedene Sprache spricht, und in Nordamerika geschieht es gleichfalls; dennoch ist auch dort die Staats- und Amtssprache nur Eine. Kein vernünftiger Mensch fordert, daß der deutsche oder slavische Bewohner Ungarns seine Sprache vergesse, sie im Verkehr mit seinen Sprachgenossen nicht spreche, nur das wünscht man, daß derselbe auch der ungarischen Sprache kundig sey, und dieß wünscht man zu ihrem eigenen Heil sowohl als im Interesse des Wohls und der Kräftigung des Volks und des Königs. Der Sprachzwang verdammt jeder gerechte und vernünftige Mensch, ja er hält ihn sogar gerade in Beziehung auf die Nationalisirung für schädlich, denn er erzeugt Reaction, und eine jede Reaction verzögert; doch ist ja dieser Zwang durchaus nicht allgemein im Lande, und kann nur als Ausnahme erwähnt werden. Die heftigern Aufwallungen der, in redlicher Absicht eifernden Jugend können eben so wenig für den gemeinsamen Nationalgeist gelten, wie die einstigen Gährungen der deutschen Burschenschaften. Das Eifern gegen die lateinische Sprache ist eine natürliche Folge davon, daß sie unsere vaterländische so lange Zeit hindurch unterdrückt, und von den öffentlichen Angelegenheiten ausgeschlossen hat. Dieser Abscheu gilt nicht der römischen, sondern der barbarisch-lateinischen Sprache, und es liegt darin die Anerkennung der großen Wahrheit, daß eine todte Sprache, weder in den amtlichen noch in den gesellschaftlichen Berührungen, als gemeinsame Nationalsprache erhalten werden könne, ohne zu degeneriren. Sie kann zwar dazu behülflich seyn, den Austausch der jetzigen Ideen und ihrer Formen zu fördern, doch vermag sie dieses Bedürfniß bei der nothwendig in eigenthümlich nationellem Geiste zu geschehenden Entwicklung nur äußerst unvollständig zu befriedigen.

Das also nur scheint wahr und dient zugleich zum Beweis des praktischen Blicks des Verfassers, was er von den Uebertreibungen und Uebergriffen der Eiferer verdammend spricht, das Uebrige verräth wenig Spuren einer sorgfältigeren Würdigung der gegenwärtigen Lage unseres Landes und Volkes. Jener Ausdruck aber "magyarische Sprache" statt der sonst üblichen "ungarischen Sprache" klingt eben so, als wenn ein ungarischer Schriftsteller in einem Artikel über Deutschland, statt zu sagen: die deutsche Sprache, wie dieß allgemein gilt, sich der Worte: die allemanische, teutonische, germanische Sprache, bedienen würde. - Jenes verächtliche Vornehmthun, mit welchem einige besonders inländische oder nachbarländische deutsche Schriftsteller uns und unsere Einrichtungen behandeln, gleichsam um sich für die zeitweisen französischen Verunglimpfungen deutscher Zustände schadlos zu halten, dürfte nunmehr eben so lächerlich als ungerecht erscheinen. Sie gleichen jenen, weiland kriechend ihre Köpfe erhebenden Höflingen, die Voltaire treffend mit den Worten schildert:

Ils rampent vers Versailles essuyer des mepris,
Pour revenir en poste les rendre a Paris.

Es wäre besser, unser unter so vielen von oben und von unten herrührenden Hindernissen beginnendes Vorwärtsschreiten Schritt vor Schritt mit Aufmerksamkeit zu begleiten und zu würdigen, dann würde es sich herausstellen, wie viel Spannkraft hier ist, und welche - sua si bona norint - den Keim einer glücklicheren Zukunft in sich tragenden, bis jetzt schlummernden Kräfte bei einer Nation zu gähren beginnen, welche bei allen ihren Mängeln und Uebertreibungen, und ungeachtet der äußern und innern Hindernisse, dennoch in so kurzer Zeit, in so vielfältiger Beziehung, und so augenscheinlich vorwärts geschritten, und deren größtes Unglück ist, daß der mächtigere Trieb der nationalen und der materiellen Entwicklung gleichzeitig und im nämlichen Augenblick bei ihr rege geworden. Gr. G. D.

