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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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ein ganz besonders schlechtes Deutsch cultivirt haben soll 1), wird
übrigens mit Unrecht dem Johann Christoph Gottsched aufgebürdet.
Er stammt vielmehr schon von Kaspar Lehmann ("Speiersche Chro-
nik", Buch 7, Kap. 42) her, wie der alte Frisch, S. 438, anführt:
"Da die Juristen zu Rottweil angefangen, so viele fremde Ter-
minos
einzumengen, daß es kein Mensch mehr verstunde."



Elftes Kapitel.
b) Kauderwelsch.

Eine gleich ungeschickte Etymologie hat der zuweilen, jedoch
niemals von Gaunern, für Rotwelsch oder Gaunersprache ge-
brauchte Ausdruck Kauderwelsch erfahren. Sie ist bei der ana-
logen örtlichen Beziehung ebenso lächerlich wie die Ableitung des
Rotwelsch von Rottweil. Das Kauder in Kauderwelsch soll
nach Frisch, a. a. O., S. 503, "gar wahrscheinlich aus Chur ent-
standen sein, der Hauptstadt des Bistums dieses Namens in Grau-
bündten, woselbst die Wälsche oder Jtaliänische Sprach mit großer
Veränderung geredet wird, und da der gemeine Mann für Chur
Caur sagt, ist es in Kaur-Welsch und Kauderwelsch verändert

1) Die vielen Misbräuche bei dem 1146 von Konrad III. errichteten, 1572
neu organisirten kaiserlichen Hofgericht, dessen Aussprüche niemals Ansehen ge-
wonnen haben, waren es, welche schon bei den westfälischen Friedensverhand-
lungen und spätern Gelegenheiten seine Aufhebung zur Sprache brachten, bis
Rottweil 1802 an Würtemberg kam und bald darauf das Hofgericht eingezogen
wurde. Aber im "stilus curiae", der wahren maccaronischen deutschen Prosa,
hatte das Hofgericht vor keinem andern Hof- oder Reichsgericht etwas voraus.
Wenn auch die Volkspoesie des 15. Jahrhunderts und Luther's Sprachhelden-
schaft der deutschen Sprache den vollständigsten Sieg über die römische Rechts-
sprache erkämpft hatten, so blieben doch gerade in der deutschen Gerichtssprache
unzählige lateinische Floskeln zurück, welche, wie unsere modernen Nipp- und
Rococofiguren, auf allen Börtern der Archive und Gerichtsstuben in seltsamster
Gruppirung aufgestellt sind und wie neckische Kobolde mit lächerlichen Fratzen
überall umherspringen und die herrliche reiche deutsche Sprache verhöhnen. Wie
hat sich der deutsche Jurist zu hüten, wenn er deutsch schreiben will!

ein ganz beſonders ſchlechtes Deutſch cultivirt haben ſoll 1), wird
übrigens mit Unrecht dem Johann Chriſtoph Gottſched aufgebürdet.
Er ſtammt vielmehr ſchon von Kaspar Lehmann („Speierſche Chro-
nik“, Buch 7, Kap. 42) her, wie der alte Friſch, S. 438, anführt:
„Da die Juriſten zu Rottweil angefangen, ſo viele fremde Ter-
minos
einzumengen, daß es kein Menſch mehr verſtunde.“



Elftes Kapitel.
b) Kauderwelſch.

Eine gleich ungeſchickte Etymologie hat der zuweilen, jedoch
niemals von Gaunern, für Rotwelſch oder Gaunerſprache ge-
brauchte Ausdruck Kauderwelſch erfahren. Sie iſt bei der ana-
logen örtlichen Beziehung ebenſo lächerlich wie die Ableitung des
Rotwelſch von Rottweil. Das Kauder in Kauderwelſch ſoll
nach Friſch, a. a. O., S. 503, „gar wahrſcheinlich aus Chur ent-
ſtanden ſein, der Hauptſtadt des Biſtums dieſes Namens in Grau-
bündten, woſelbſt die Wälſche oder Jtaliäniſche Sprach mit großer
Veränderung geredet wird, und da der gemeine Mann für Chur
Caur ſagt, iſt es in Kaur-Welſch und Kauderwelſch verändert

