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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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Dämons über das Volk war um so furchtbarer, je ausschließlicher
das glatte Verständniß der Steganographie zum specifischen Geheim-
niß der intriguanten Politik ward, welche mit versteckter und ab-
soluter Gewalt das Volk beherrschte. So konnte denn die sprach-
liche Aufklärung durch Moscherosch und Schottelius keine Restitu-
tion des Volkes werden, selbst auch wenn diese Aufklärungen min-
der einseitig gewesen wären, bis dann die ungeschickte Zuweisung
des Sprachunsinns in das Gaunerthum endlich auf dieses selbst
aufmerksam machte und zum ersten male seit dem Liber Vagato-
rum
der Blick tiefer auf dasselbe und seine Sprache fiel und selb-
ständige Wörterbücher der Gaunersprache gesammelt wurden, wie
das Verzeichniß des Andreas Hempel, das waldheimer Verzeichniß
und die koburger Designation. Sind auch die Darstellungen von
Moscherosch und Schottelius in sprachlicher Hinsicht nicht erheblich,
so liegt doch in culturhistorischer Hinsicht ein tiefer Ernst in ihnen,
und deshalb hätten Thiele und von Train nicht so blind nach der
Erscheinung greifen und noch einmal den unglückseligen Versuch
machen sollen, für das Gaunerthum eine Sprachmethode heraufzu-
beschwören, für deren innere Unwahrheit und äußere Schwerfällig-
keit dasselbe viel zu verschlagen und behend ist.



Einundvierzigstes Kapitel.
K. Die Beziehung der Gaunersprache zur deutschen Volkssprache.

Erst dann, wenn man das große Quellengebiet der deutschen
Sprache und die Bewegung derselben von dem leichten, natürlichen
Rieseln der zahllosen kleinen Quellen bis zum mächtigen Zusammen-
fluß in den großen Sprachstrom überblickt und dabei inne wird, wie
das Gaunerthum von diesem Strome sich tragen läßt, um darin
Leben und Bewegung zu behaupten, gewinnt man den richtigen Be-
griff vom Gaunerthum und seiner Sprache. Diese Gaunersprache
würde die umfassendste deutsche Sprachencyklopädie sein, wenn sie
alle Sprachgebietstheile, welche sie berührt, vollkommen erschöpfend

Ave-Lallemant, Gaunerthum. III. 13

Dämons über das Volk war um ſo furchtbarer, je ausſchließlicher
das glatte Verſtändniß der Steganographie zum ſpecifiſchen Geheim-
niß der intriguanten Politik ward, welche mit verſteckter und ab-
ſoluter Gewalt das Volk beherrſchte. So konnte denn die ſprach-
liche Aufklärung durch Moſcheroſch und Schottelius keine Reſtitu-
tion des Volkes werden, ſelbſt auch wenn dieſe Aufklärungen min-
der einſeitig geweſen wären, bis dann die ungeſchickte Zuweiſung
des Sprachunſinns in das Gaunerthum endlich auf dieſes ſelbſt
aufmerkſam machte und zum erſten male ſeit dem Liber Vagato-
rum
der Blick tiefer auf daſſelbe und ſeine Sprache fiel und ſelb-
ſtändige Wörterbücher der Gaunerſprache geſammelt wurden, wie
das Verzeichniß des Andreas Hempel, das waldheimer Verzeichniß
und die koburger Deſignation. Sind auch die Darſtellungen von
Moſcheroſch und Schottelius in ſprachlicher Hinſicht nicht erheblich,
ſo liegt doch in culturhiſtoriſcher Hinſicht ein tiefer Ernſt in ihnen,
und deshalb hätten Thiele und von Train nicht ſo blind nach der
Erſcheinung greifen und noch einmal den unglückſeligen Verſuch
machen ſollen, für das Gaunerthum eine Sprachmethode heraufzu-
beſchwören, für deren innere Unwahrheit und äußere Schwerfällig-
keit daſſelbe viel zu verſchlagen und behend iſt.



Einundvierzigſtes Kapitel.
K. Die Beziehung der Gaunerſprache zur deutſchen Volksſprache.

Erſt dann, wenn man das große Quellengebiet der deutſchen
Sprache und die Bewegung derſelben von dem leichten, natürlichen
Rieſeln der zahlloſen kleinen Quellen bis zum mächtigen Zuſammen-
fluß in den großen Sprachſtrom überblickt und dabei inne wird, wie
das Gaunerthum von dieſem Strome ſich tragen läßt, um darin
Leben und Bewegung zu behaupten, gewinnt man den richtigen Be-
griff vom Gaunerthum und ſeiner Sprache. Dieſe Gaunerſprache
würde die umfaſſendſte deutſche Sprachencyklopädie ſein, wenn ſie
alle Sprachgebietstheile, welche ſie berührt, vollkommen erſchöpfend

Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 13
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[193/0227] Dämons über das Volk war um ſo furchtbarer, je ausſchließlicher das glatte Verſtändniß der Steganographie zum ſpecifiſchen Geheim- niß der intriguanten Politik ward, welche mit verſteckter und ab- ſoluter Gewalt das Volk beherrſchte. So konnte denn die ſprach- liche Aufklärung durch Moſcheroſch und Schottelius keine Reſtitu- tion des Volkes werden, ſelbſt auch wenn dieſe Aufklärungen min- der einſeitig geweſen wären, bis dann die ungeſchickte Zuweiſung des Sprachunſinns in das Gaunerthum endlich auf dieſes ſelbſt aufmerkſam machte und zum erſten male ſeit dem Liber Vagato- rum der Blick tiefer auf daſſelbe und ſeine Sprache fiel und ſelb- ſtändige Wörterbücher der Gaunerſprache geſammelt wurden, wie das Verzeichniß des Andreas Hempel, das waldheimer Verzeichniß und die koburger Deſignation. Sind auch die Darſtellungen von Moſcheroſch und Schottelius in ſprachlicher Hinſicht nicht erheblich, ſo liegt doch in culturhiſtoriſcher Hinſicht ein tiefer Ernſt in ihnen, und deshalb hätten Thiele und von Train nicht ſo blind nach der Erſcheinung greifen und noch einmal den unglückſeligen Verſuch machen ſollen, für das Gaunerthum eine Sprachmethode heraufzu- beſchwören, für deren innere Unwahrheit und äußere Schwerfällig- keit daſſelbe viel zu verſchlagen und behend iſt. Einundvierzigſtes Kapitel. K. Die Beziehung der Gaunerſprache zur deutſchen Volksſprache. Erſt dann, wenn man das große Quellengebiet der deutſchen Sprache und die Bewegung derſelben von dem leichten, natürlichen Rieſeln der zahlloſen kleinen Quellen bis zum mächtigen Zuſammen- fluß in den großen Sprachſtrom überblickt und dabei inne wird, wie das Gaunerthum von dieſem Strome ſich tragen läßt, um darin Leben und Bewegung zu behaupten, gewinnt man den richtigen Be- griff vom Gaunerthum und ſeiner Sprache. Dieſe Gaunerſprache würde die umfaſſendſte deutſche Sprachencyklopädie ſein, wenn ſie alle Sprachgebietstheile, welche ſie berührt, vollkommen erſchöpfend Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 13

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/227>, abgerufen am 30.04.2024.