der eigentlichen Quelle unparteiisch nachforschen wollte, aus welcher der seit beiläufig zehn Jahren in Ungarn so mächtig aufkeimende, die deutsche wie die slavische Nationalität bedrohende Magyarismus hervorsprießt, so würde man leider bald gewahr werden, daß nicht den Magyaren allein diese Magyarisationswuth zur Last fällt, sondern daß ein bedeutender Antheil an dieser traurigen Erscheinung den in Ungarn ansässigen Nichtmagyaren selbst zugeschrieben werden muß. Welcher redliche Mann, der noch einen Funken Gefühl für seine angeborne Nationalität in der Brust bewahrt, wird nicht mit Entrüstung erfüllt, wenn er täglich neue Beispiele sieht, die sogar durch öffentliche Blätter kund gemacht werden, wie sich ein Daubach in Daubatsy, ein Steiner in Kövöcses, ein Rosenthal in Rozsahelgyi, ein Goldburger in Aranyvary, ein Demetrievich in Dömötörsi etc. metamorphosiren läßt, um seinen ehrlichen deutschen oder slavischen Namen in asiatisch rasselnde, unsern europäischen Ohren unheimlich klingende Töne zu verrenken? Wahrlich, zu keiner Zeit, und am wenigsten in der gegenwärtigen, hat ein Deutscher oder ein Slave Ursache gehabt, sich seiner Abstammung unter den Völkern

der Vertretung etwa direct betheiligt worden wäre, bei dem Grade seiner jetzigen Bildung für das Wohl des Volks mehr gethan haben würde, als seine adeligen Vertreter gethan. Indessen läugne ich nicht, daß diese in gewissen Dingen in einer gründlichern Richtung und zweckmäßigern Reihenfolge, vielleicht auch mit zweckdienlichern Mitteln hätten zu Werke gehen können. Ohne Zweifel wird mit der Zeit auch das Volk überall einen unmittelbaren Antheil an der Vertretung gewinnen; dieß setzt aber bei uns noch mehrfältige Prämissen voraus, und die Rechte des Volks werden am sichersten nach Maaßgabe der Entwicklung nationaler Erziehung erweitert. Die Staatsmänner Englands haben dieß bei Anlaß der Emancipation der westindischen Sklaven, mit deren früherem Loos verglichen selbst der vormalige Zustand unserer Bauern ein paradiesischer war, vollkommen eingesehen.

Vergebens behauptet der Verfasser obenerwähnten Artikels, daß wir nichts besitzen, was andere Nationen erst zu erhalten suchen müßten; denn unser Municipalsystem allein, gegen jenes anderer europäischen Nationen gehalten, würde hinreichen, vom Gegentheil zu überzeugen – doch erfordert auch dieses Verbesserung. Wie kann er dann ausrufen, „das Land als Land wird nicht vertreten?“ Vielleicht liegt gerade darin der Hauptfehler, daß beinahe ausschließend nur das Land, d. h. das unbewegliche Eigenthum vertreten wird.

Was die königlichen Freistädte betrifft, ist es noch sehr zweifelhaft, ob sie alle zusammengenommen an Volkszahl und real drei großen Gespannschaften gleichgestellt werden könnten. Obschon nun auch hiebei eine Reform noth thut, so ist man doch auch hier schon auf dem Wege, und die eifrigste Bereitwilligkeit ist dazu vorhanden: freilich in dem Sinn, daß auch hier das demokratische Element mit dem aristokratischen vermengt werde.

Die Superintendenten der Protestanten haben als solche keinen Sitz beim Landtag; sie besitzen aber auch kein namhafteres und bleibendes Grundeigenthum. Es fragt sich übrigens, ob selbst in dem Fall, wenn die protestantischen Superintendenten beim Landtag Sitz und Stimme gehabt, sie, bei den jetzigen Religionswirren Europa's, mehr erlangt haben würden, als sie bereits, besonders bei dem neuesten Landtag, erlangt haben.

