Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Barclay, John (Übers. Martin Opitz): Johann Barclaÿens Argenis Deutsch gemacht durch Martin Opitzen. Breslau, 1626.

Bild:
<< vorherige Seite

Joh. Barclayens Argenis/
schafft darumb trugen/ herauß gegangen waren/
wardt die treweste Sicambre auß dem nechsten
Gemache hienein gelassen/ die der Königin jhren
Sohn zwischen die Knie stellete. Die Königin er-
laubete mir darbey zu seyn; was ich aber gesehen
vnd gehöret habe/ kan ich mit keinen Worten/
mit keinem Fleisse nach Würden/ beschreiben. Al-
so war die Frewde/ das Mitleiden/ der Schmertz/
die Threnen/ vnd die Süssigkeit der Liebe bey der
Königin ohn alle masse. Sie hielte durch einen
langen Seufftzer die Sprache vnd Gewalt deran-
deren Zuneigungen an/ ergrieffe letzlich das Kindt/
vnd druckte es so harte an die Brust/ daß es beyden
weh thun mögen. Sie vermochte sich auch an einer-
ley Anschawen nicht zubegnügen; zohe jhn baldt ein
wenig von sich/ sein Antlitz/ die Augen vnd die gan-
tze Beschaffenheit deß Leibes mit freyerem Anblick
zu betrachten: Bald schloß sie jhn auß plötzlicher Ge-
walt der Liebe wiederumb in die Armen/ vnd küssete
jhn/ in Verwunderung vber seinen hohen Gaben.
Gleich ob alles was sie an jhrem Sohne sahe das
jhrige were/ schätzte sie selber sich höher; ich glaube
auch daß sie jhn auß geschwinder Begier damals
schon zu jhrem Rächer bestimmete/ vnd den Commin-
dorir anfieng zuverachten. Die Liebe/ so durch diese
heimliche Besitzung noch mehr gereitzet ward/ ge-
naß jrer Glückseligkeit eylends; als sie aber bedach-
te/ daß es an ein scheiden gehen würde/ verwandelte
sich die vnermäßliche Fröligkeit in eine bittere Be-

klagung.

Joh. Barclayens Argenis/
ſchafft darumb trugen/ herauß gegangen waren/
wardt die treweſte Sicambre auß dem nechſten
Gemache hienein gelaſſen/ die der Koͤnigin jhren
Sohn zwiſchen die Knie ſtellete. Die Koͤnigin er-
laubete mir darbey zu ſeyn; was ich aber geſehen
vnd gehoͤret habe/ kan ich mit keinen Worten/
mit keinem Fleiſſe nach Wuͤrden/ beſchreiben. Al-
ſo war die Frewde/ das Mitleiden/ der Schmertz/
die Threnen/ vnd die Suͤſſigkeit der Liebe bey der
Koͤnigin ohn alle maſſe. Sie hielte durch einen
langen Seufftzer die Sprache vnd Gewalt deran-
deren Zuneigungen an/ ergrieffe letzlich das Kindt/
vnd druckte es ſo harte an die Bruſt/ daß es beyden
weh thun moͤgẽ. Sie vermochte ſich auch an einer-
ley Anſchawen nicht zubegnuͤgen; zohe jhn baldt ein
wenig von ſich/ ſein Antlitz/ die Augen vnd die gan-
tze Beſchaffenheit deß Leibes mit freyerem Anblick
zu betrachtẽ: Bald ſchloß ſie jhn auß ploͤtzlicher Ge-
walt der Liebe wiederumb in die Armen/ vnd kuͤſſete
jhn/ in Verwunderung vber ſeinen hohen Gaben.
Gleich ob alles was ſie an jhrem Sohne ſahe das
jhrige were/ ſchaͤtzte ſie ſelber ſich hoͤher; ich glaube
auch daß ſie jhn auß geſchwinder Begier damals
ſchon zu jhrem Raͤcher beſtim̃ete/ vñ den Commin-
dorir anfieng zuverachten. Die Liebe/ ſo durch dieſe
heimliche Beſitzung noch mehr gereitzet ward/ ge-
naß jrer Gluͤckſeligkeit eylends; als ſie aber bedach-
te/ daß es an ein ſcheiden gehen wuͤrde/ verwandelte
ſich die vnermaͤßliche Froͤligkeit in eine bittere Be-

