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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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Walnuß, welsche Nuß, die vom Ausland her bekannt gewordene
Nuß; welsche Hühner, von der Fremde eingeführte, indische Hüh-
ner; wälschen, schweiz. walen, waalen, undeutlich, besonders
in unbekannter Sprache, durcheinander sprechen. Verwelchen,
verwälschen,
vermummen, verkleiden, verstellen, sich unkenntlich
machen. 1)

Der (jedenfalls aber nicht gaunerübliche) Ausdruck "Rot-
welsch" bezeichnet also ziemlich glücklich sowol den Stoff und Bau
der Gaunersprache als auch die Eigenthümlichkeit der Personen,
welche diese Sprache geschaffen und cultivirt haben. Die später
vorkommende linkische, steife lateinische Uebersetzung ruber barba-
rismus
2), welche man vielfach bei Schriftstellern des 16. und 17.
Jahrhunderts findet, gibt gerade ein Zeugniß davon, wie wenig
das Wesen des Gaunerthums und seiner Sprache der deutschen
Gelehrsamkeit sich erschlossen hatte, welche sich mit der bloßen
Nomenclatur begnügte, im übrigen aber mit hochmüthiger gelehr-
ter Verachtung über den quellreichen deutschen Sprachboden hin-
wegging und mit fast jedem schwerfälligen Tritt den Boden zu-
sammenknetete, unter dessen unscheinbarem Wuchs ein so heimliches
wie frisches, reiches Leben hervorrieselte.

Der in der That sehr "schlechte Witz", Rotwelsch von der
Stadt Rottweil abzuleiten, woselbst das kaiserliche Hofgericht

1) Schmid, a. a. O., S. 111, hat noch überdies walapauz, welches er
aus welsch und butz zusammengesetzt sein läßt und aus den longobardischen
Gesetzen allgemein anführt ohne Nachweis. Das walapauz habe ich dort nicht
finden können; was bedeutet aber das waluurst (Herold: Vultuurfo, Lindenbrog:
Wultworf, Vualuuoft) des Kap. V, Tit. VII der Lex Bajuvariorum? (Geor-
gisch, "Corpus juris Germanici", S. 284.) Das discriminalia deutet auf
einen mit Heftnadeln befestigten Kopfputz der Jungfrauen. Etwa welscher Kopf-
putz? Ferner ebendas. Kap. III, Tit. XVIII (Georgisch, S. 319) walaraupa
(Herold: walaurapa), das jedenfalls ein Todtengewand sein muß. Schmeller,
a. a. O., III, 119, 24, hat in der Reihe rap, rap: der Rupfen (hrop,
hropwyrc), Wocken, Werch, Leinwand aus Werch, wobei er alte Belege anführt,
welche alle auf groben Leinenstoff deuten. Sollte demnach walaraupa grobes
welsches Leinen sein?
2) Gesner, "Mithridates", Fol. 81.

Walnuß, welſche Nuß, die vom Ausland her bekannt gewordene
Nuß; welſche Hühner, von der Fremde eingeführte, indiſche Hüh-
ner; wälſchen, ſchweiz. walen, waalen, undeutlich, beſonders
in unbekannter Sprache, durcheinander ſprechen. Verwelchen,
verwälſchen,
vermummen, verkleiden, verſtellen, ſich unkenntlich
machen. 1)

Der (jedenfalls aber nicht gaunerübliche) Ausdruck „Rot-
welſch“ bezeichnet alſo ziemlich glücklich ſowol den Stoff und Bau
der Gaunerſprache als auch die Eigenthümlichkeit der Perſonen,
welche dieſe Sprache geſchaffen und cultivirt haben. Die ſpäter
vorkommende linkiſche, ſteife lateiniſche Ueberſetzung ruber barba-
rismus
2), welche man vielfach bei Schriftſtellern des 16. und 17.
Jahrhunderts findet, gibt gerade ein Zeugniß davon, wie wenig
das Weſen des Gaunerthums und ſeiner Sprache der deutſchen
Gelehrſamkeit ſich erſchloſſen hatte, welche ſich mit der bloßen
Nomenclatur begnügte, im übrigen aber mit hochmüthiger gelehr-
ter Verachtung über den quellreichen deutſchen Sprachboden hin-
wegging und mit faſt jedem ſchwerfälligen Tritt den Boden zu-
ſammenknetete, unter deſſen unſcheinbarem Wuchs ein ſo heimliches
wie friſches, reiches Leben hervorrieſelte.

