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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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Theil mit schamlosen Holzschnitten illustrirt, in großer Fülle bei
Tabourot findet. Der deutsche Sinn und der Geist der deutschen
Sprache widerstand eine Zeit lang diesem schlecht candirten Zoten-
wesen, bis man gegen Ende des 16. Jahrhunderts die französische
Sprache in Deutschland zu begünstigen anfing und damit auch
alle Leichtfertigkeit und die equivoques kennen lernte und reci-
pirte. Dazu verirrte sich der deutsche Fleiß der isolirten Gelehrten
tief in die zaubermystischen Studien, die nicht einmal den Namen
der kabbalistischen Forschung verdienen. Die Kenntniß der hebräi-
schen Sprache war mit wenig Ausnahmen so dürftig, wie der
Haß gegen das Judenthum zu groß war, als daß sich das Ge-
lehrtenthum mit gründlichen Studien der schwierigen, specifisch
jüdischen Kabbala hätte befassen sollen. Die Zaubermystiker stie-
ßen nur gelegentlich auf rohe Aphorismen der Kabbala, welche
sie nicht begriffen, an deren geheime Wirkung sie aber glaubten
und welche sie zu den größten Sprachtollheiten versetzten und ver-
größerten. Die Sprache der Zauberbücher des 16. und 17. Jahr-
hunderts ist nur in dieser Weise möglich geworden, obschon sie in
keiner systematischen Weise zu erklären, sondern immer nur als
kahle Masse versessener, wüster und idioter Willkür der specifischen
Subjectivität aufzufassen ist. Die Zeit der Zauberbücher war schon
das goldene Zeitalter des Galimatias 1), obschon dieser brandmar-

1) Adelung, II, 392, hat: "Das Galimatias (spr. Galimatia) plur. ut
nom. sing.
aus dem französischen galimatias, in den schönen Wissenschaften
eine ungeschickte Verbindung widereinander laufender Begriffe und Bilder, welche
keinen vernünftigen Verstand gewähren, Unsinn; bei den Engländern Nonsense."
Noch kürzer fertigt Heinsius, II, 268, das Wort ab: "Galimathias, Wortge-
wirre. Unsinn." Schwenck hat S. 204: "Das, der Galimatias, Unsinn, unsin-
niges Geschwätz, frz. galimatias (engl. galimaufrey, gallimafry, Mischmasch,
gallimatia, galimatias)." Das Wort Galimatias scheint wirklich erst zu Ende
des 17. Jahrhunderts gebildet zu sein, da von Stieker, "Sprachschatz", das
Wort gar nicht kennt. Es fehlt überall die Etymologie. Shakspeare gebraucht
gallimaufrey für woman. Jn der englischen Volkssprache ist gallimaufrey für
hodge-podge Gemenge von zusammengekochten Jngredienzen (remnants and
scraps of the larder
), und ganz in das Französische übergegangen, wo gali-
matree
ein Gericht von übriggebliebenen Stückchen Fleisch, Fricassee, bedeutet.
Eine Beziehung des Gali auf walisc, welsch, scheint kaum angenommen wer-

Theil mit ſchamloſen Holzſchnitten illuſtrirt, in großer Fülle bei
Tabourot findet. Der deutſche Sinn und der Geiſt der deutſchen
Sprache widerſtand eine Zeit lang dieſem ſchlecht candirten Zoten-
weſen, bis man gegen Ende des 16. Jahrhunderts die franzöſiſche
Sprache in Deutſchland zu begünſtigen anfing und damit auch
alle Leichtfertigkeit und die équivoques kennen lernte und reci-
pirte. Dazu verirrte ſich der deutſche Fleiß der iſolirten Gelehrten
tief in die zaubermyſtiſchen Studien, die nicht einmal den Namen
der kabbaliſtiſchen Forſchung verdienen. Die Kenntniß der hebräi-
ſchen Sprache war mit wenig Ausnahmen ſo dürftig, wie der
Haß gegen das Judenthum zu groß war, als daß ſich das Ge-
lehrtenthum mit gründlichen Studien der ſchwierigen, ſpecifiſch
jüdiſchen Kabbala hätte befaſſen ſollen. Die Zaubermyſtiker ſtie-
ßen nur gelegentlich auf rohe Aphorismen der Kabbala, welche
ſie nicht begriffen, an deren geheime Wirkung ſie aber glaubten
und welche ſie zu den größten Sprachtollheiten verſetzten und ver-
größerten. Die Sprache der Zauberbücher des 16. und 17. Jahr-
hunderts iſt nur in dieſer Weiſe möglich geworden, obſchon ſie in
keiner ſyſtematiſchen Weiſe zu erklären, ſondern immer nur als
kahle Maſſe verſeſſener, wüſter und idioter Willkür der ſpecifiſchen
Subjectivität aufzufaſſen iſt. Die Zeit der Zauberbücher war ſchon
das goldene Zeitalter des Galimatias 1), obſchon dieſer brandmar-