1) Die vielen Misbräuche bei dem 1146 von Konrad III. errichteten, 1572
neu organiſirten kaiſerlichen Hofgericht, deſſen Ausſprüche niemals Anſehen ge-
wonnen haben, waren es, welche ſchon bei den weſtfäliſchen Friedensverhand-
lungen und ſpätern Gelegenheiten ſeine Aufhebung zur Sprache brachten, bis
Rottweil 1802 an Würtemberg kam und bald darauf das Hofgericht eingezogen
wurde. Aber im „stilus curiae“, der wahren maccaroniſchen deutſchen Proſa,
hatte das Hofgericht vor keinem andern Hof- oder Reichsgericht etwas voraus.
Wenn auch die Volkspoeſie des 15. Jahrhunderts und Luther’s Sprachhelden-
ſchaft der deutſchen Sprache den vollſtändigſten Sieg über die römiſche Rechts-
ſprache erkämpft hatten, ſo blieben doch gerade in der deutſchen Gerichtsſprache
unzählige lateiniſche Floskeln zurück, welche, wie unſere modernen Nipp- und
Rococofiguren, auf allen Börtern der Archive und Gerichtsſtuben in ſeltſamſter
Gruppirung aufgeſtellt ſind und wie neckiſche Kobolde mit lächerlichen Fratzen
überall umherſpringen und die herrliche reiche deutſche Sprache verhöhnen. Wie
hat ſich der deutſche Juriſt zu hüten, wenn er deutſch ſchreiben will!
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[24/0058] ein ganz beſonders ſchlechtes Deutſch cultivirt haben ſoll 1), wird übrigens mit Unrecht dem Johann Chriſtoph Gottſched aufgebürdet. Er ſtammt vielmehr ſchon von Kaspar Lehmann („Speierſche Chro- nik“, Buch 7, Kap. 42) her, wie der alte Friſch, S. 438, anführt: „Da die Juriſten zu Rottweil angefangen, ſo viele fremde Ter- minos einzumengen, daß es kein Menſch mehr verſtunde.“ Elftes Kapitel. b) Kauderwelſch. Eine gleich ungeſchickte Etymologie hat der zuweilen, jedoch niemals von Gaunern, für Rotwelſch oder Gaunerſprache ge- brauchte Ausdruck Kauderwelſch erfahren. Sie iſt bei der ana- logen örtlichen Beziehung ebenſo lächerlich wie die Ableitung des Rotwelſch von Rottweil. Das Kauder in Kauderwelſch ſoll nach Friſch, a. a. O., S. 503, „gar wahrſcheinlich aus Chur ent- ſtanden ſein, der Hauptſtadt des Biſtums dieſes Namens in Grau- bündten, woſelbſt die Wälſche oder Jtaliäniſche Sprach mit großer Veränderung geredet wird, und da der gemeine Mann für Chur Caur ſagt, iſt es in Kaur-Welſch und Kauderwelſch verändert 1) Die vielen Misbräuche bei dem 1146 von Konrad III. errichteten, 1572 neu organiſirten kaiſerlichen Hofgericht, deſſen Ausſprüche niemals Anſehen ge- wonnen haben, waren es, welche ſchon bei den weſtfäliſchen Friedensverhand- lungen und ſpätern Gelegenheiten ſeine Aufhebung zur Sprache brachten, bis Rottweil 1802 an Würtemberg kam und bald darauf das Hofgericht eingezogen wurde. Aber im „stilus curiae“, der wahren maccaroniſchen deutſchen Proſa, hatte das Hofgericht vor keinem andern Hof- oder Reichsgericht etwas voraus. Wenn auch die Volkspoeſie des 15. Jahrhunderts und Luther’s Sprachhelden- ſchaft der deutſchen Sprache den vollſtändigſten Sieg über die römiſche Rechts- ſprache erkämpft hatten, ſo blieben doch gerade in der deutſchen Gerichtsſprache unzählige lateiniſche Floskeln zurück, welche, wie unſere modernen Nipp- und Rococofiguren, auf allen Börtern der Archive und Gerichtsſtuben in ſeltſamſter Gruppirung aufgeſtellt ſind und wie neckiſche Kobolde mit lächerlichen Fratzen überall umherſpringen und die herrliche reiche deutſche Sprache verhöhnen. Wie hat ſich der deutſche Juriſt zu hüten, wenn er deutſch ſchreiben will!

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/58>, abgerufen am 30.04.2024.