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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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Gaunerthum überhaupt an der Gaunersprache erkennen, sodaß die
von Moscherosch mit vollem Rechte "Feldsprach" genannte Gauner-
sprache allmählich ganz aufhörte, specifische Soldatensprache zu sein,
und das heutige Soldatenthum von der Gaunersprache überhaupt
nicht mehr und nicht weniger kennt, als die Volksgruppen kennen,
aus welchen das Soldatenthum ergänzt wird.

Aber dennoch hat unser modernes veredeltes Soldatenthum
seine besondere Sprache; es ist die Sprache des Geistes, welcher
das heutige Soldatenthum beseelt, die unvertilgbare, in immer
frische Blüten und Früchte ausschlagende Sprache des Volksgeistes
mit jenem unverwüstlichen Volkshumor und Witz, der die ge-
zwungenen Formen der soldatischen Zucht um so unerlaßlicher be-
spöttelt und geiselt, je mehr er diese Formen eckig und unnatür-
lich findet. Die soldatische Gliederung, namentlich die scharfe
Grenze zwischen Offizier und Soldat, den gleichen Söhnen des
einen Volkes vom Gelehrten bis zum Handarbeiter hinab,
bringt in ihrem scharfen Ausdrucke vielfach eine Sonderung, wo
sie als eine Verbindung eingesetzt und gemeint war. Gegen diese
Scheidungsgrenze richtet sich mit besonderer Vorliebe der volks-
witzige Soldatenhumor und hält oft auf dem jenseitigen Gebiete
eine sehr ergötzliche Musterung. Jn diesem Humor bespöttelt der
Soldat selbst die subjective Unbehaglichkeit seiner eigenthümlichen
Lage mit objectiver Behaglichkeit und geiselt in dieser Weise auch
die oft stark sichtbar werdenden Blößen seiner Vorgesetzten, von
denen zuverlässig ein jeder seinen Spitznamen bekommt, ohne daß
er wol kaum eine Ahnung davon hat. Einen ungemein hellen,
frischen Blick in diese Situation des Soldaten hat der geistreiche
und liebenswürdige Hackländer geöffnet mit seinem "Soldatenleben
im Frieden" und seinen "Wachtstubenabenteuern", in welchen alle
vorgeführten Figuren mit ebenso viel Wahrheit als köstlichem
Humor gezeichnet sind. Jn solcher Situation hat sich denn eine
eigenthümliche Soldatensprache gebildet, welche, wenn sie auch
nur wie die Studentensprache auf einzelne mit kecker Linguistik
construirte Kunstvocabeln sich beschränkt, doch auch voll Frische,
Laune, Spott und Satire ist, was aber den socialen Anstand in

Gaunerthum überhaupt an der Gaunerſprache erkennen, ſodaß die
von Moſcheroſch mit vollem Rechte „Feldſprach“ genannte Gauner-
ſprache allmählich ganz aufhörte, ſpecifiſche Soldatenſprache zu ſein,
und das heutige Soldatenthum von der Gaunerſprache überhaupt
nicht mehr und nicht weniger kennt, als die Volksgruppen kennen,
aus welchen das Soldatenthum ergänzt wird.

