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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

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führen und Ihnen von vorn herein anzeigen wollen, wohin die genetische Dar-
stellung führen wird, an die ich mich jetzt wende, nämlich zu den Resultaten:

1) dass alle Säugethier-Eier schon vor der Befruchtung als kleine Dotterkugeln
da sind;
2) dass alle ursprünglich mit einander in der Art ihrer Ausbildung und der Zahl
ihrer Theile übereinstimmen;
3) dass diese Theile, nur mit gewissen Abweichungen, die durch den Frucht-
hälter bedingt werden, dieselben sind, wie im Ei der Vögel;
4) dass aber in einigen Eiern gewisse Theile, in andern andere früh aufhören
zu wachsen und dadurch die spätere Differenz hervorgebracht wird;
5) dass endlich diese verschiedene Beständigkeit der einzelnen Theile verbunden
mit der verschiedenen äussern Gestalt, die wieder vom Fruchthälter abhängt,
die Verschiedenheiten der Säugethier-Eier erzeugt.
g. Weibli-
cher Ge-
schlechtsap-
parat dersel-
ben.

Der Geschlechtsapparat der spätgebärenden Säugethiere unterscheidet sich
von den bei Vögeln und Reptilien vorkommenden Formen vor allen Dingen durch
vollständige Trennung von dem verdauenden Kanale. Unter allen Säugethieren
zeigen nur die frühgebärenden Monotremen in einer Kloake ihre Verwandschaft
mit den niedern Thierklassen. Es kommt zwar auch bei einigen normalen Säuge-
thieren vor, dass von Aussen gesehen Darm und Geschlechtswege nur eine gemein-
schaftliche Oeffnung zu haben scheinen, allein näher untersucht, zeigt es sich,
dass in solchen Thieren bloss die Scheidewand zwischen beiden Wegen, wo sie
nach hinten ausläuft, nicht an der allgemeinen Behaarung Theil hat, keinesweges
aber eine gemeinschaftliche Höhle (Kloake) da ist. Dagegen sind die Harn- und
Geschlechtswege im Ausgange immer mit einander verbunden.

Taf: IV.
Fig. 13.

Die Eierstöcke der Säugethiere (und wir meinen, wenn nicht das Gegentheil
gesagt wird, hier immer die spätgebärenden oder normalen) sind auf beiden Sei-
ten entwickelt, sie sind wie bei Vögeln und Schildkröten solide (d. h. ohne innere
Höhlung), eben so aus einem Keimlager (Zellstoff) und eingesenkten Kapseln be-
stehend, welche letztere hier (in Verbindung mit ihrem Inhalte) Graaf'sche Bläs-
chen
genannt werden *). Die äussere Haut des Eierstockes scheint uns nur ein
verdichtetes Keimlager und wird noch vom Bauchfelle überzogen. Sowohl das

Keim-
dung des Chorions und die Entwickelung des Harnsackes hat keiner von beiden verfolgt. Cuvier
stellt es sogar a. a. O. S. 107. in Frage, ob der Harnsack der Säogethiere allmählig heranwachse,
oder vom Anfange an die Form habe, die man später findet. So lang waren die Geburtswehen
für die Kenntniss der Säugethier-Eier! Ich glaube in der That zuerst die Bildungsgeschichte des
Chorions und der Allantois gezeigt zu haben. Aber immer noch nennt man diese Darstellung fast
allgemein "eine Hypothese." Das Verständniss muss kommen, wenn auch langsam.
*) In Fig. 13. Taf. VII. stark vergrössert; a das Keimlager, b Ueberzug des Bauchfells, c d die
Kapsel.

führen und Ihnen von vorn herein anzeigen wollen, wohin die genetische Dar-
stellung führen wird, an die ich mich jetzt wende, nämlich zu den Resultaten:

1) daſs alle Säugethier-Eier schon vor der Befruchtung als kleine Dotterkugeln
da sind;
2) daſs alle ursprünglich mit einander in der Art ihrer Ausbildung und der Zahl
ihrer Theile übereinstimmen;
3) daſs diese Theile, nur mit gewissen Abweichungen, die durch den Frucht-
hälter bedingt werden, dieselben sind, wie im Ei der Vögel;
4) daſs aber in einigen Eiern gewisse Theile, in andern andere früh aufhören
zu wachsen und dadurch die spätere Differenz hervorgebracht wird;
5) daſs endlich diese verschiedene Beständigkeit der einzelnen Theile verbunden
mit der verschiedenen äuſsern Gestalt, die wieder vom Fruchthälter abhängt,
die Verschiedenheiten der Säugethier-Eier erzeugt.
g. Weibli-
cher Ge-
schlechtsap-
parat dersel-
ben.

Der Geschlechtsapparat der spätgebärenden Säugethiere unterscheidet sich
von den bei Vögeln und Reptilien vorkommenden Formen vor allen Dingen durch
vollständige Trennung von dem verdauenden Kanale. Unter allen Säugethieren
zeigen nur die frühgebärenden Monotremen in einer Kloake ihre Verwandschaft
mit den niedern Thierklassen. Es kommt zwar auch bei einigen normalen Säuge-
thieren vor, daſs von Auſsen gesehen Darm und Geschlechtswege nur eine gemein-
schaftliche Oeffnung zu haben scheinen, allein näher untersucht, zeigt es sich,
daſs in solchen Thieren bloſs die Scheidewand zwischen beiden Wegen, wo sie
nach hinten ausläuft, nicht an der allgemeinen Behaarung Theil hat, keinesweges
aber eine gemeinschaftliche Höhle (Kloake) da ist. Dagegen sind die Harn- und
Geschlechtswege im Ausgange immer mit einander verbunden.