Es ist wahr, daß die slavische und deutsche Bevölkerung das Vaterland ebenfalls zu jeder Zeit vertheidigt hat, doch dieß geschah ja überall, in allen Ländern Europa's, wo die Bevölkerung verschiedene Sprache spricht, und in Nordamerika geschieht es gleichfalls; dennoch ist auch dort die Staats- und Amtssprache nur Eine. Kein vernünftiger Mensch fordert, daß der deutsche oder slavische Bewohner Ungarns seine Sprache vergesse, sie im Verkehr mit seinen Sprachgenossen nicht spreche, nur das wünscht man, daß derselbe auch der ungarischen Sprache kundig sey, und dieß wünscht man zu ihrem eigenen Heil sowohl als im Interesse des Wohls und der Kräftigung des Volks und des Königs. Der Sprachzwang verdammt jeder gerechte und vernünftige Mensch, ja er hält ihn sogar gerade in Beziehung auf die Nationalisirung für schädlich, denn er erzeugt Reaction, und eine jede Reaction verzögert; doch ist ja dieser Zwang durchaus nicht allgemein im Lande, und kann nur als Ausnahme erwähnt werden. Die heftigern Aufwallungen der, in redlicher Absicht eifernden Jugend können eben so wenig für den gemeinsamen Nationalgeist gelten, wie die einstigen Gährungen der deutschen Burschenschaften. Das Eifern gegen die lateinische Sprache ist eine natürliche Folge davon, daß sie unsere vaterländische so lange Zeit hindurch unterdrückt, und von den öffentlichen Angelegenheiten ausgeschlossen hat. Dieser Abscheu gilt nicht der römischen, sondern der barbarisch-lateinischen Sprache, und es liegt darin die Anerkennung der großen Wahrheit, daß eine todte Sprache, weder in den amtlichen noch in den gesellschaftlichen Berührungen, als gemeinsame Nationalsprache erhalten werden könne, ohne zu degeneriren. Sie kann zwar dazu behülflich seyn, den Austausch der jetzigen Ideen und ihrer Formen zu fördern, doch vermag sie dieses Bedürfniß bei der nothwendig in eigenthümlich nationellem Geiste zu geschehenden Entwicklung nur äußerst unvollständig zu befriedigen.

Das also nur scheint wahr und dient zugleich zum Beweis des praktischen Blicks des Verfassers, was er von den Uebertreibungen und Uebergriffen der Eiferer verdammend spricht, das Uebrige verräth wenig Spuren einer sorgfältigeren Würdigung der gegenwärtigen Lage unseres Landes und Volkes. Jener Ausdruck aber „magyarische Sprache“ statt der sonst üblichen „ungarischen Sprache“ klingt eben so, als wenn ein ungarischer Schriftsteller in einem Artikel über Deutschland, statt zu sagen: die deutsche Sprache, wie dieß allgemein gilt, sich der Worte: die allemanische, teutonische, germanische Sprache, bedienen würde. – Jenes verächtliche Vornehmthun, mit welchem einige besonders inländische oder nachbarländische deutsche Schriftsteller uns und unsere Einrichtungen behandeln, gleichsam um sich für die zeitweisen französischen Verunglimpfungen deutscher Zustände schadlos zu halten, dürfte nunmehr eben so lächerlich als ungerecht erscheinen. Sie gleichen jenen, weiland kriechend ihre Köpfe erhebenden Höflingen, die Voltaire treffend mit den Worten schildert:

Ils rampent vers Versailles essuyer des mépris,
Pour revenir en poste les rendre à Paris.

Es wäre besser, unser unter so vielen von oben und von unten herrührenden Hindernissen beginnendes Vorwärtsschreiten Schritt vor Schritt mit Aufmerksamkeit zu begleiten und zu würdigen, dann würde es sich herausstellen, wie viel Spannkraft hier ist, und welche – sua si bona norint – den Keim einer glücklicheren Zukunft in sich tragenden, bis jetzt schlummernden Kräfte bei einer Nation zu gähren beginnen, welche bei allen ihren Mängeln und Uebertreibungen, und ungeachtet der äußern und innern Hindernisse, dennoch in so kurzer Zeit, in so vielfältiger Beziehung, und so augenscheinlich vorwärts geschritten, und deren größtes Unglück ist, daß der mächtigere Trieb der nationalen und der materiellen Entwicklung gleichzeitig und im nämlichen Augenblick bei ihr rege geworden. Gr. G. D.

der eigentlichen Quelle unparteiisch nachforschen wollte, aus welcher der seit beiläufig zehn Jahren in Ungarn so mächtig aufkeimende, die deutsche wie die slavische Nationalität bedrohende Magyarismus hervorsprießt, so würde man leider bald gewahr werden, daß nicht den Magyaren allein diese Magyarisationswuth zur Last fällt, sondern daß ein bedeutender Antheil an dieser traurigen Erscheinung den in Ungarn ansässigen Nichtmagyaren selbst zugeschrieben werden muß. Welcher redliche Mann, der noch einen Funken Gefühl für seine angeborne Nationalität in der Brust bewahrt, wird nicht mit Entrüstung erfüllt, wenn er täglich neue Beispiele sieht, die sogar durch öffentliche Blätter kund gemacht werden, wie sich ein Daubach in Daubatsy, ein Steiner in Kövöcses, ein Rosenthal in Rozsahelgyi, ein Goldburger in Aranyvary, ein Demetrievich in Dömötörsi etc. metamorphosiren läßt, um seinen ehrlichen deutschen oder slavischen Namen in asiatisch rasselnde, unsern europäischen Ohren unheimlich klingende Töne zu verrenken? Wahrlich, zu keiner Zeit, und am wenigsten in der gegenwärtigen, hat ein Deutscher oder ein Slave Ursache gehabt, sich seiner Abstammung unter den Völkern

