Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

Bild:
<< vorherige Seite

französischen überlegen ist. Ihr Uebergewicht auf dem
Welttheater (!) wäre zugleich das Uebergewicht unserer
Theorie über die Proudhons" 71). Eine seltsame Logik und
Argumentation: preussische Siege bringen das "Ueberge-
wicht" über die Theorie Proudhons! Unterscheidet sich
diese Ansicht von der Lassalles, dass durch das Schwert
zuletzt alles Herrliche vollendet wird?

Brupbacher leitet Marxens geringe Wertung des Frei-
heitsbegriffes aus der "Besitznahme von Marx durch Hegel"
ab. "Marx wird durch Hegel zum Propheten der Idee der
historischen Notwendigkeit für die Vergangenheit, aber auch
für die Zukunft. Er wird Mitwisser der Gesetze des Welt-
geistes und erhält das harte rücksichtslose Selbstbewusstsein
der Wissenden gegenüber den Unwissenden. Er wird wie
Engels die Schweizer, die für ihre Freiheit kämpfen, Re-
aktionäre schelten, weil die Weltgeschichte Zentralisation
verlangt und sie für Föderalismus und Freiheit eintreten.
Er hat nicht das Bewusstsein, ein Autoritär zu sein, aber
er weiss, die Weltgeschichte ist autoritär, und er ist ihr
Diener auf Erden" 72). Das heisst idealistische Erklärungen
finden für sehr materielle Beweggründe. Es ging um die
Macht, und Marx wusste das Proletariat tüchtig zu hand-
haben.

Ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, wo der
Weltgeist mit Preussen denn eigentlich hinwollte und ob
der Weltgeist nicht samt Preussen zum Teufel unterwegs
sei, trat Marx bereits 1852 gegen Bonaparte auf. Und die
zweite Auflage seiner Schrift "Der achtzehnte Brumaire des
Louis Bonaparte" erschien just 1869, als der deutsch-
französische Krieg vor der Türe stand! Statt den österreichisch-
preussischen Rivalitätsstreit um die deutsche Kaiserkrone
seiner hohen Aufmerksamkeit zu würdigen, wandte er sich
1866 in seinem Pamphlet "Herr Vogt" wiederholt mit den
heftigsten Ausfällen gegen die "verrottete bonapartistische
Wirtschaft". Statt die Thronbesteigung Wilhelm I., die Heeres-

französischen überlegen ist. Ihr Uebergewicht auf dem
Welttheater (!) wäre zugleich das Uebergewicht unserer
Theorie über die Proudhons“ 71). Eine seltsame Logik und
Argumentation: preussische Siege bringen das „Ueberge-
wicht“ über die Theorie Proudhons! Unterscheidet sich
diese Ansicht von der Lassalles, dass durch das Schwert
zuletzt alles Herrliche vollendet wird?

Brupbacher leitet Marxens geringe Wertung des Frei-
heitsbegriffes aus der „Besitznahme von Marx durch Hegel“
ab. „Marx wird durch Hegel zum Propheten der Idee der
historischen Notwendigkeit für die Vergangenheit, aber auch
für die Zukunft. Er wird Mitwisser der Gesetze des Welt-
geistes und erhält das harte rücksichtslose Selbstbewusstsein
der Wissenden gegenüber den Unwissenden. Er wird wie
Engels die Schweizer, die für ihre Freiheit kämpfen, Re-
aktionäre schelten, weil die Weltgeschichte Zentralisation
verlangt und sie für Föderalismus und Freiheit eintreten.
Er hat nicht das Bewusstsein, ein Autoritär zu sein, aber
er weiss, die Weltgeschichte ist autoritär, und er ist ihr
Diener auf Erden“ 72). Das heisst idealistische Erklärungen
finden für sehr materielle Beweggründe. Es ging um die
Macht, und Marx wusste das Proletariat tüchtig zu hand-
haben.

Ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, wo der
Weltgeist mit Preussen denn eigentlich hinwollte und ob
der Weltgeist nicht samt Preussen zum Teufel unterwegs
sei, trat Marx bereits 1852 gegen Bonaparte auf. Und die
zweite Auflage seiner Schrift „Der achtzehnte Brumaire des
Louis Bonaparte“ erschien just 1869, als der deutsch-
französische Krieg vor der Türe stand! Statt den österreichisch-
preussischen Rivalitätsstreit um die deutsche Kaiserkrone
seiner hohen Aufmerksamkeit zu würdigen, wandte er sich
1866 in seinem Pamphlet „Herr Vogt“ wiederholt mit den
heftigsten Ausfällen gegen die „verrottete bonapartistische
Wirtschaft“. Statt die Thronbesteigung Wilhelm I., die Heeres-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0208" n="200"/>
französischen überlegen ist. Ihr Uebergewicht auf dem<lb/>
Welttheater (!) wäre zugleich das Uebergewicht unserer<lb/>
Theorie über die Proudhons&#x201C; <note xml:id="id71d" next="id71d71d" place="end" n="71)"/>. Eine seltsame Logik und<lb/>
Argumentation: preussische Siege bringen das &#x201E;Ueberge-<lb/>
wicht&#x201C; über die Theorie Proudhons! Unterscheidet sich<lb/>
diese Ansicht von der Lassalles, dass durch das Schwert<lb/>
zuletzt alles Herrliche vollendet wird?</p><lb/>
          <p>Brupbacher leitet Marxens geringe Wertung des Frei-<lb/>
heitsbegriffes aus der &#x201E;Besitznahme von Marx durch Hegel&#x201C;<lb/>
ab. &#x201E;Marx wird durch Hegel zum Propheten der Idee der<lb/>
historischen Notwendigkeit für die Vergangenheit, aber auch<lb/>
für die Zukunft. Er wird Mitwisser der Gesetze des Welt-<lb/>
geistes und erhält das harte rücksichtslose Selbstbewusstsein<lb/>
der Wissenden gegenüber den Unwissenden. Er wird wie<lb/>
Engels die Schweizer, die für ihre Freiheit kämpfen, Re-<lb/>
aktionäre schelten, weil die Weltgeschichte Zentralisation<lb/>
verlangt und sie für Föderalismus und Freiheit eintreten.<lb/>
Er hat nicht das Bewusstsein, ein Autoritär zu sein, aber<lb/>
er weiss, die Weltgeschichte ist autoritär, und er ist ihr<lb/>
Diener auf Erden&#x201C; <note xml:id="id72d" next="id72d72d" place="end" n="72)"/>. Das heisst idealistische Erklärungen<lb/>
finden für sehr materielle Beweggründe. Es ging um die<lb/>
Macht, und Marx wusste das Proletariat tüchtig zu hand-<lb/>
haben.</p><lb/>
          <p>Ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, wo der<lb/>
Weltgeist mit Preussen denn eigentlich hinwollte und ob<lb/>
der Weltgeist nicht samt Preussen zum Teufel unterwegs<lb/>
sei, trat Marx bereits 1852 gegen Bonaparte auf. Und die<lb/>
zweite Auflage seiner Schrift &#x201E;Der achtzehnte Brumaire des<lb/>
Louis Bonaparte&#x201C; erschien just 1869, als der deutsch-<lb/>
französische Krieg vor der Türe stand! Statt den österreichisch-<lb/>
preussischen Rivalitätsstreit um die deutsche Kaiserkrone<lb/>
seiner hohen Aufmerksamkeit zu würdigen, wandte er sich<lb/>
1866 in seinem Pamphlet &#x201E;Herr Vogt&#x201C; wiederholt mit den<lb/>
heftigsten Ausfällen gegen die &#x201E;verrottete bonapartistische<lb/>
Wirtschaft&#x201C;. Statt die Thronbesteigung Wilhelm I., die Heeres-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0208] französischen überlegen ist. Ihr Uebergewicht auf dem Welttheater (!) wäre zugleich das Uebergewicht unserer Theorie über die Proudhons“ ⁷¹⁾ . Eine seltsame Logik und Argumentation: preussische Siege bringen das „Ueberge- wicht“ über die Theorie Proudhons! Unterscheidet sich diese Ansicht von der Lassalles, dass durch das Schwert zuletzt alles Herrliche vollendet wird? Brupbacher leitet Marxens geringe Wertung des Frei- heitsbegriffes aus der „Besitznahme von Marx durch Hegel“ ab. „Marx wird durch Hegel zum Propheten der Idee der historischen Notwendigkeit für die Vergangenheit, aber auch für die Zukunft. Er wird Mitwisser der Gesetze des Welt- geistes und erhält das harte rücksichtslose Selbstbewusstsein der Wissenden gegenüber den Unwissenden. Er wird wie Engels die Schweizer, die für ihre Freiheit kämpfen, Re- aktionäre schelten, weil die Weltgeschichte Zentralisation verlangt und sie für Föderalismus und Freiheit eintreten. Er hat nicht das Bewusstsein, ein Autoritär zu sein, aber er weiss, die Weltgeschichte ist autoritär, und er ist ihr Diener auf Erden“ ⁷²⁾ . Das heisst idealistische Erklärungen finden für sehr materielle Beweggründe. Es ging um die Macht, und Marx wusste das Proletariat tüchtig zu hand- haben. Ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, wo der Weltgeist mit Preussen denn eigentlich hinwollte und ob der Weltgeist nicht samt Preussen zum Teufel unterwegs sei, trat Marx bereits 1852 gegen Bonaparte auf. Und die zweite Auflage seiner Schrift „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ erschien just 1869, als der deutsch- französische Krieg vor der Türe stand! Statt den österreichisch- preussischen Rivalitätsstreit um die deutsche Kaiserkrone seiner hohen Aufmerksamkeit zu würdigen, wandte er sich 1866 in seinem Pamphlet „Herr Vogt“ wiederholt mit den heftigsten Ausfällen gegen die „verrottete bonapartistische Wirtschaft“. Statt die Thronbesteigung Wilhelm I., die Heeres-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-02-17T09:20:45Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-02-17T09:20:45Z)

Weitere Informationen:

  • Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/208
Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/208>, abgerufen am 29.04.2024.