Taf: IV.
Fig. 13.

Die Eierstöcke der Säugethiere (und wir meinen, wenn nicht das Gegentheil
gesagt wird, hier immer die spätgebärenden oder normalen) sind auf beiden Sei-
ten entwickelt, sie sind wie bei Vögeln und Schildkröten solide (d. h. ohne innere
Höhlung), eben so aus einem Keimlager (Zellstoff) und eingesenkten Kapseln be-
stehend, welche letztere hier (in Verbindung mit ihrem Inhalte) Graaf’sche Bläs-
chen
genannt werden *). Die äuſsere Haut des Eierstockes scheint uns nur ein
verdichtetes Keimlager und wird noch vom Bauchfelle überzogen. Sowohl das

Keim-
dung des Chorions und die Entwickelung des Harnsackes hat keiner von beiden verfolgt. Cuvier
stellt es sogar a. a. O. S. 107. in Frage, ob der Harnsack der Säogethiere allmählig heranwachse,
oder vom Anfange an die Form habe, die man später findet. So lang waren die Geburtswehen
für die Kenntniſs der Säugethier-Eier! Ich glaube in der That zuerst die Bildungsgeschichte des
Chorions und der Allantois gezeigt zu haben. Aber immer noch nennt man diese Darstellung fast
allgemein „eine Hypothese.” Das Verständniſs muſs kommen, wenn auch langsam.
*) In Fig. 13. Taf. VII. stark vergröſsert; a das Keimlager, b Ueberzug des Bauchfells, c d die
Kapsel.
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[176/0186] führen und Ihnen von vorn herein anzeigen wollen, wohin die genetische Dar- stellung führen wird, an die ich mich jetzt wende, nämlich zu den Resultaten: 1) daſs alle Säugethier-Eier schon vor der Befruchtung als kleine Dotterkugeln da sind; 2) daſs alle ursprünglich mit einander in der Art ihrer Ausbildung und der Zahl ihrer Theile übereinstimmen; 3) daſs diese Theile, nur mit gewissen Abweichungen, die durch den Frucht- hälter bedingt werden, dieselben sind, wie im Ei der Vögel; 4) daſs aber in einigen Eiern gewisse Theile, in andern andere früh aufhören zu wachsen und dadurch die spätere Differenz hervorgebracht wird; 5) daſs endlich diese verschiedene Beständigkeit der einzelnen Theile verbunden mit der verschiedenen äuſsern Gestalt, die wieder vom Fruchthälter abhängt, die Verschiedenheiten der Säugethier-Eier erzeugt. Der Geschlechtsapparat der spätgebärenden Säugethiere unterscheidet sich von den bei Vögeln und Reptilien vorkommenden Formen vor allen Dingen durch vollständige Trennung von dem verdauenden Kanale. Unter allen Säugethieren zeigen nur die frühgebärenden Monotremen in einer Kloake ihre Verwandschaft mit den niedern Thierklassen. Es kommt zwar auch bei einigen normalen Säuge- thieren vor, daſs von Auſsen gesehen Darm und Geschlechtswege nur eine gemein- schaftliche Oeffnung zu haben scheinen, allein näher untersucht, zeigt es sich, daſs in solchen Thieren bloſs die Scheidewand zwischen beiden Wegen, wo sie nach hinten ausläuft, nicht an der allgemeinen Behaarung Theil hat, keinesweges aber eine gemeinschaftliche Höhle (Kloake) da ist. Dagegen sind die Harn- und Geschlechtswege im Ausgange immer mit einander verbunden. Die Eierstöcke der Säugethiere (und wir meinen, wenn nicht das Gegentheil gesagt wird, hier immer die spätgebärenden oder normalen) sind auf beiden Sei- ten entwickelt, sie sind wie bei Vögeln und Schildkröten solide (d. h. ohne innere Höhlung), eben so aus einem Keimlager (Zellstoff) und eingesenkten Kapseln be- stehend, welche letztere hier (in Verbindung mit ihrem Inhalte) Graaf’sche Bläs- chen genannt werden *). Die äuſsere Haut des Eierstockes scheint uns nur ein verdichtetes Keimlager und wird noch vom Bauchfelle überzogen. Sowohl das Keim- **) *) In Fig. 13. Taf. VII. stark vergröſsert; a das Keimlager, b Ueberzug des Bauchfells, c d die Kapsel. **) dung des Chorions und die Entwickelung des Harnsackes hat keiner von beiden verfolgt. Cuvier stellt es sogar a. a. O. S. 107. in Frage, ob der Harnsack der Säogethiere allmählig heranwachse, oder vom Anfange an die Form habe, die man später findet. So lang waren die Geburtswehen für die Kenntniſs der Säugethier-Eier! Ich glaube in der That zuerst die Bildungsgeschichte des Chorions und der Allantois gezeigt zu haben. Aber immer noch nennt man diese Darstellung fast allgemein „eine Hypothese.” Das Verständniſs muſs kommen, wenn auch langsam.

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/186>, abgerufen am 29.04.2024.