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[1355/0011] der Vertretung etwa direct betheiligt worden wäre, bei dem Grade seiner jetzigen Bildung für das Wohl des Volks mehr gethan haben würde, als seine adeligen Vertreter gethan. Indessen läugne ich nicht, daß diese in gewissen Dingen in einer gründlichern Richtung und zweckmäßigern Reihenfolge, vielleicht auch mit zweckdienlichern Mitteln hätten zu Werke gehen können. Ohne Zweifel wird mit der Zeit auch das Volk überall einen unmittelbaren Antheil an der Vertretung gewinnen; dieß setzt aber bei uns noch mehrfältige Prämissen voraus, und die Rechte des Volks werden am sichersten nach Maaßgabe der Entwicklung nationaler Erziehung erweitert. Die Staatsmänner Englands haben dieß bei Anlaß der Emancipation der westindischen Sklaven, mit deren früherem Loos verglichen selbst der vormalige Zustand unserer Bauern ein paradiesischer war, vollkommen eingesehen. Vergebens behauptet der Verfasser obenerwähnten Artikels, daß wir nichts besitzen, was andere Nationen erst zu erhalten suchen müßten; denn unser Municipalsystem allein, gegen jenes anderer europäischen Nationen gehalten, würde hinreichen, vom Gegentheil zu überzeugen – doch erfordert auch dieses Verbesserung. Wie kann er dann ausrufen, „das Land als Land wird nicht vertreten?“ Vielleicht liegt gerade darin der Hauptfehler, daß beinahe ausschließend nur das Land, d. h. das unbewegliche Eigenthum vertreten wird. Was die königlichen Freistädte betrifft, ist es noch sehr zweifelhaft, ob sie alle zusammengenommen an Volkszahl und real drei großen Gespannschaften gleichgestellt werden könnten. Obschon nun auch hiebei eine Reform noth thut, so ist man doch auch hier schon auf dem Wege, und die eifrigste Bereitwilligkeit ist dazu vorhanden: freilich in dem Sinn, daß auch hier das demokratische Element mit dem aristokratischen vermengt werde. Die Superintendenten der Protestanten haben als solche keinen Sitz beim Landtag; sie besitzen aber auch kein namhafteres und bleibendes Grundeigenthum. Es fragt sich übrigens, ob selbst in dem Fall, wenn die protestantischen Superintendenten beim Landtag Sitz und Stimme gehabt, sie, bei den jetzigen Religionswirren Europa's, mehr erlangt haben würden, als sie bereits, besonders bei dem neuesten Landtag, erlangt haben. Es ist wahr, daß die slavische und deutsche Bevölkerung das Vaterland ebenfalls zu jeder Zeit vertheidigt hat, doch dieß geschah ja überall, in allen Ländern Europa's, wo die Bevölkerung verschiedene Sprache spricht, und in Nordamerika geschieht es gleichfalls; dennoch ist auch dort die Staats- und Amtssprache nur Eine. Kein vernünftiger Mensch fordert, daß der deutsche oder slavische Bewohner Ungarns seine Sprache vergesse, sie im Verkehr mit seinen Sprachgenossen nicht spreche, nur das wünscht man, daß derselbe auch der ungarischen Sprache kundig sey, und dieß wünscht man zu ihrem eigenen Heil sowohl als im Interesse des Wohls und der Kräftigung des Volks und des Königs. Der Sprachzwang verdammt jeder gerechte und vernünftige Mensch, ja er hält ihn sogar gerade in Beziehung auf die Nationalisirung für schädlich, denn er erzeugt Reaction, und eine jede Reaction verzögert; doch ist ja dieser Zwang durchaus nicht allgemein im Lande, und kann nur als Ausnahme erwähnt werden. Die heftigern Aufwallungen der, in redlicher Absicht eifernden Jugend können eben so wenig für den gemeinsamen Nationalgeist gelten, wie die einstigen Gährungen der deutschen Burschenschaften. Das Eifern gegen die lateinische Sprache ist eine natürliche Folge davon, daß sie unsere vaterländische so lange Zeit hindurch unterdrückt, und von den öffentlichen Angelegenheiten ausgeschlossen hat. Dieser Abscheu gilt nicht der römischen, sondern der barbarisch-lateinischen Sprache, und es liegt darin die