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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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die Apokalypse des heiligen Johannes las, zeigt deutlich genug
die christliche Hilfsbereitschaft, die ihn zu seiner Kritik des
Eigentums führte. Ist es ein Zufall, dass jene beiden Männer,
die Bakunin die Begründer des revolutionären Sozialismus
nennt 80), Cabet und Louis Blanc, zugleich revolutionäre
Christen waren?

Weitling hat nach Franz Mehring "die Schranke nieder-
geworfen, die die Utopisten des Westens von der Arbeiter-
klasse schied". Das ist Weitlings historisches Verdienst, nicht
aber seine heutige Bedeutung.

"Nachdem die französische Revolution eines jeden In-
dividuums Menschenrechte und -pflichten proklamiert hatte",
schreibt Bakunin 81), gelangte sie in ihrer letzten Konsequenz
zum Babouvismus. Babeuf, einer der letzten reinen und
energischen Charaktere, deren die Revolution so viele ge-
schaffen und wieder vernichtet hat, vereinigte in einzig-
artiger Weise die alten politischen Traditionen seines Landes
mit den modernsten Ideen einer sozialen Revolution. Als
er sah, dass die Revolution in ihrer ökonomischen Lage
unmöglich und einer weiteren radikalen Aenderung unfähig
geworden war
82), schuf er, getreu dem Geiste dieser Revolu-
tion, die am Ende doch jede individuelle Initiative durch
die allmähliche Staatsaktion ersetzt hatte, ein politisch-soziales
System, nach welchem die Republik als Ausdruck des
Kollektivwillens der Bürger alles individuelle Vermögen
konfiszieren und es im Interesse aller verwalten sollte. Zu
gleichen Bedingungen sollten jedermann Erziehung, Unter-
richt, Existenzmittel, Vermögen zukommen, und jedermann
ohne Ausnahme sollten gezwungen sein, nach Massgabe
seiner Kräfte und Fähigkeiten ebenso Muskel- wie Nerven-
arbeit zu leisten. Die Babeuf'sche Verschwörung misslang.
Er wurde mit mehreren seiner Freunde guillotiniert. Aber
sein Ideal einer sozialistischen Republik starb nicht mit
ihm. Seine Idee wurde von seinem Freunde Buonarotti,
dem grössten Konspirator seines Jahrhunderts, in ihren

die Apokalypse des heiligen Johannes las, zeigt deutlich genug
die christliche Hilfsbereitschaft, die ihn zu seiner Kritik des
Eigentums führte. Ist es ein Zufall, dass jene beiden Männer,
die Bakunin die Begründer des revolutionären Sozialismus
nennt 80), Cabet und Louis Blanc, zugleich revolutionäre
Christen waren?

Weitling hat nach Franz Mehring „die Schranke nieder-
geworfen, die die Utopisten des Westens von der Arbeiter-
klasse schied“. Das ist Weitlings historisches Verdienst, nicht
aber seine heutige Bedeutung.

„Nachdem die französische Revolution eines jeden In-
dividuums Menschenrechte und -pflichten proklamiert hatte“,
schreibt Bakunin 81), gelangte sie in ihrer letzten Konsequenz
zum Babouvismus. Babeuf, einer der letzten reinen und
energischen Charaktere, deren die Revolution so viele ge-
schaffen und wieder vernichtet hat, vereinigte in einzig-
artiger Weise die alten politischen Traditionen seines Landes
mit den modernsten Ideen einer sozialen Revolution. Als
er sah, dass die Revolution in ihrer ökonomischen Lage
unmöglich und einer weiteren radikalen Aenderung unfähig
geworden war
82), schuf er, getreu dem Geiste dieser Revolu-
tion, die am Ende doch jede individuelle Initiative durch
die allmähliche Staatsaktion ersetzt hatte, ein politisch-soziales
System, nach welchem die Republik als Ausdruck des
Kollektivwillens der Bürger alles individuelle Vermögen
konfiszieren und es im Interesse aller verwalten sollte. Zu
gleichen Bedingungen sollten jedermann Erziehung, Unter-
richt, Existenzmittel, Vermögen zukommen, und jedermann
ohne Ausnahme sollten gezwungen sein, nach Massgabe
seiner Kräfte und Fähigkeiten ebenso Muskel- wie Nerven-
arbeit zu leisten. Die Babeuf'sche Verschwörung misslang.
Er wurde mit mehreren seiner Freunde guillotiniert. Aber
sein Ideal einer sozialistischen Republik starb nicht mit
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dem grössten Konspirator seines Jahrhunderts, in ihren

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[159/0167] die Apokalypse des heiligen Johannes las, zeigt deutlich genug die christliche Hilfsbereitschaft, die ihn zu seiner Kritik des Eigentums führte. Ist es ein Zufall, dass jene beiden Männer, die Bakunin die Begründer des revolutionären Sozialismus nennt ⁸⁰⁾ , Cabet und Louis Blanc, zugleich revolutionäre Christen waren? Weitling hat nach Franz Mehring „die Schranke nieder- geworfen, die die Utopisten des Westens von der Arbeiter- klasse schied“. Das ist Weitlings historisches Verdienst, nicht aber seine heutige Bedeutung. „Nachdem die französische Revolution eines jeden In- dividuums Menschenrechte und -pflichten proklamiert hatte“, schreibt Bakunin ⁸¹⁾ , gelangte sie in ihrer letzten Konsequenz zum Babouvismus. Babeuf, einer der letzten reinen und energischen Charaktere, deren die Revolution so viele ge- schaffen und wieder vernichtet hat, vereinigte in einzig- artiger Weise die alten politischen Traditionen seines Landes mit den modernsten Ideen einer sozialen Revolution. Als er sah, dass die Revolution in ihrer ökonomischen Lage unmöglich und einer weiteren radikalen Aenderung unfähig geworden war ⁸²⁾ , schuf er, getreu dem Geiste dieser Revolu- tion, die am Ende doch jede individuelle Initiative durch die allmähliche Staatsaktion ersetzt hatte, ein politisch-soziales System, nach welchem die Republik als Ausdruck des Kollektivwillens der Bürger alles individuelle Vermögen konfiszieren und es im Interesse aller verwalten sollte. Zu gleichen Bedingungen sollten jedermann Erziehung, Unter- richt, Existenzmittel, Vermögen zukommen, und jedermann ohne Ausnahme sollten gezwungen sein, nach Massgabe seiner Kräfte und Fähigkeiten ebenso Muskel- wie Nerven- arbeit zu leisten. Die Babeuf'sche Verschwörung misslang. Er wurde mit mehreren seiner Freunde guillotiniert. Aber sein Ideal einer sozialistischen Republik starb nicht mit ihm. Seine Idee wurde von seinem Freunde Buonarotti, dem grössten Konspirator seines Jahrhunderts, in ihren

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/167>, abgerufen am 01.05.2024.