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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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Treue bewahrt hat. Berücksichtigt man dies, so wird die sehr selt-
same Musterkarte aller der vielen wunderlichen Wörter klar, welche
man noch in der heutigen jüdischdeutschen Sprache in vollem Ge-
brauche findet, z. B.: Atte, Ette, Tatte, Tette, Vater;
Memme, Mutter; Breyleft, Hochzeit; Fingerlich, Ring; Be-
ginsel,
Anfang; Meidlich, Mädchen; Perlich, Perle; Spra-
tzen,
Sprossen; Schwohr, die Schwangere; breyen (prier),
bitten; Paitan (poeta), Dichter; benschen (benedicere), segnen,
beten; oren (orare), beten; Erpatterschen, Erdulder; ver-
waggelt
(vagari), unstet; Fem (schwed. fünf), Hand; Femer,
Schreiber; femern, schreiben; Quien (kuon, chien), Hund
u. s. w. Noch merkwürdiger ist aber eine nicht geringe Anzahl
Wörter, welche, obschon entschieden aus dem Hebräischen stam-
mend, ein so durchaus deutsches Gepräge haben, daß man bei
ihrem täglichen volksthümlichen Gebrauch sie für echt deutsche zu
halten versucht wird. Besonders werden solche Wörter im Nieder-
deutschen häufig gefunden, z. B.: mutzen, vom hebr. [fremdsprachliches Material], mutz,
bedrücken; klaffen, lärmen, bellen, [fremdsprachliches Material], kelef, Hund (keleuo?);
hojahnen, gähnen, [fremdsprachliches Material], rauschen; Kalmüser, [fremdsprachliches Material], col
mussar,
einer, der sich mit vielem Grübeln, Wissen befaßt;
Kneepe, Kniffe, [fremdsprachliches Material], genewo, gnewe, Spitzbüberei; tapsen,
plump zugreifen, [fremdsprachliches Material], taphass; Dolmetscher, [fremdsprachliches Material], talmud;
Slappen, Pantoffel, Schleef, lang aufgeschossener Bursche, lang-
stieliger hölzerner Löffel, [fremdsprachliches Material], schalaph, heraus-, lang ziehen
u. s. w.

Alle diese ursprünglich deutschen oder germanisirten Wörter
werden durchaus deutsch flectirt und erhalten daher auch Artikel und
Adjectiva ganz nach den Regeln der deutschen Grammatik. Ein
Declinationsparadigma anzuführen, wie Stern S. 188 das sehr
ausführlich gethan hat, ist daher völlig überflüssig. Bemerkenswerth
ist nur, daß in der rohen Volks- und Umgangssprache, ganz wie
im Niederdeutschen, der Genitiv des Nomen mit der Präposition
von umschrieben wird, z. B.: Dies ist der Bruder meines Vaters;
jüdischd.: Dies ist der Ach vun mein' Av, nd.: Dit is de Bro-
der vun min Vader. Oder: Dies ist das Buch meiner Schwester,

Treue bewahrt hat. Berückſichtigt man dies, ſo wird die ſehr ſelt-
ſame Muſterkarte aller der vielen wunderlichen Wörter klar, welche
man noch in der heutigen jüdiſchdeutſchen Sprache in vollem Ge-
brauche findet, z. B.: Atte, Ette, Tatte, Tette, Vater;
Memme, Mutter; Breyleft, Hochzeit; Fingerlich, Ring; Be-
ginſel,
Anfang; Meidlich, Mädchen; Perlich, Perle; Spra-
tzen,
Sproſſen; Schwohr, die Schwangere; breyen (prier),
bitten; Paitan (poëta), Dichter; benſchen (benedicere), ſegnen,
beten; oren (orare), beten; Erpatterſchen, Erdulder; ver-
waggelt
(vagari), unſtet; Fem (ſchwed. fünf), Hand; Femer,
Schreiber; femern, ſchreiben; Quien (κυων, chien), Hund
u. ſ. w. Noch merkwürdiger iſt aber eine nicht geringe Anzahl
Wörter, welche, obſchon entſchieden aus dem Hebräiſchen ſtam-
mend, ein ſo durchaus deutſches Gepräge haben, daß man bei
ihrem täglichen volksthümlichen Gebrauch ſie für echt deutſche zu
halten verſucht wird. Beſonders werden ſolche Wörter im Nieder-
deutſchen häufig gefunden, z. B.: mutzen, vom hebr. [fremdsprachliches Material], mutz,
bedrücken; klaffen, lärmen, bellen, [fremdsprachliches Material], kelef, Hund (κελεύω?);
hojahnen, gähnen, [fremdsprachliches Material], rauſchen; Kalmüſer, [fremdsprachliches Material], col
mussar,
einer, der ſich mit vielem Grübeln, Wiſſen befaßt;
Kneepe, Kniffe, [fremdsprachliches Material], genewo, gnewe, Spitzbüberei; tapſen,
plump zugreifen, [fremdsprachliches Material], taphass; Dolmetſcher, [fremdsprachliches Material], talmud;
Slappen, Pantoffel, Schleef, lang aufgeſchoſſener Burſche, lang-
ſtieliger hölzerner Löffel, [fremdsprachliches Material], schalaph, heraus-, lang ziehen
u. ſ. w.

