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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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rathen mit Louis, Louisheirathen geschlossen, ohne daß da-
bei die Polizei etwas anderes thun kann, als das so schmählich
vereinigte Ehepaar scharf zu überwachen. Ebenso ist der in dem
Buche "Die Prostitution in Berlin und ihre Opfer" (Berlin 1846),
S. 171 erwähnte, von der frivolen berliner Prostitution geschaffene
Ausdruck Porzellanfuhre1), wenn auch in Berlin aufgekom-
men, doch in ganz Deutschland bekannt, wo es verschlossene und
mit Gardinen verhängte Droschken oder Fiaker gibt.

Wie das Schinderwesen, so zeigt auch die Prostitution eine
gleich große Gewalt über das Gaunerthum darin, daß auch sie im
Stande war, entschieden gaunersprach-originalen Ausdrücken ihre
ursprüngliche Bedeutung zu nehmen und andere Bedeutungen zu
verleihen. So heißt z. B. Freier in der Gaunersprache jeder,
welcher bestohlen werden soll; die Prostitution bezeichnet damit
aber den Kunden, der sie aufsucht, und toffer Freier ist der
Kunde, wenn er gut bezahlt. Koberer, Gaunerspr. Wirth, Heh-
ler, ist in der Sprache der Prostitution der Zuhälter ("Bräuti-
gam", "Freund") der Dirne, welcher ihr Geschäft (Uebersetzung
des Massematten), das Schandgewerbe (auch den einzelnen Coitus
selbst), leitet und überwacht, die Dirne beschützt, begleitet und auf-

natsgehalt oder Jahresalimente auszahlt. Eine solche Partie heißt eine Louis-
heirath, Louishochzeit. Vgl. noch die interessante kleine Broschüre von Th. Bade,
"Ueber Gelegenheitsmacherei und öffentliches Tanzvergnügen" (Berlin 1858),
S. 65 fg.
1) Die Porzellanfuhre ist die Fahrt zweier liederlicher Personen in ver-
schlossenem, mit Gardinen verhängtem Wagen, wobei der (häufig besonders mit
seinem Wagen dazu eingerichtete) Kutscher (Porzellankutscher, Porzellanfuhr-
mann) so langsam fahren muß, als ob er zerbrechliches Porzellan führe. Deut-
sche Kunsthändler schämen sich nicht, neben andern liederlichen französischen Bil-
dern auch colorirte pariser Bogen zu verkaufen, auf denen eine an dem untern
Fensterrande der mit Gardinen dicht verhüllten Kutsche sich haltende Weiber-
hand eine nichtswürdige Andeutung gibt. Und wie wimmeln die Umgebungen
großer Städte, auch in Deutschland, von langsam fahrenden Fuhrwerken! --
Eine neuere entsprechende Bezeichnung für Porzellanfuhre ist: erste Klasse fah-
ren, erste Fahrt machen,
d. i. auf der Eisenbahn in einem Coupe erster
Klasse fahren, deren höherer Preis einem liederlichen Paare die erstrebte Ein-
samkeit im Coupe sichert.

rathen mit Louis, Louisheirathen geſchloſſen, ohne daß da-
bei die Polizei etwas anderes thun kann, als das ſo ſchmählich
vereinigte Ehepaar ſcharf zu überwachen. Ebenſo iſt der in dem
Buche „Die Proſtitution in Berlin und ihre Opfer“ (Berlin 1846),
S. 171 erwähnte, von der frivolen berliner Proſtitution geſchaffene
Ausdruck Porzellanfuhre1), wenn auch in Berlin aufgekom-
men, doch in ganz Deutſchland bekannt, wo es verſchloſſene und
mit Gardinen verhängte Droſchken oder Fiaker gibt.

Wie das Schinderweſen, ſo zeigt auch die Proſtitution eine
gleich große Gewalt über das Gaunerthum darin, daß auch ſie im
Stande war, entſchieden gaunerſprach-originalen Ausdrücken ihre
urſprüngliche Bedeutung zu nehmen und andere Bedeutungen zu
verleihen. So heißt z. B. Freier in der Gaunerſprache jeder,
welcher beſtohlen werden ſoll; die Proſtitution bezeichnet damit
aber den Kunden, der ſie aufſucht, und toffer Freier iſt der
Kunde, wenn er gut bezahlt. Koberer, Gaunerſpr. Wirth, Heh-
ler, iſt in der Sprache der Proſtitution der Zuhälter („Bräuti-
gam“, „Freund“) der Dirne, welcher ihr Geſchäft (Ueberſetzung
des Maſſematten), das Schandgewerbe (auch den einzelnen Coitus
ſelbſt), leitet und überwacht, die Dirne beſchützt, begleitet und auf-