Aber dennoch hat unſer modernes veredeltes Soldatenthum
ſeine beſondere Sprache; es iſt die Sprache des Geiſtes, welcher
das heutige Soldatenthum beſeelt, die unvertilgbare, in immer
friſche Blüten und Früchte ausſchlagende Sprache des Volksgeiſtes
mit jenem unverwüſtlichen Volkshumor und Witz, der die ge-
zwungenen Formen der ſoldatiſchen Zucht um ſo unerlaßlicher be-
ſpöttelt und geiſelt, je mehr er dieſe Formen eckig und unnatür-
lich findet. Die ſoldatiſche Gliederung, namentlich die ſcharfe
Grenze zwiſchen Offizier und Soldat, den gleichen Söhnen des
einen Volkes vom Gelehrten bis zum Handarbeiter hinab,
bringt in ihrem ſcharfen Ausdrucke vielfach eine Sonderung, wo
ſie als eine Verbindung eingeſetzt und gemeint war. Gegen dieſe
Scheidungsgrenze richtet ſich mit beſonderer Vorliebe der volks-
witzige Soldatenhumor und hält oft auf dem jenſeitigen Gebiete
eine ſehr ergötzliche Muſterung. Jn dieſem Humor beſpöttelt der
Soldat ſelbſt die ſubjective Unbehaglichkeit ſeiner eigenthümlichen
Lage mit objectiver Behaglichkeit und geiſelt in dieſer Weiſe auch
die oft ſtark ſichtbar werdenden Blößen ſeiner Vorgeſetzten, von
denen zuverläſſig ein jeder ſeinen Spitznamen bekommt, ohne daß
er wol kaum eine Ahnung davon hat. Einen ungemein hellen,
friſchen Blick in dieſe Situation des Soldaten hat der geiſtreiche
und liebenswürdige Hackländer geöffnet mit ſeinem „Soldatenleben
im Frieden“ und ſeinen „Wachtſtubenabenteuern“, in welchen alle
vorgeführten Figuren mit ebenſo viel Wahrheit als köſtlichem
Humor gezeichnet ſind. Jn ſolcher Situation hat ſich denn eine
eigenthümliche Soldatenſprache gebildet, welche, wenn ſie auch
nur wie die Studentenſprache auf einzelne mit kecker Linguiſtik
conſtruirte Kunſtvocabeln ſich beſchränkt, doch auch voll Friſche,
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[125/0159] Gaunerthum überhaupt an der Gaunerſprache erkennen, ſodaß die von Moſcheroſch mit vollem Rechte „Feldſprach“ genannte Gauner- ſprache allmählich ganz aufhörte, ſpecifiſche Soldatenſprache zu ſein, und das heutige Soldatenthum von der Gaunerſprache überhaupt nicht mehr und nicht weniger kennt, als die Volksgruppen kennen, aus welchen das Soldatenthum ergänzt wird. Aber dennoch hat unſer modernes veredeltes Soldatenthum ſeine beſondere Sprache; es iſt die Sprache des Geiſtes, welcher das heutige Soldatenthum beſeelt, die unvertilgbare, in immer friſche Blüten und Früchte ausſchlagende Sprache des Volksgeiſtes mit jenem unverwüſtlichen Volkshumor und Witz, der die ge- zwungenen Formen der ſoldatiſchen Zucht um ſo unerlaßlicher be- ſpöttelt und geiſelt, je mehr er dieſe Formen eckig und unnatür- lich findet. Die ſoldatiſche Gliederung, namentlich die ſcharfe Grenze zwiſchen Offizier und Soldat, den gleichen Söhnen des einen Volkes vom Gelehrten bis zum Handarbeiter hinab, bringt in ihrem ſcharfen Ausdrucke vielfach eine Sonderung, wo ſie als eine Verbindung eingeſetzt und gemeint war. Gegen dieſe Scheidungsgrenze richtet ſich mit beſonderer Vorliebe der volks- witzige Soldatenhumor und hält oft auf dem jenſeitigen Gebiete eine ſehr ergötzliche Muſterung. Jn dieſem Humor beſpöttelt der Soldat ſelbſt die ſubjective Unbehaglichkeit ſeiner eigenthümlichen Lage mit objectiver Behaglichkeit und geiſelt in dieſer Weiſe auch die oft ſtark ſichtbar werdenden Blößen ſeiner Vorgeſetzten, von denen zuverläſſig ein jeder ſeinen Spitznamen bekommt, ohne daß er wol kaum eine Ahnung davon hat. Einen ungemein hellen, friſchen Blick in dieſe Situation des Soldaten hat der geiſtreiche und liebenswürdige Hackländer geöffnet mit ſeinem „Soldatenleben im Frieden“ und ſeinen „Wachtſtubenabenteuern“, in welchen alle vorgeführten Figuren mit ebenſo viel Wahrheit als köſtlichem Humor gezeichnet ſind. Jn ſolcher Situation hat ſich denn eine eigenthümliche Soldatenſprache gebildet, welche, wenn ſie auch nur wie die Studentenſprache auf einzelne mit kecker Linguiſtik conſtruirte Kunſtvocabeln ſich beſchränkt, doch auch voll Friſche, Laune, Spott und Satire iſt, was aber den ſocialen Anſtand in

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/159>, abgerufen am 28.04.2024.