Alle dieſe urſprünglich deutſchen oder germaniſirten Wörter
werden durchaus deutſch flectirt und erhalten daher auch Artikel und
Adjectiva ganz nach den Regeln der deutſchen Grammatik. Ein
Declinationsparadigma anzuführen, wie Stern S. 188 das ſehr
ausführlich gethan hat, iſt daher völlig überflüſſig. Bemerkenswerth
iſt nur, daß in der rohen Volks- und Umgangsſprache, ganz wie
im Niederdeutſchen, der Genitiv des Nomen mit der Präpoſition
von umſchrieben wird, z. B.: Dies iſt der Bruder meines Vaters;
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der vun min Vader. Oder: Dies iſt das Buch meiner Schweſter,

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[359/0393] Treue bewahrt hat. Berückſichtigt man dies, ſo wird die ſehr ſelt- ſame Muſterkarte aller der vielen wunderlichen Wörter klar, welche man noch in der heutigen jüdiſchdeutſchen Sprache in vollem Ge- brauche findet, z. B.: Atte, Ette, Tatte, Tette, Vater; Memme, Mutter; Breyleft, Hochzeit; Fingerlich, Ring; Be- ginſel, Anfang; Meidlich, Mädchen; Perlich, Perle; Spra- tzen, Sproſſen; Schwohr, die Schwangere; breyen (prier), bitten; Paitan (poëta), Dichter; benſchen (benedicere), ſegnen, beten; oren (orare), beten; Erpatterſchen, Erdulder; ver- waggelt (vagari), unſtet; Fem (ſchwed. fünf), Hand; Femer, Schreiber; femern, ſchreiben; Quien (κυων, chien), Hund u. ſ. w. Noch merkwürdiger iſt aber eine nicht geringe Anzahl Wörter, welche, obſchon entſchieden aus dem Hebräiſchen ſtam- mend, ein ſo durchaus deutſches Gepräge haben, daß man bei ihrem täglichen volksthümlichen Gebrauch ſie für echt deutſche zu halten verſucht wird. Beſonders werden ſolche Wörter im Nieder- deutſchen häufig gefunden, z. B.: mutzen, vom hebr. _ , mutz, bedrücken; klaffen, lärmen, bellen, _ , kelef, Hund (κελεύω?); hojahnen, gähnen, _ , rauſchen; Kalmüſer, _ , col mussar, einer, der ſich mit vielem Grübeln, Wiſſen befaßt; Kneepe, Kniffe, _ , genewo, gnewe, Spitzbüberei; tapſen, plump zugreifen, _ , taphass; Dolmetſcher, _ , talmud; Slappen, Pantoffel, Schleef, lang aufgeſchoſſener Burſche, lang- ſtieliger hölzerner Löffel, _ , schalaph, heraus-, lang ziehen u. ſ. w. Alle dieſe urſprünglich deutſchen oder germaniſirten Wörter werden durchaus deutſch flectirt und erhalten daher auch Artikel und Adjectiva ganz nach den Regeln der deutſchen Grammatik. Ein Declinationsparadigma anzuführen, wie Stern S. 188 das ſehr ausführlich gethan hat, iſt daher völlig überflüſſig. Bemerkenswerth iſt nur, daß in der rohen Volks- und Umgangsſprache, ganz wie im Niederdeutſchen, der Genitiv des Nomen mit der Präpoſition von umſchrieben wird, z. B.: Dies iſt der Bruder meines Vaters; jüdiſchd.: Dies iſt der Ach vun mein’ Av, nd.: Dit is de Bro- der vun min Vader. Oder: Dies iſt das Buch meiner Schweſter,

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/393>, abgerufen am 15.05.2024.