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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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Nigra melikhroos est, immunda et foetida akosmos
Caesia palladion; nervosa et lignea dorkas;
Parvola numilio kharito'nia, tota merum sal,
Magna atque immanis
kataplexis, plenaque honoris.
Balba loqui non quit,
traulizei, muta pudens est;
At flagrans, odiosa, loquacula
lampadion fit,
Ikhnon eromenion tum fit, cum vivere non quit
Prae macie,
Radine vero est jam mortua tussi;
At genuina et onammosa Ceres est ipsa ab Iaccho,
Simula
silene ac Satyra 'st, labiosa philema.

So auch mußte schon hundert Jahre vor Lucretius der alte Sa-
tiriker Lucilius und noch vor letzterm der Rhodier Pitholeon die
Geisel geschwungen haben, von dem Horaz, Sat., I, 10, 20,
sagt:

At magnum fecit, quod verbis Graeca Latinis
Miscuit, o seri studiorum! quine putetis
Difficile et mirum, Rhodio quod Pitholeonti
Contigit? at sermo lingua concinnus utraque
Suavior, ut Chio nota si commista Falerni est
--

wobei denn auch Horaz selbst mit seinem o seri studiorum
darüber spottet, daß man die Bedeutsamkeit der Pitholeonischen
Sprachweise nicht schon gleich richtig aufgefaßt hatte.

Ganz andere Gründe aber lagen der Versetzung der alten
heiligen hebräischen Sprache mit andern Sprachstoffen zu Grunde.
Mit dem gefangenen Judenvolk ward auch der hebräische Sprach-
geist in der freien selbständigen Bewegung gebunden. Seine sicht-
bar werdende Gefangenschaft und Lähmung ist ein trübes Symptom
des beginnenden völligen nationalen Untergangs des Gottesvolkes,
dessen Ende mit dem Absterben der hebräischen Sprache angefan-
gen hatte. Das zu Jesaias' Zeit den Bewohnern Judäas noch
unverständliche Aramäische machte sich später sehr rasch in Palä-
stina als Volkssprache geltend, sodaß alle Acte des bürgerlichen
Lebens, Sprichwörter, bestimmte Formeln für das ungelehrte Volk,
Weiber und Kinder, populäre Bücher u. s. w. in aramäischer
Sprache abgefaßt wurden und in Umlauf kamen. Die von Ne-

Nigra μελιχροος est, immunda et foetida ἀκοσμος
Caesia παλλαδιον; nervosa et lignea δορκας;
Parvola numilio χαριτω᾽νια, tota merum sal,
Magna atque immanis
καταπληξις, plenaque honoris.
Balba loqui non quit,
τραυλιζει, muta pudens est;
At flagrans, odiosa, loquacula
λαμπαδιον fit,
Ἰχνον ἐρωμενιον tum fit, cum vivere non quit
Prae macie,
ῥαδινη vero est jam mortua tussi;
At genuina et onammosa Ceres est ipsa ab Iaccho,
Simula
σιληνη ac Satyra ’st, labiosa φιλημα.

So auch mußte ſchon hundert Jahre vor Lucretius der alte Sa-
tiriker Lucilius und noch vor letzterm der Rhodier Pitholeon die
Geiſel geſchwungen haben, von dem Horaz, Sat., I, 10, 20,
ſagt:

At magnum fecit, quod verbis Graeca Latinis
Miscuit, o seri studiorum! quine putetis
Difficile et mirum, Rhodio quod Pitholeonti
Contigit? at sermo lingua concinnus utraque
Suavior, ut Chio nota si commista Falerni est

wobei denn auch Horaz ſelbſt mit ſeinem o seri studiorum
darüber ſpottet, daß man die Bedeutſamkeit der Pitholeoniſchen
Sprachweiſe nicht ſchon gleich richtig aufgefaßt hatte.

Ganz andere Gründe aber lagen der Verſetzung der alten
heiligen hebräiſchen Sprache mit andern Sprachſtoffen zu Grunde.
Mit dem gefangenen Judenvolk ward auch der hebräiſche Sprach-
geiſt in der freien ſelbſtändigen Bewegung gebunden. Seine ſicht-
bar werdende Gefangenſchaft und Lähmung iſt ein trübes Symptom
des beginnenden völligen nationalen Untergangs des Gottesvolkes,
deſſen Ende mit dem Abſterben der hebräiſchen Sprache angefan-
gen hatte. Das zu Jeſaias’ Zeit den Bewohnern Judäas noch
unverſtändliche Aramäiſche machte ſich ſpäter ſehr raſch in Palä-
ſtina als Volksſprache geltend, ſodaß alle Acte des bürgerlichen
Lebens, Sprichwörter, beſtimmte Formeln für das ungelehrte Volk,
Weiber und Kinder, populäre Bücher u. ſ. w. in aramäiſcher
Sprache abgefaßt wurden und in Umlauf kamen. Die von Ne-

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[61/0095] Nigra μελιχροος est, immunda et foetida ἀκοσμος Caesia παλλαδιον; nervosa et lignea δορκας; Parvola numilio χαριτω᾽νια, tota merum sal, Magna atque immanis καταπληξις, plenaque honoris. Balba loqui non quit, τραυλιζει, muta pudens est; At flagrans, odiosa, loquacula λαμπαδιον fit, Ἰχνον ἐρωμενιον tum fit, cum vivere non quit Prae macie, ῥαδινη vero est jam mortua tussi; At genuina et onammosa Ceres est ipsa ab Iaccho, Simula σιληνη ac Satyra ’st, labiosa φιλημα. So auch mußte ſchon hundert Jahre vor Lucretius der alte Sa- tiriker Lucilius und noch vor letzterm der Rhodier Pitholeon die Geiſel geſchwungen haben, von dem Horaz, Sat., I, 10, 20, ſagt: At magnum fecit, quod verbis Graeca Latinis Miscuit, o seri studiorum! quine putetis Difficile et mirum, Rhodio quod Pitholeonti Contigit? at sermo lingua concinnus utraque Suavior, ut Chio nota si commista Falerni est — wobei denn auch Horaz ſelbſt mit ſeinem o seri studiorum darüber ſpottet, daß man die Bedeutſamkeit der Pitholeoniſchen Sprachweiſe nicht ſchon gleich richtig aufgefaßt hatte. Ganz andere Gründe aber lagen der Verſetzung der alten heiligen hebräiſchen Sprache mit andern Sprachſtoffen zu Grunde. Mit dem gefangenen Judenvolk ward auch der hebräiſche Sprach- geiſt in der freien ſelbſtändigen Bewegung gebunden. Seine ſicht- bar werdende Gefangenſchaft und Lähmung iſt ein trübes Symptom des beginnenden völligen nationalen Untergangs des Gottesvolkes, deſſen Ende mit dem Abſterben der hebräiſchen Sprache angefan- gen hatte. Das zu Jeſaias’ Zeit den Bewohnern Judäas noch unverſtändliche Aramäiſche machte ſich ſpäter ſehr raſch in Palä- ſtina als Volksſprache geltend, ſodaß alle Acte des bürgerlichen Lebens, Sprichwörter, beſtimmte Formeln für das ungelehrte Volk, Weiber und Kinder, populäre Bücher u. ſ. w. in aramäiſcher Sprache abgefaßt wurden und in Umlauf kamen. Die von Ne-

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/95>, abgerufen am 30.04.2024.