Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913.

Bild:
<< vorherige Seite
gen Sie doch Ihrem Mann, daß sich das nicht so von
selbst versteht, betrügen Sie den Herrn doch, Sie haben
geradezu die Pflicht, dem ganzen weiblichen Geschlecht
gegenüber!
Fidelis (nickend). Und manche Frauen haben da nun
ein sehr stark entwickeltes Pflichtgefühl.
Eva. Ach ihr faßt das stets wieder gleich zynisch auf!
Nein, unsere Würde fühlt sich unbefriedigt! (Schmachtend,
seufzend.)
Wie dankbar wären wir einem Mann, bei dem
wir dafür Verständnis fänden! Denn keine Frau kann
ohne Würde leben. (Tonwechsel; wieder ganz gewöhnlich.)
Das heißt, leben!? Man lebt schon! Aber ist das ein
Leben? (Seufzt, man hört draußen die Türe gehen; mit
einem Blick zum blauen Gang, leichthin.)
Da kommt mein
Mann -- sehen Sie, das ist auch ehelich: alles immer
im unpassenden Moment!
Kuno (siebenunddreißig Jahre; groß und schlank; ganz
kurz geschnittenes, sehr dichtes schwarzes Haar, mit einem
weißen Büschel an der rechten Schläfe, das er sorgfältig zu
pflegen scheint; niedrige Stirne, schmales langes blasses Gesicht
mit stark vorspringendem Kinn; lange Wimpern, starke Brauen,
auf englische Art ganz kurz geschnittenen Schnurrbart; das Ge-
sicht verspricht mehr als es hält, es wird einem bald langweilig;
schmale abfallende Schultern, langen Rücken, er beugt sich gern
ein wenig vor und affektiert eine gewisse Müdigkeit, doch merkt
man ihm immerhin noch an, daß er in der preußischen Armee
gedient hat; auffallend schöne, doch etwas weibische Hände, er
trägt einen einzigen Ring mit einem langen dreieckigen Ame-
thyst; er ist von ruhiger, gemessener Höflichkeit, die verhaltene
Energie seines leisen, doch unerbittlichen Tons erinnert etwas
6
gen Sie doch Ihrem Mann, daß ſich das nicht ſo von
ſelbſt verſteht, betrügen Sie den Herrn doch, Sie haben
geradezu die Pflicht, dem ganzen weiblichen Geſchlecht
gegenüber!
Fidelis (nickend). Und manche Frauen haben da nun
ein ſehr ſtark entwickeltes Pflichtgefühl.
Eva. Ach ihr faßt das ſtets wieder gleich zyniſch auf!
Nein, unſere Würde fühlt ſich unbefriedigt! (Schmachtend,
ſeufzend.)
Wie dankbar wären wir einem Mann, bei dem
wir dafür Verſtändnis fänden! Denn keine Frau kann
ohne Würde leben. (Tonwechſel; wieder ganz gewoͤhnlich.)
Das heißt, leben!? Man lebt ſchon! Aber iſt das ein
Leben? (Seufzt, man hoͤrt draußen die Tuͤre gehen; mit
einem Blick zum blauen Gang, leichthin.)
Da kommt mein
Mann — ſehen Sie, das iſt auch ehelich: alles immer
im unpaſſenden Moment!
Kuno (ſiebenunddreißig Jahre; groß und ſchlank; ganz
kurz geſchnittenes, ſehr dichtes ſchwarzes Haar, mit einem
weißen Buͤſchel an der rechten Schlaͤfe, das er ſorgfaͤltig zu
pflegen ſcheint; niedrige Stirne, ſchmales langes blaſſes Geſicht
mit ſtark vorſpringendem Kinn; lange Wimpern, ſtarke Brauen,
auf engliſche Art ganz kurz geſchnittenen Schnurrbart; das Ge-
ſicht verſpricht mehr als es haͤlt, es wird einem bald langweilig;
ſchmale abfallende Schultern, langen Ruͤcken, er beugt ſich gern
ein wenig vor und affektiert eine gewiſſe Muͤdigkeit, doch merkt
man ihm immerhin noch an, daß er in der preußiſchen Armee
gedient hat; auffallend ſchoͤne, doch etwas weibiſche Haͤnde, er
traͤgt einen einzigen Ring mit einem langen dreieckigen Ame-
thyſt; er iſt von ruhiger, gemeſſener Hoͤflichkeit, die verhaltene
Energie ſeines leiſen, doch unerbittlichen Tons erinnert etwas
6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="act">
        <sp who="#EVA">
          <p><pb facs="#f0087" n="81"/>
gen Sie doch Ihrem Mann, daß &#x017F;ich das nicht &#x017F;o von<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;teht, betrügen Sie den Herrn doch, Sie haben<lb/>
geradezu die Pflicht, dem ganzen weiblichen Ge&#x017F;chlecht<lb/>
gegenüber!</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FID">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(nickend).</stage>
          <p>Und manche Frauen haben da nun<lb/>
ein &#x017F;ehr &#x017F;tark entwickeltes Pflichtgefühl.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#EVA">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Eva.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Ach ihr faßt das &#x017F;tets wieder gleich zyni&#x017F;ch auf!<lb/>
