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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

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Jetzt indess erkennt sich, dass jede Wissenschaft, die des
Wissens werth ist, in das wirkliche Leben, auf directem oder
indirectem Wege, eingreifen muss. Manche jener anschei-
nendlich unfruchtbaren sind durch die Fortleitung natürlicher
Verknüpfungsfäden bereits in fruchtbringende Quellen über-
geführt, und nicht am schlechtesten wird solche Proben die
Ethnologie bestehen, auf Grund der von ihr für unsere recht-
lichen und socialen Verhältnisse gelieferten Controlle, be-
gründet in ihren bis zu den Praeexistenzen der religiösen
Vorgedanken vertieften Schachten, in tiefste Gründe hinab,
um die für Selbsterkenntniss angeschlagenen Schätze zu heben.

Aus den (nach der in allgemeine Natur verschlungenen
des Menschen) im Geiste liegenden Keimen wächst durch
die sinnliche Wahrnehmung genährt, der Denkorganismus
unter den Formen der Categorien in den Phasen seiner
Entwickelung zur Gestaltung empor, zur Gestaltung der
an dem ethnischen Horizont projicirten Schöpfungen.

Von dem Sinnlichen in Raum und Zeit gebannt, trägt
die Spuren ihrer Fesseln der Denkprocess, doch wenn in
allen seinen Fäden durch drängende Reize erregt, dann
schwillt er an im Gegenstrom, und im vollen Schwunge des
Wachsthums ringt er sich frei, fortschreitend hinüber, bis
zu ahnender Annäherung an das Unendliche und Ewige.

Indem uns überall mit eiserner Nothwendigkeit der
gleichartige Gedanke unter seinen localen Variationen aus
den fünf Continenten entgegentritt, lässt sich hier die Con-
trolle der Identität direct schon auf die Gesetze prüfen, die
zu Grunde liegen, und auch bei dem freieren Schwung der
an Kraft gewinnenden Entwickelung würde sich die Fort-
leitung*) festhalten lassen müssen, soweit die mit den Com-

*) Je höher, complicirter und mannigfaltiger der Organismus ist, desto
unabhängiger ist seine Individualität von dem erzeugenden Individuum,
desto mehr ist (in der Pflanzenwelt) seine Eigenthümlichkeit eigenes Ver-
dienst, und nicht ererbte Anlage (s. Nägeli).
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Jetzt indess erkennt sich, dass jede Wissenschaft, die des
Wissens werth ist, in das wirkliche Leben, auf directem oder
indirectem Wege, eingreifen muss. Manche jener anschei-
nendlich unfruchtbaren sind durch die Fortleitung natürlicher
Verknüpfungsfäden bereits in fruchtbringende Quellen über-
geführt, und nicht am schlechtesten wird solche Proben die
Ethnologie bestehen, auf Grund der von ihr für unsere recht-
lichen und socialen Verhältnisse gelieferten Controlle, be-
gründet in ihren bis zu den Praeexistenzen der religiösen
Vorgedanken vertieften Schachten, in tiefste Gründe hinab,
um die für Selbsterkenntniss angeschlagenen Schätze zu heben.

Aus den (nach der in allgemeine Natur verschlungenen
des Menschen) im Geiste liegenden Keimen wächst durch
die sinnliche Wahrnehmung genährt, der Denkorganismus
unter den Formen der Categorien in den Phasen seiner
Entwickelung zur Gestaltung empor, zur Gestaltung der
an dem ethnischen Horizont projicirten Schöpfungen.

Von dem Sinnlichen in Raum und Zeit gebannt, trägt
die Spuren ihrer Fesseln der Denkprocess, doch wenn in
allen seinen Fäden durch drängende Reize erregt, dann
schwillt er an im Gegenstrom, und im vollen Schwunge des
Wachsthums ringt er sich frei, fortschreitend hinüber, bis
zu ahnender Annäherung an das Unendliche und Ewige.

Indem uns überall mit eiserner Nothwendigkeit der
gleichartige Gedanke unter seinen localen Variationen aus
den fünf Continenten entgegentritt, lässt sich hier die Con-
trolle der Identität direct schon auf die Gesetze prüfen, die
zu Grunde liegen, und auch bei dem freieren Schwung der
an Kraft gewinnenden Entwickelung würde sich die Fort-
leitung*) festhalten lassen müssen, soweit die mit den Com-

*) Je höher, complicirter und mannigfaltiger der Organismus ist, desto
unabhängiger ist seine Individualität von dem erzeugenden Individuum,
desto mehr ist (in der Pflanzenwelt) seine Eigenthümlichkeit eigenes Ver-
dienst, und nicht ererbte Anlage (s. Nägeli).
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[3/0037] Jetzt indess erkennt sich, dass jede Wissenschaft, die des Wissens werth ist, in das wirkliche Leben, auf directem oder indirectem Wege, eingreifen muss. Manche jener anschei- nendlich unfruchtbaren sind durch die Fortleitung natürlicher Verknüpfungsfäden bereits in fruchtbringende Quellen über- geführt, und nicht am schlechtesten wird solche Proben die Ethnologie bestehen, auf Grund der von ihr für unsere recht- lichen und socialen Verhältnisse gelieferten Controlle, be- gründet in ihren bis zu den Praeexistenzen der religiösen Vorgedanken vertieften Schachten, in tiefste Gründe hinab, um die für Selbsterkenntniss angeschlagenen Schätze zu heben. Aus den (nach der in allgemeine Natur verschlungenen des Menschen) im Geiste liegenden Keimen wächst durch die sinnliche Wahrnehmung genährt, der Denkorganismus unter den Formen der Categorien in den Phasen seiner Entwickelung zur Gestaltung empor, zur Gestaltung der an dem ethnischen Horizont projicirten Schöpfungen. Von dem Sinnlichen in Raum und Zeit gebannt, trägt die Spuren ihrer Fesseln der Denkprocess, doch wenn in allen seinen Fäden durch drängende Reize erregt, dann schwillt er an im Gegenstrom, und im vollen Schwunge des Wachsthums ringt er sich frei, fortschreitend hinüber, bis zu ahnender Annäherung an das Unendliche und Ewige. Indem uns überall mit eiserner Nothwendigkeit der gleichartige Gedanke unter seinen localen Variationen aus den fünf Continenten entgegentritt, lässt sich hier die Con- trolle der Identität direct schon auf die Gesetze prüfen, die zu Grunde liegen, und auch bei dem freieren Schwung der an Kraft gewinnenden Entwickelung würde sich die Fort- leitung *) festhalten lassen müssen, soweit die mit den Com- *) Je höher, complicirter und mannigfaltiger der Organismus ist, desto unabhängiger ist seine Individualität von dem erzeugenden Individuum, desto mehr ist (in der Pflanzenwelt) seine Eigenthümlichkeit eigenes Ver- dienst, und nicht ererbte Anlage (s. Nägeli). 1*

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Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/37>, abgerufen am 29.04.2024.