Der in der That ſehr „ſchlechte Witz“, Rotwelſch von der
Stadt Rottweil abzuleiten, woſelbſt das kaiſerliche Hofgericht

1) Schmid, a. a. O., S. 111, hat noch überdies walapauz, welches er
aus welſch und butz zuſammengeſetzt ſein läßt und aus den longobardiſchen
Geſetzen allgemein anführt ohne Nachweis. Das walapauz habe ich dort nicht
finden können; was bedeutet aber das waluurst (Herold: Vultuurfo, Lindenbrog:
Wultworf, Vualuuoft) des Kap. V, Tit. VII der Lex Bajuvariorum? (Geor-
giſch, „Corpus juris Germanici“, S. 284.) Das discriminalia deutet auf
einen mit Heftnadeln befeſtigten Kopfputz der Jungfrauen. Etwa welſcher Kopf-
putz? Ferner ebendaſ. Kap. III, Tit. XVIII (Georgiſch, S. 319) walaraupa
(Herold: walaurapa), das jedenfalls ein Todtengewand ſein muß. Schmeller,
a. a. O., III, 119, 24, hat in der Reihe rap, rap: der Rupfen (hrop,
hropwyrc), Wocken, Werch, Leinwand aus Werch, wobei er alte Belege anführt,
welche alle auf groben Leinenſtoff deuten. Sollte demnach walaraupa grobes
welſches Leinen ſein?
2) Gesner, „Mithridates“, Fol. 81.
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[23/0057] Walnuß, welſche Nuß, die vom Ausland her bekannt gewordene Nuß; welſche Hühner, von der Fremde eingeführte, indiſche Hüh- ner; wälſchen, ſchweiz. walen, waalen, undeutlich, beſonders in unbekannter Sprache, durcheinander ſprechen. Verwelchen, verwälſchen, vermummen, verkleiden, verſtellen, ſich unkenntlich machen. 1) Der (jedenfalls aber nicht gaunerübliche) Ausdruck „Rot- welſch“ bezeichnet alſo ziemlich glücklich ſowol den Stoff und Bau der Gaunerſprache als auch die Eigenthümlichkeit der Perſonen, welche dieſe Sprache geſchaffen und cultivirt haben. Die ſpäter vorkommende linkiſche, ſteife lateiniſche Ueberſetzung ruber barba- rismus 2), welche man vielfach bei Schriftſtellern des 16. und 17. Jahrhunderts findet, gibt gerade ein Zeugniß davon, wie wenig das Weſen des Gaunerthums und ſeiner Sprache der deutſchen Gelehrſamkeit ſich erſchloſſen hatte, welche ſich mit der bloßen Nomenclatur begnügte, im übrigen aber mit hochmüthiger gelehr- ter Verachtung über den quellreichen deutſchen Sprachboden hin- wegging und mit faſt jedem ſchwerfälligen Tritt den Boden zu- ſammenknetete, unter deſſen unſcheinbarem Wuchs ein ſo heimliches wie friſches, reiches Leben hervorrieſelte. Der in der That ſehr „ſchlechte Witz“, Rotwelſch von der Stadt Rottweil abzuleiten, woſelbſt das kaiſerliche Hofgericht 1) Schmid, a. a. O., S. 111, hat noch überdies walapauz, welches er aus welſch und butz zuſammengeſetzt ſein läßt und aus den longobardiſchen Geſetzen allgemein anführt ohne Nachweis. Das walapauz habe ich dort nicht finden können; was bedeutet aber das waluurst (Herold: Vultuurfo, Lindenbrog: Wultworf, Vualuuoft) des Kap. V, Tit. VII der Lex Bajuvariorum? (Geor- giſch, „Corpus juris Germanici“, S. 284.) Das discriminalia deutet auf einen mit Heftnadeln befeſtigten Kopfputz der Jungfrauen. Etwa welſcher Kopf- putz? Ferner ebendaſ. Kap. III, Tit. XVIII (Georgiſch, S. 319) walaraupa (Herold: walaurapa), das jedenfalls ein Todtengewand ſein muß. Schmeller, a. a. O., III, 119, 24, hat in der Reihe rap, rap: der Rupfen (hrop, hropwyrc), Wocken, Werch, Leinwand aus Werch, wobei er alte Belege anführt, welche alle auf groben Leinenſtoff deuten. Sollte demnach walaraupa grobes welſches Leinen ſein? 2) Gesner, „Mithridates“, Fol. 81.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/57>, abgerufen am 30.04.2024.