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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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Achtunddreißigstes Kapitel.
[fremdsprachliches Material]) Die Schindersprache.

Ein treffendes Kriterium für die unheimliche Gewalt, welche
das Schinderwesen seit dem Mittelalter sich im socialpolitischen
Leben erworben hatte, ist der Umstand, daß, obschon das Schin-
derwesen von jeher vollkommen identisch mit dem Gaunerthum
war und viele Jahrhunderte hindurch bis in das gegenwärtige
die größten und frechsten Gaunerkoryphäen geliefert hat, dennoch
die Tammer, wenngleich im vollkommensten Verständniß und
Gebrauch der Gaunersprache, eine Menge laufender Gauneraus-
drücke zu einer eigenen Terminologie umgewandelt haben, indem
sie, um selbst auch noch vor den Gaunern ein besonderes geheimes
Verständniß unter sich voraus zu haben, specifischen Gauner-
ausdrücken die allgemeine Bedeutung nahmen und ihnen eine eigene
Bedeutung beilegten, mithin eine eigene Gaunersprache in der
Gaunersprache bildeten. So heißt z. B. Maschur oder Mescho-
res
in der Gaunersprache der Diener, Dienstgehülfe, in der Tam-
mersprache ausschließlich der Schinder, der in Arbeit steht, im
Gegensatz zu dem feiernden; kaspern (vgl. Th. II, S. 85 und 287)
heißt schlagen, auch mit Sympathie curiren; fetzen wie fabern ist
speciell auf abschinden beschränkt; Fetzer der abdeckende Schinder;
Vetter, Kavaller, Kaviller ist der Schinder überhaupt;
Freimann der Schinder, welcher sein eigener Herr ist; Knu-
spert
der Schinderknecht überhaupt; von der Fahrt sein, von
unsere Leut' sein,
zum Schinderhandwerk gehören, im Gegen-
satz von Pincke, Pink oder Wittisch, jeder, welcher nicht Schin-
der ist; Wittstock jeder, welcher die Tammersprache nicht kennt;
Stümper, Stümpsch sein, die Schinderei verächtlich ansehen,
im Gegensatz von Temmersch sein, Schinder oder Freund der
Tammer sein u. s. w.

Dieser der Gaunersprache von der Schindersprache angethane
Zwang steht in der Geschichte der Gaunersprache neben der Sprache

Achtunddreißigſtes Kapitel.
[fremdsprachliches Material]) Die Schinderſprache.

Ein treffendes Kriterium für die unheimliche Gewalt, welche
das Schinderweſen ſeit dem Mittelalter ſich im ſocialpolitiſchen
Leben erworben hatte, iſt der Umſtand, daß, obſchon das Schin-
derweſen von jeher vollkommen identiſch mit dem Gaunerthum
war und viele Jahrhunderte hindurch bis in das gegenwärtige
die größten und frechſten Gaunerkoryphäen geliefert hat, dennoch
die Tammer, wenngleich im vollkommenſten Verſtändniß und
Gebrauch der Gaunerſprache, eine Menge laufender Gauneraus-
drücke zu einer eigenen Terminologie umgewandelt haben, indem
ſie, um ſelbſt auch noch vor den Gaunern ein beſonderes geheimes
Verſtändniß unter ſich voraus zu haben, ſpecifiſchen Gauner-
ausdrücken die allgemeine Bedeutung nahmen und ihnen eine eigene
Bedeutung beilegten, mithin eine eigene Gaunerſprache in der
Gaunerſprache bildeten. So heißt z. B. Maſchur oder Meſcho-
res
in der Gaunerſprache der Diener, Dienſtgehülfe, in der Tam-
merſprache ausſchließlich der Schinder, der in Arbeit ſteht, im
Gegenſatz zu dem feiernden; kaſpern (vgl. Th. II, S. 85 und 287)
heißt ſchlagen, auch mit Sympathie curiren; fetzen wie fabern iſt
ſpeciell auf abſchinden beſchränkt; Fetzer der abdeckende Schinder;
Vetter, Kavaller, Kaviller iſt der Schinder überhaupt;
Freimann der Schinder, welcher ſein eigener Herr iſt; Knu-
ſpert
der Schinderknecht überhaupt; von der Fahrt ſein, von
unſere Leut’ ſein,
zum Schinderhandwerk gehören, im Gegen-
ſatz von Pincke, Pink oder Wittiſch, jeder, welcher nicht Schin-
der iſt; Wittſtock jeder, welcher die Tammerſprache nicht kennt;
Stümper, Stümpſch ſein, die Schinderei verächtlich anſehen,
im Gegenſatz von Temmerſch ſein, Schinder oder Freund der
Tammer ſein u. ſ. w.

Dieſer der Gaunerſprache von der Schinderſprache angethane
Zwang ſteht in der Geſchichte der Gaunerſprache neben der Sprache

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[149/0183] Achtunddreißigſtes Kapitel. _ ) Die Schinderſprache. Ein treffendes Kriterium für die unheimliche Gewalt, welche das Schinderweſen ſeit dem Mittelalter ſich im ſocialpolitiſchen Leben erworben hatte, iſt der Umſtand, daß, obſchon das Schin- derweſen von jeher vollkommen identiſch mit dem Gaunerthum war und viele Jahrhunderte hindurch bis in das gegenwärtige die größten und frechſten Gaunerkoryphäen geliefert hat, dennoch die Tammer, wenngleich im vollkommenſten Verſtändniß und Gebrauch der Gaunerſprache, eine Menge laufender Gauneraus- drücke zu einer eigenen Terminologie umgewandelt haben, indem ſie, um ſelbſt auch noch vor den Gaunern ein beſonderes geheimes Verſtändniß unter ſich voraus zu haben, ſpecifiſchen Gauner- ausdrücken die allgemeine Bedeutung nahmen und ihnen eine eigene Bedeutung beilegten, mithin eine eigene Gaunerſprache in der Gaunerſprache bildeten. So heißt z. B. Maſchur oder Meſcho- res in der Gaunerſprache der Diener, Dienſtgehülfe, in der Tam- merſprache ausſchließlich der Schinder, der in Arbeit ſteht, im Gegenſatz zu dem feiernden; kaſpern (vgl. Th. II, S. 85 und 287) heißt ſchlagen, auch mit Sympathie curiren; fetzen wie fabern iſt ſpeciell auf abſchinden beſchränkt; Fetzer der abdeckende Schinder; Vetter, Kavaller, Kaviller iſt der Schinder überhaupt; Freimann der Schinder, welcher ſein eigener Herr iſt; Knu- ſpert der Schinderknecht überhaupt; von der Fahrt ſein, von unſere Leut’ ſein, zum Schinderhandwerk gehören, im Gegen- ſatz von Pincke, Pink oder Wittiſch, jeder, welcher nicht Schin- der iſt; Wittſtock jeder, welcher die Tammerſprache nicht kennt; Stümper, Stümpſch ſein, die Schinderei verächtlich anſehen, im Gegenſatz von Temmerſch ſein, Schinder oder Freund der Tammer ſein u. ſ. w. Dieſer der Gaunerſprache von der Schinderſprache angethane Zwang ſteht in der Geſchichte der Gaunerſprache neben der Sprache

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/183>, abgerufen am 29.04.2024.