Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913.

Bild:
<< vorherige Seite
Fidelis (rasch einfallend). In keiner Familie kann man
sicher sein --
Justine (rasch einfallend, heftig widersprechend). In meiner
Familie --
Fidelis (rasch einfallend). Es wäre sogar möglich, daß
du selbst --
Justine (wütend). Ich?! Du wagst es --
Fidelis (sehr schnell). Hör doch erst!
Justine (empört laut). Gott sei Dank beweist mein
ganzes in Zucht und Ehren verbrachtes Leben --
Fidelis (rasch einfallend; nickend, mit einer gewissen
Schadenfreude).
Ja! eben das --
Justine (außer sich). Eben das? Wieso?
Fidelis. Denn siehst du, gerade die Tugend der Eltern,
die schlägt dann in Kindern oder Enkeln zuweilen um,
das unterdrückte Laster rächt sich und --
Justine (schreiend). Ich habe kein Laster unterdrückt!
Fidelis (mit einem Blick auf die zweite Türe rechts; ärger-
lich, leise).
Schrei nicht so! Luz soll schlafen.
Justine (voll Wut, flüsternd). Wenn du meine Familie
beschimpfst!
Fidelis (ganz dicht bei ihr, eifrig). Hast du denn noch
nie von nicht oder ungenügend abreagierten Affekten ge-
hört? Die Wissenschaft hat bewiesen. --
Justine (empört, flüsternd). Ich danke für solche Wis-
senschaft!
Fidelis. Übrigens wollt ich dir nur erklären, was ich
ein Motiv nenne. (Setzt sich zu ihr aufs Sofa.) Das wäre
ein Motiv. (Nachdenklich.) Aber es trifft auf Luz nicht zu,
Fidelis (raſch einfallend). In keiner Familie kann man
ſicher ſein —
Juſtine (raſch einfallend, heftig widerſprechend). In meiner
Familie —
Fidelis (raſch einfallend). Es wäre ſogar möglich, daß
du ſelbſt —
Juſtine (wuͤtend). Ich?! Du wagſt es —
Fidelis (ſehr ſchnell). Hör doch erſt!
Juſtine (empoͤrt laut). Gott ſei Dank beweiſt mein
ganzes in Zucht und Ehren verbrachtes Leben —
Fidelis (raſch einfallend; nickend, mit einer gewiſſen
Schadenfreude).
Ja! eben das —
Juſtine (außer ſich). Eben das? Wieſo?
Fidelis. Denn ſiehſt du, gerade die Tugend der Eltern,
die ſchlägt dann in Kindern oder Enkeln zuweilen um,
das unterdrückte Laſter rächt ſich und —
Juſtine (ſchreiend). Ich habe kein Laſter unterdrückt!
Fidelis (mit einem Blick auf die zweite Tuͤre rechts; aͤrger-
lich, leiſe).
Schrei nicht ſo! Luz ſoll ſchlafen.
Juſtine (voll Wut, fluͤſternd). Wenn du meine Familie
beſchimpfſt!
Fidelis (ganz dicht bei ihr, eifrig). Haſt du denn noch
nie von nicht oder ungenügend abreagierten Affekten ge-
hört? Die Wiſſenſchaft hat bewieſen. —
Juſtine (empoͤrt, fluͤſternd). Ich danke für ſolche Wiſ-
ſenſchaft!