klagung.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0750" n="706"/><fw place="top" type="header">Joh. Barclayens Argenis/</fw><lb/>
&#x017F;chafft darumb trugen/ herauß gegangen waren/<lb/>
wardt die trewe&#x017F;te Sicambre auß dem nech&#x017F;ten<lb/>
Gemache hienein gela&#x017F;&#x017F;en/ die der Ko&#x0364;nigin jhren<lb/>
Sohn zwi&#x017F;chen die Knie &#x017F;tellete. Die Ko&#x0364;nigin er-<lb/>
laubete mir darbey zu &#x017F;eyn; was ich aber ge&#x017F;ehen<lb/>
vnd geho&#x0364;ret habe/ kan ich mit keinen Worten/<lb/>
mit keinem Flei&#x017F;&#x017F;e nach Wu&#x0364;rden/ be&#x017F;chreiben. Al-<lb/>
&#x017F;o war die Frewde/ das Mitleiden/ der Schmertz/<lb/>
die Threnen/ vnd die Su&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit der Liebe bey der<lb/>
Ko&#x0364;nigin ohn alle ma&#x017F;&#x017F;e. Sie hielte durch einen<lb/>
langen Seufftzer die Sprache vnd Gewalt deran-<lb/>
deren Zuneigungen an/ ergrieffe letzlich das Kindt/<lb/>
vnd druckte es &#x017F;o harte an die Bru&#x017F;t/ daß es beyden<lb/>
weh thun mo&#x0364;ge&#x0303;. Sie vermochte &#x017F;ich auch an einer-<lb/>
ley An&#x017F;chawen nicht zubegnu&#x0364;gen; zohe jhn baldt ein<lb/>
wenig von &#x017F;ich/ &#x017F;ein Antlitz/ die Augen vnd die gan-<lb/>
tze Be&#x017F;chaffenheit deß Leibes mit freyerem Anblick<lb/>
zu betrachte&#x0303;: Bald &#x017F;chloß &#x017F;ie jhn auß plo&#x0364;tzlicher Ge-<lb/>
walt der Liebe wiederumb in die Armen/ vnd ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;ete<lb/>
jhn/ in Verwunderung vber &#x017F;einen hohen Gaben.<lb/>
Gleich ob alles was &#x017F;ie an jhrem Sohne &#x017F;ahe das<lb/>
jhrige were/ &#x017F;cha&#x0364;tzte &#x017F;ie &#x017F;elber &#x017F;ich ho&#x0364;her; ich glaube<lb/>
auch daß &#x017F;ie jhn auß ge&#x017F;chwinder Begier damals<lb/>
&#x017F;chon zu jhrem Ra&#x0364;cher be&#x017F;tim&#x0303;ete/ vn&#x0303; den Commin-<lb/>
dorir anfieng zuverachten. Die Liebe/ &#x017F;o durch die&#x017F;e<lb/>
heimliche Be&#x017F;itzung noch mehr gereitzet ward/ ge-<lb/>
naß jrer Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit eylends; als &#x017F;ie aber bedach-<lb/>
te/ daß es an ein &#x017F;cheiden gehen wu&#x0364;rde/ verwandelte<lb/>
&#x017F;ich die vnerma&#x0364;ßliche Fro&#x0364;ligkeit in eine bittere Be-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">klagung.</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[706/0750] Joh. Barclayens Argenis/ ſchafft darumb trugen/ herauß gegangen waren/ wardt die treweſte Sicambre auß dem nechſten Gemache hienein gelaſſen/ die der Koͤnigin jhren Sohn zwiſchen die Knie ſtellete. Die Koͤnigin er- laubete mir darbey zu ſeyn; was ich aber geſehen vnd gehoͤret habe/ kan ich mit keinen Worten/ mit keinem Fleiſſe nach Wuͤrden/ beſchreiben. Al- ſo war die Frewde/ das Mitleiden/ der Schmertz/ die Threnen/ vnd die Suͤſſigkeit der Liebe bey der Koͤnigin ohn alle maſſe. Sie hielte durch einen langen Seufftzer die Sprache vnd Gewalt deran- deren Zuneigungen an/ ergrieffe letzlich das Kindt/ vnd druckte es ſo harte an die Bruſt/ daß es beyden weh thun moͤgẽ. Sie vermochte ſich auch an einer- ley Anſchawen nicht zubegnuͤgen; zohe jhn baldt ein wenig von ſich/ ſein Antlitz/ die Augen vnd die gan- tze Beſchaffenheit deß Leibes mit freyerem Anblick zu betrachtẽ: Bald ſchloß ſie jhn auß ploͤtzlicher Ge- walt der Liebe wiederumb in die Armen/ vnd kuͤſſete jhn/ in Verwunderung vber ſeinen hohen Gaben. Gleich ob alles was ſie an jhrem Sohne ſahe das jhrige were/ ſchaͤtzte ſie ſelber ſich hoͤher; ich glaube auch daß ſie jhn auß geſchwinder Begier damals ſchon zu jhrem Raͤcher beſtim̃ete/ vñ den Commin- dorir anfieng zuverachten. Die Liebe/ ſo durch dieſe heimliche Beſitzung noch mehr gereitzet ward/ ge- naß jrer Gluͤckſeligkeit eylends; als ſie aber bedach- te/ daß es an ein ſcheiden gehen wuͤrde/ verwandelte ſich die vnermaͤßliche Froͤligkeit in eine bittere Be- klagung.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/barclay_argenis_1626
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/barclay_argenis_1626/750
Zitationshilfe: Barclay, John (Übers. Martin Opitz): Johann Barclaÿens Argenis Deutsch gemacht durch Martin Opitzen. Breslau, 1626, S. 706. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/barclay_argenis_1626/750>, abgerufen am 16.06.2024.