natsgehalt oder Jahresalimente auszahlt. Eine ſolche Partie heißt eine Louis-
heirath, Louishochzeit. Vgl. noch die intereſſante kleine Broſchüre von Th. Bade,
„Ueber Gelegenheitsmacherei und öffentliches Tanzvergnügen“ (Berlin 1858),
S. 65 fg.
1) Die Porzellanfuhre iſt die Fahrt zweier liederlicher Perſonen in ver-
ſchloſſenem, mit Gardinen verhängtem Wagen, wobei der (häufig beſonders mit
ſeinem Wagen dazu eingerichtete) Kutſcher (Porzellankutſcher, Porzellanfuhr-
mann) ſo langſam fahren muß, als ob er zerbrechliches Porzellan führe. Deut-
ſche Kunſthändler ſchämen ſich nicht, neben andern liederlichen franzöſiſchen Bil-
dern auch colorirte pariſer Bogen zu verkaufen, auf denen eine an dem untern
Fenſterrande der mit Gardinen dicht verhüllten Kutſche ſich haltende Weiber-
hand eine nichtswürdige Andeutung gibt. Und wie wimmeln die Umgebungen
großer Städte, auch in Deutſchland, von langſam fahrenden Fuhrwerken! —
Eine neuere entſprechende Bezeichnung für Porzellanfuhre iſt: erſte Klaſſe fah-
ren, erſte Fahrt machen,
d. i. auf der Eiſenbahn in einem Coupé erſter
Klaſſe fahren, deren höherer Preis einem liederlichen Paare die erſtrebte Ein-
ſamkeit im Coupé ſichert.
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[169/0203] rathen mit Louis, Louisheirathen geſchloſſen, ohne daß da- bei die Polizei etwas anderes thun kann, als das ſo ſchmählich vereinigte Ehepaar ſcharf zu überwachen. Ebenſo iſt der in dem Buche „Die Proſtitution in Berlin und ihre Opfer“ (Berlin 1846), S. 171 erwähnte, von der frivolen berliner Proſtitution geſchaffene Ausdruck Porzellanfuhre 1), wenn auch in Berlin aufgekom- men, doch in ganz Deutſchland bekannt, wo es verſchloſſene und mit Gardinen verhängte Droſchken oder Fiaker gibt. Wie das Schinderweſen, ſo zeigt auch die Proſtitution eine gleich große Gewalt über das Gaunerthum darin, daß auch ſie im Stande war, entſchieden gaunerſprach-originalen Ausdrücken ihre urſprüngliche Bedeutung zu nehmen und andere Bedeutungen zu verleihen. So heißt z. B. Freier in der Gaunerſprache jeder, welcher beſtohlen werden ſoll; die Proſtitution bezeichnet damit aber den Kunden, der ſie aufſucht, und toffer Freier iſt der Kunde, wenn er gut bezahlt. Koberer, Gaunerſpr. Wirth, Heh- ler, iſt in der Sprache der Proſtitution der Zuhälter („Bräuti- gam“, „Freund“) der Dirne, welcher ihr Geſchäft (Ueberſetzung des Maſſematten), das Schandgewerbe (auch den einzelnen Coitus ſelbſt), leitet und überwacht, die Dirne beſchützt, begleitet und auf- 1) 1) Die Porzellanfuhre iſt die Fahrt zweier liederlicher Perſonen in ver- ſchloſſenem, mit Gardinen verhängtem Wagen, wobei der (häufig beſonders mit ſeinem Wagen dazu eingerichtete) Kutſcher (Porzellankutſcher, Porzellanfuhr- mann) ſo langſam fahren muß, als ob er zerbrechliches Porzellan führe. Deut- ſche Kunſthändler ſchämen ſich nicht, neben andern liederlichen franzöſiſchen Bil- dern auch colorirte pariſer Bogen zu verkaufen, auf denen eine an dem untern Fenſterrande der mit Gardinen dicht verhüllten Kutſche ſich haltende Weiber- hand eine nichtswürdige Andeutung gibt. Und wie wimmeln die Umgebungen großer Städte, auch in Deutſchland, von langſam fahrenden Fuhrwerken! — Eine neuere entſprechende Bezeichnung für Porzellanfuhre iſt: erſte Klaſſe fah- ren, erſte Fahrt machen, d. i. auf der Eiſenbahn in einem Coupé erſter Klaſſe fahren, deren höherer Preis einem liederlichen Paare die erſtrebte Ein- ſamkeit im Coupé ſichert. 1) natsgehalt oder Jahresalimente auszahlt. Eine ſolche Partie heißt eine Louis- heirath, Louishochzeit. Vgl. noch die intereſſante kleine Broſchüre von Th. Bade, „Ueber Gelegenheitsmacherei und öffentliches Tanzvergnügen“ (Berlin 1858), S. 65 fg.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/203>, abgerufen am 30.04.2024.