1) Adelung, II, 392, hat: „Das Galimatias (ſpr. Galimatià) plur. ut
nom. sing.
aus dem franzöſiſchen galimatias, in den ſchönen Wiſſenſchaften
eine ungeſchickte Verbindung widereinander laufender Begriffe und Bilder, welche
keinen vernünftigen Verſtand gewähren, Unſinn; bei den Engländern Nonsense.
Noch kürzer fertigt Heinſius, II, 268, das Wort ab: „Galimathias, Wortge-
wirre. Unſinn.“ Schwenck hat S. 204: „Das, der Galimatias, Unſinn, unſin-
niges Geſchwätz, frz. galimatias (engl. galimaufrey, gallimafry, Miſchmaſch,
gallimatia, galimatias).“ Das Wort Galimatias ſcheint wirklich erſt zu Ende
des 17. Jahrhunderts gebildet zu ſein, da von Stieker, „Sprachſchatz“, das
Wort gar nicht kennt. Es fehlt überall die Etymologie. Shakſpeare gebraucht
gallimaufrey für woman. Jn der engliſchen Volksſprache iſt gallimaufrey für
hodge-podge Gemenge von zuſammengekochten Jngredienzen (remnants and
scraps of the larder
), und ganz in das Franzöſiſche übergegangen, wo gali-
matrée
ein Gericht von übriggebliebenen Stückchen Fleiſch, Fricaſſée, bedeutet.
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[178/0212] Theil mit ſchamloſen Holzſchnitten illuſtrirt, in großer Fülle bei Tabourot findet. Der deutſche Sinn und der Geiſt der deutſchen Sprache widerſtand eine Zeit lang dieſem ſchlecht candirten Zoten- weſen, bis man gegen Ende des 16. Jahrhunderts die franzöſiſche Sprache in Deutſchland zu begünſtigen anfing und damit auch alle Leichtfertigkeit und die équivoques kennen lernte und reci- pirte. Dazu verirrte ſich der deutſche Fleiß der iſolirten Gelehrten tief in die zaubermyſtiſchen Studien, die nicht einmal den Namen der kabbaliſtiſchen Forſchung verdienen. Die Kenntniß der hebräi- ſchen Sprache war mit wenig Ausnahmen ſo dürftig, wie der Haß gegen das Judenthum zu groß war, als daß ſich das Ge- lehrtenthum mit gründlichen Studien der ſchwierigen, ſpecifiſch jüdiſchen Kabbala hätte befaſſen ſollen. Die Zaubermyſtiker ſtie- ßen nur gelegentlich auf rohe Aphorismen der Kabbala, welche ſie nicht begriffen, an deren geheime Wirkung ſie aber glaubten und welche ſie zu den größten Sprachtollheiten verſetzten und ver- größerten. Die Sprache der Zauberbücher des 16. und 17. Jahr- hunderts iſt nur in dieſer Weiſe möglich geworden, obſchon ſie in keiner ſyſtematiſchen Weiſe zu erklären, ſondern immer nur als kahle Maſſe verſeſſener, wüſter und idioter Willkür der ſpecifiſchen Subjectivität aufzufaſſen iſt. Die Zeit der Zauberbücher war ſchon das goldene Zeitalter des Galimatias 1), obſchon dieſer brandmar- 1) Adelung, II, 392, hat: „Das Galimatias (ſpr. Galimatià) plur. ut nom. sing. aus dem franzöſiſchen galimatias, in den ſchönen Wiſſenſchaften eine ungeſchickte Verbindung widereinander laufender Begriffe und Bilder, welche keinen vernünftigen Verſtand gewähren, Unſinn; bei den Engländern Nonsense.“ Noch kürzer fertigt Heinſius, II, 268, das Wort ab: „Galimathias, Wortge- wirre. Unſinn.“ Schwenck hat S. 204: „Das, der Galimatias, Unſinn, unſin- niges Geſchwätz, frz. galimatias (engl. galimaufrey, gallimafry, Miſchmaſch, gallimatia, galimatias).“ Das Wort Galimatias ſcheint wirklich erſt zu Ende des 17. Jahrhunderts gebildet zu ſein, da von Stieker, „Sprachſchatz“, das Wort gar nicht kennt. Es fehlt überall die Etymologie. Shakſpeare gebraucht gallimaufrey für woman. Jn der engliſchen Volksſprache iſt gallimaufrey für hodge-podge Gemenge von zuſammengekochten Jngredienzen (remnants and scraps of the larder), und ganz in das Franzöſiſche übergegangen, wo gali- matrée ein Gericht von übriggebliebenen Stückchen Fleiſch, Fricaſſée, bedeutet. Eine Beziehung des Gali auf walisc, welſch, ſcheint kaum angenommen wer-

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/212>, abgerufen am 30.04.2024.