Fidelis. Übrigens wollt ich dir nur erklären, was ich
ein Motiv nenne. (Setzt ſich zu ihr aufs Sofa.) Das wäre
ein Motiv. (Nachdenklich.) Aber es trifft auf Luz nicht zu,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="act">
        <pb facs="#f0061" n="58"/>
        <sp who="#FID">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(ra&#x017F;ch einfallend).</stage>
          <p>In keiner Familie kann man<lb/>
&#x017F;icher &#x017F;ein &#x2014;</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#JUS">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Ju&#x017F;tine</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(ra&#x017F;ch einfallend, heftig wider&#x017F;prechend).</stage>
          <p>In meiner<lb/>
Familie &#x2014;</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FID">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(ra&#x017F;ch einfallend).</stage>
          <p>Es wäre &#x017F;ogar möglich, daß<lb/>
du &#x017F;elb&#x017F;t &#x2014;</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#JUS">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Ju&#x017F;tine</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(wu&#x0364;tend).</stage>
          <p>Ich?! Du wag&#x017F;t es &#x2014;</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FID">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(&#x017F;ehr &#x017F;chnell).</stage>
          <p>Hör doch er&#x017F;t!</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#JUS">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Ju&#x017F;tine</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(empo&#x0364;rt laut).</stage>
          <p>Gott &#x017F;ei Dank bewei&#x017F;t mein<lb/>
ganzes in Zucht und Ehren verbrachtes Leben &#x2014;</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FID">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(ra&#x017F;ch einfallend; nickend, mit einer gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Schadenfreude).</stage>
          <p>Ja! eben das &#x2014;</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#JUS">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Ju&#x017F;tine</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(außer &#x017F;ich).</stage>
          <p>Eben das? Wie&#x017F;o?</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FID">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Denn &#x017F;ieh&#x017F;t du, gerade die Tugend der Eltern,<lb/>
die &#x017F;chlägt dann in Kindern oder Enkeln zuweilen um,<lb/>
das unterdrückte La&#x017F;ter rächt &#x017F;ich und &#x2014;</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#JUS">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Ju&#x017F;tine</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(&#x017F;chreiend).</stage>
          <p>Ich habe kein La&#x017F;ter unterdrückt!</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FID">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(mit einem Blick auf die zweite Tu&#x0364;re rechts; a&#x0364;rger-<lb/>
lich, lei&#x017F;e).</stage>
          <p>Schrei nicht &#x017F;o! Luz &#x017F;oll &#x017F;chlafen.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#JUS">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Ju&#x017F;tine</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(voll Wut, flu&#x0364;&#x017F;ternd).</stage>
          <p>Wenn du meine Familie<lb/>
be&#x017F;chimpf&#x017F;t!</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FID">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(ganz dicht bei ihr, eifrig).</stage>
          <p>Ha&#x017F;t du denn noch<lb/>
nie von nicht oder ungenügend abreagierten Affekten ge-<lb/>
hört? Die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft hat bewie&#x017F;en. &#x2014;</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#JUS">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Ju&#x017F;tine</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(empo&#x0364;rt, flu&#x0364;&#x017F;ternd).</stage>
          <p>Ich danke für &#x017F;olche Wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en&#x017F;chaft!</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FID">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Übrigens wollt ich dir nur erklären, was ich<lb/>
ein Motiv nenne. <stage>(Setzt &#x017F;ich zu ihr aufs Sofa.)</stage> Das wäre<lb/>
ein Motiv. <stage>(Nachdenklich.)</stage> Aber es trifft auf Luz nicht zu,<lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0061] Fidelis (raſch einfallend). In keiner Familie kann man ſicher ſein — Juſtine (raſch einfallend, heftig widerſprechend). In meiner Familie — Fidelis (raſch einfallend). Es wäre ſogar möglich, daß du ſelbſt — Juſtine (wuͤtend). Ich?! Du wagſt es — Fidelis (ſehr ſchnell). Hör doch erſt! Juſtine (empoͤrt laut). Gott ſei Dank beweiſt mein ganzes in Zucht und Ehren verbrachtes Leben — Fidelis (raſch einfallend; nickend, mit einer gewiſſen Schadenfreude). Ja! eben das — Juſtine (außer ſich). Eben das? Wieſo? Fidelis. Denn ſiehſt du, gerade die Tugend der Eltern, die ſchlägt dann in Kindern oder Enkeln zuweilen um, das unterdrückte Laſter rächt ſich und — Juſtine (ſchreiend). Ich habe kein Laſter unterdrückt! Fidelis (mit einem Blick auf die zweite Tuͤre rechts; aͤrger- lich, leiſe). Schrei nicht ſo! Luz ſoll ſchlafen. Juſtine (voll Wut, fluͤſternd). Wenn du meine Familie beſchimpfſt! Fidelis (ganz dicht bei ihr, eifrig). Haſt du denn noch nie von nicht oder ungenügend abreagierten Affekten ge- hört? Die Wiſſenſchaft hat bewieſen. — Juſtine (empoͤrt, fluͤſternd). Ich danke für ſolche Wiſ- ſenſchaft! Fidelis. Übrigens wollt ich dir nur erklären, was ich ein Motiv nenne. (Setzt ſich zu ihr aufs Sofa.) Das wäre ein Motiv. (Nachdenklich.) Aber es trifft auf Luz nicht zu,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913/61
Zitationshilfe: Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913/61>, abgerufen am 29.04.2024.