Anerkennung der großen Wahrheit, daß eine todte Sprache, weder in den amtlichen noch in den gesellschaftlichen Berührungen, als gemeinsame Nationalsprache erhalten werden könne, ohne zu degeneriren. Sie kann zwar dazu behülflich seyn, den Austausch der jetzigen Ideen und ihrer Formen zu fördern, doch vermag sie dieses Bedürfniß bei der nothwendig in eigenthümlich nationellem Geiste zu geschehenden Entwicklung nur äußerst unvollständig zu befriedigen. Das also nur scheint wahr und dient zugleich zum Beweis des praktischen Blicks des Verfassers, was er von den Uebertreibungen und Uebergriffen der Eiferer verdammend spricht, das Uebrige verräth wenig Spuren einer sorgfältigeren Würdigung der gegenwärtigen Lage unseres Landes und Volkes. Jener Ausdruck aber „magyarische Sprache“ statt der sonst üblichen „ungarischen Sprache“ klingt eben so, als wenn ein ungarischer Schriftsteller in einem Artikel über Deutschland, statt zu sagen: die deutsche Sprache, wie dieß allgemein gilt, sich der Worte: die allemanische, teutonische, germanische Sprache, bedienen würde. – Jenes verächtliche Vornehmthun, mit welchem einige besonders inländische oder nachbarländische deutsche Schriftsteller uns und unsere Einrichtungen behandeln, gleichsam um sich für die zeitweisen französischen Verunglimpfungen deutscher Zustände schadlos zu halten, dürfte nunmehr eben so lächerlich als ungerecht erscheinen. Sie gleichen jenen, weiland kriechend ihre Köpfe erhebenden Höflingen, die Voltaire treffend mit den Worten schildert: Ils rampent vers Versailles essuyer des mépris, Pour revenir en poste les rendre à Paris. Es wäre besser, unser unter so vielen von oben und von unten herrührenden Hindernissen beginnendes Vorwärtsschreiten Schritt vor Schritt mit Aufmerksamkeit zu begleiten und zu würdigen, dann würde es sich herausstellen, wie viel Spannkraft hier ist, und welche – sua si bona norint – den Keim einer glücklicheren Zukunft in sich tragenden, bis jetzt schlummernden Kräfte bei einer Nation zu gähren beginnen, welche bei allen ihren Mängeln und Uebertreibungen, und ungeachtet der äußern und innern Hindernisse, dennoch in so kurzer Zeit, in so vielfältiger Beziehung, und so augenscheinlich vorwärts geschritten, und deren größtes Unglück ist, daß der mächtigere Trieb der nationalen und der materiellen Entwicklung gleichzeitig und im nämlichen Augenblick bei ihr rege geworden. Gr. G. D. _ Aus Croatien. Wenn man der eigentlichen Quelle unparteiisch nachforschen wollte, aus welcher der seit beiläufig zehn Jahren in Ungarn so mächtig aufkeimende, die deutsche wie die slavische Nationalität bedrohende Magyarismus hervorsprießt, so würde man leider bald gewahr werden, daß nicht den Magyaren allein diese Magyarisationswuth zur Last fällt, sondern daß ein bedeutender Antheil an dieser traurigen Erscheinung den in Ungarn ansässigen Nichtmagyaren selbst zugeschrieben werden muß. Welcher redliche Mann, der noch einen Funken Gefühl für seine angeborne Nationalität in der Brust bewahrt, wird nicht mit Entrüstung erfüllt, wenn er täglich neue Beispiele sieht, die sogar durch öffentliche Blätter kund gemacht werden, wie sich ein Daubach in Daubatsy, ein Steiner in Kövöcses, ein Rosenthal in Rozsahelgyi, ein Goldburger in Aranyvary, ein Demetrievich in Dömötörsi etc. metamorphosiren läßt, um seinen ehrlichen deutschen oder slavischen Namen in asiatisch rasselnde, unsern europäischen Ohren unheimlich klingende Töne zu verrenken? Wahrlich, zu keiner Zeit, und am wenigsten in der gegenwärtigen, hat ein Deutscher oder ein Slave Ursache gehabt, sich seiner Abstammung unter den Völkern

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 170. Augsburg, 18. Juni 1840, S. 1355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_170_18400618/11>, abgerufen am 27.04.2024.