Nein, un&#x017F;ere Würde fühlt &#x017F;ich unbefriedigt! <stage>(Schmachtend,<lb/>
&#x017F;eufzend.)</stage> Wie dankbar wären wir einem Mann, bei dem<lb/>
wir dafür Ver&#x017F;tändnis fänden! Denn keine Frau kann<lb/>
ohne Würde leben. <stage>(Tonwech&#x017F;el; wieder ganz gewo&#x0364;hnlich.)</stage><lb/>
Das heißt, leben!? Man lebt &#x017F;chon! Aber i&#x017F;t das ein<lb/>
Leben? <stage>(Seufzt, man ho&#x0364;rt draußen die Tu&#x0364;re gehen; mit<lb/>
einem Blick zum blauen Gang, leichthin.)</stage> Da kommt mein<lb/>
Mann &#x2014; &#x017F;ehen Sie, das i&#x017F;t auch ehelich: alles immer<lb/>
im unpa&#x017F;&#x017F;enden Moment!</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#KUN">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Kuno</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(&#x017F;iebenunddreißig Jahre; groß und &#x017F;chlank; ganz<lb/>
kurz ge&#x017F;chnittenes, &#x017F;ehr dichtes &#x017F;chwarzes Haar, mit einem<lb/>
weißen Bu&#x0364;&#x017F;chel an der rechten Schla&#x0364;fe, das er &#x017F;orgfa&#x0364;ltig zu<lb/>
pflegen &#x017F;cheint; niedrige Stirne, &#x017F;chmales langes bla&#x017F;&#x017F;es Ge&#x017F;icht<lb/>
mit &#x017F;tark vor&#x017F;pringendem Kinn; lange Wimpern, &#x017F;tarke Brauen,<lb/>
auf engli&#x017F;che Art ganz kurz ge&#x017F;chnittenen Schnurrbart; das Ge-<lb/>
&#x017F;icht ver&#x017F;pricht mehr als es ha&#x0364;lt, es wird einem bald langweilig;<lb/>
&#x017F;chmale abfallende Schultern, langen Ru&#x0364;cken, er beugt &#x017F;ich gern<lb/>
ein wenig vor und affektiert eine gewi&#x017F;&#x017F;e Mu&#x0364;digkeit, doch merkt<lb/>
man ihm immerhin noch an, daß er in der preußi&#x017F;chen Armee<lb/>
gedient hat; auffallend &#x017F;cho&#x0364;ne, doch etwas weibi&#x017F;che Ha&#x0364;nde, er<lb/>
tra&#x0364;gt einen einzigen Ring mit einem langen dreieckigen Ame-<lb/>
thy&#x017F;t; er i&#x017F;t von ruhiger, geme&#x017F;&#x017F;ener Ho&#x0364;flichkeit, die verhaltene<lb/>
Energie &#x017F;eines lei&#x017F;en, doch unerbittlichen Tons erinnert etwas<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">6</fw><lb/></stage>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0087] gen Sie doch Ihrem Mann, daß ſich das nicht ſo von ſelbſt verſteht, betrügen Sie den Herrn doch, Sie haben geradezu die Pflicht, dem ganzen weiblichen Geſchlecht gegenüber! Fidelis (nickend). Und manche Frauen haben da nun ein ſehr ſtark entwickeltes Pflichtgefühl. Eva. Ach ihr faßt das ſtets wieder gleich zyniſch auf! Nein, unſere Würde fühlt ſich unbefriedigt! (Schmachtend, ſeufzend.) Wie dankbar wären wir einem Mann, bei dem wir dafür Verſtändnis fänden! Denn keine Frau kann ohne Würde leben. (Tonwechſel; wieder ganz gewoͤhnlich.) Das heißt, leben!? Man lebt ſchon! Aber iſt das ein Leben? (Seufzt, man hoͤrt draußen die Tuͤre gehen; mit einem Blick zum blauen Gang, leichthin.) Da kommt mein Mann — ſehen Sie, das iſt auch ehelich: alles immer im unpaſſenden Moment! Kuno (ſiebenunddreißig Jahre; groß und ſchlank; ganz kurz geſchnittenes, ſehr dichtes ſchwarzes Haar, mit einem weißen Buͤſchel an der rechten Schlaͤfe, das er ſorgfaͤltig zu pflegen ſcheint; niedrige Stirne, ſchmales langes blaſſes Geſicht mit ſtark vorſpringendem Kinn; lange Wimpern, ſtarke Brauen, auf engliſche Art ganz kurz geſchnittenen Schnurrbart; das Ge- ſicht verſpricht mehr als es haͤlt, es wird einem bald langweilig; ſchmale abfallende Schultern, langen Ruͤcken, er beugt ſich gern ein wenig vor und affektiert eine gewiſſe Muͤdigkeit, doch merkt man ihm immerhin noch an, daß er in der preußiſchen Armee gedient hat; auffallend ſchoͤne, doch etwas weibiſche Haͤnde, er traͤgt einen einzigen Ring mit einem langen dreieckigen Ame- thyſt; er iſt von ruhiger, gemeſſener Hoͤflichkeit, die verhaltene Energie ſeines leiſen, doch unerbittlichen Tons erinnert etwas 6

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913/87
Zitationshilfe: Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913/87>, abgerufen am 29.04.2024.