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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Holzschläger und Flößer.
Wie dem Verbrecher, ehe der Henker seinen Schwertstreich führt,
das Haar aus dem Nacken geschoren wird, so entblößt auch hier
des Holzers Hand den Stamm von den Epheu-Fesseln oder dicken
Moospolstern, die an dem starken Baum ihr kleines, ärmliches
Schmarotzerleben fristeten. Jetzt blitzt es hell im Sonnenscheine!
Hieb um Hieb durchhallt den weiten, stillen Wald, und immer tiefer
dringt die Mordaxt ein. Zischend fliegen die Spähne durch die
Luft, immer größer wird die Wunde, immer näher kommt sie dem
innersten gesunden Kern des Stammes. Nun reicht das Beil nicht
mehr. Nach kurzer Rast greifen die Holzknechte zur Säge. Es
ist ein gefährlicher Stand, den sie einnehmen, denn vor ihren
Blicken gehts jäh hinab. Am Wurzelgeflecht des Baumes, den sie
tödten, wühlt sich ihr Absatz in die Erde. Nun Riß um Riß und
Schnitt um Schnitt gehts immer tiefer von der anderen, gesunden
Seite her, der Hiebwunde entgegen, bis auch hier die schwache
Menschenkraft erlahmt und das Mordinstrument den Dienst ver¬
sagt. Da kommt das letzte Martermittel für den schönen, resignirt
seinem Ende entgegensehenden Baum: der breite Keil muß die
klaffende Spalte erweitern, und leichter arbeitet nun der fressende
Zahn der Säge fort. Jetzt stöhnts wie Todesschauern aus dem
Baum; der Wipfel zittert, leise schwankend wogt er hin und her;
noch wehrt er sich, noch will die urgesunde, feste, stramme Kraft,
die in ihm wohnt, ihn halten, -- da reißt der letzte Lebensfaden,
ein knatterndes Zerbersten, und gebrochen sinkt die Säule des
Waldes im sausenden Sturze jach hinab, bis irgend ein anderer
Stamm, ein hervorragender Felsenzahn seine wilde Flucht aufhält.
Schon mancher Holzer wurde von den Aesten des gegen den Berg
stürzenden Baumes, wenn sie nicht genügend abgeschlagen waren,
von seinem Posten hinweggefegt und in die Tiefe geschleudert.

So geht das Schlachten fort. So oft eine Partie am Boden
liegt, beginnt das Zertheilen des Stammes in Blöcke oder "borre"
von gewisser Länge und das Abschälen der Rinde oder "strapina".

Holzſchläger und Flößer.
Wie dem Verbrecher, ehe der Henker ſeinen Schwertſtreich führt,
das Haar aus dem Nacken geſchoren wird, ſo entblößt auch hier
des Holzers Hand den Stamm von den Epheu-Feſſeln oder dicken
Moospolſtern, die an dem ſtarken Baum ihr kleines, ärmliches
Schmarotzerleben friſteten. Jetzt blitzt es hell im Sonnenſcheine!
Hieb um Hieb durchhallt den weiten, ſtillen Wald, und immer tiefer
dringt die Mordaxt ein. Ziſchend fliegen die Spähne durch die
Luft, immer größer wird die Wunde, immer näher kommt ſie dem
innerſten geſunden Kern des Stammes. Nun reicht das Beil nicht
mehr. Nach kurzer Raſt greifen die Holzknechte zur Säge. Es
iſt ein gefährlicher Stand, den ſie einnehmen, denn vor ihren
Blicken gehts jäh hinab. Am Wurzelgeflecht des Baumes, den ſie
tödten, wühlt ſich ihr Abſatz in die Erde. Nun Riß um Riß und
Schnitt um Schnitt gehts immer tiefer von der anderen, geſunden
Seite her, der Hiebwunde entgegen, bis auch hier die ſchwache
Menſchenkraft erlahmt und das Mordinſtrument den Dienſt ver¬
ſagt. Da kommt das letzte Martermittel für den ſchönen, reſignirt
ſeinem Ende entgegenſehenden Baum: der breite Keil muß die
klaffende Spalte erweitern, und leichter arbeitet nun der freſſende
Zahn der Säge fort. Jetzt ſtöhnts wie Todesſchauern aus dem
Baum; der Wipfel zittert, leiſe ſchwankend wogt er hin und her;
noch wehrt er ſich, noch will die urgeſunde, feſte, ſtramme Kraft,
die in ihm wohnt, ihn halten, — da reißt der letzte Lebensfaden,
ein knatterndes Zerberſten, und gebrochen ſinkt die Säule des
Waldes im ſauſenden Sturze jach hinab, bis irgend ein anderer
Stamm, ein hervorragender Felſenzahn ſeine wilde Flucht aufhält.
Schon mancher Holzer wurde von den Aeſten des gegen den Berg
ſtürzenden Baumes, wenn ſie nicht genügend abgeſchlagen waren,
von ſeinem Poſten hinweggefegt und in die Tiefe geſchleudert.

So geht das Schlachten fort. So oft eine Partie am Boden
liegt, beginnt das Zertheilen des Stammes in Blöcke oder „borre“
von gewiſſer Länge und das Abſchälen der Rinde oder „strapinà“.

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[402/0448] Holzſchläger und Flößer. Wie dem Verbrecher, ehe der Henker ſeinen Schwertſtreich führt, das Haar aus dem Nacken geſchoren wird, ſo entblößt auch hier des Holzers Hand den Stamm von den Epheu-Feſſeln oder dicken Moospolſtern, die an dem ſtarken Baum ihr kleines, ärmliches Schmarotzerleben friſteten. Jetzt blitzt es hell im Sonnenſcheine! Hieb um Hieb durchhallt den weiten, ſtillen Wald, und immer tiefer dringt die Mordaxt ein. Ziſchend fliegen die Spähne durch die Luft, immer größer wird die Wunde, immer näher kommt ſie dem innerſten geſunden Kern des Stammes. Nun reicht das Beil nicht mehr. Nach kurzer Raſt greifen die Holzknechte zur Säge. Es iſt ein gefährlicher Stand, den ſie einnehmen, denn vor ihren Blicken gehts jäh hinab. Am Wurzelgeflecht des Baumes, den ſie tödten, wühlt ſich ihr Abſatz in die Erde. Nun Riß um Riß und Schnitt um Schnitt gehts immer tiefer von der anderen, geſunden Seite her, der Hiebwunde entgegen, bis auch hier die ſchwache Menſchenkraft erlahmt und das Mordinſtrument den Dienſt ver¬ ſagt. Da kommt das letzte Martermittel für den ſchönen, reſignirt ſeinem Ende entgegenſehenden Baum: der breite Keil muß die klaffende Spalte erweitern, und leichter arbeitet nun der freſſende Zahn der Säge fort. Jetzt ſtöhnts wie Todesſchauern aus dem Baum; der Wipfel zittert, leiſe ſchwankend wogt er hin und her; noch wehrt er ſich, noch will die urgeſunde, feſte, ſtramme Kraft, die in ihm wohnt, ihn halten, — da reißt der letzte Lebensfaden, ein knatterndes Zerberſten, und gebrochen ſinkt die Säule des Waldes im ſauſenden Sturze jach hinab, bis irgend ein anderer Stamm, ein hervorragender Felſenzahn ſeine wilde Flucht aufhält. Schon mancher Holzer wurde von den Aeſten des gegen den Berg ſtürzenden Baumes, wenn ſie nicht genügend abgeſchlagen waren, von ſeinem Poſten hinweggefegt und in die Tiefe geſchleudert. So geht das Schlachten fort. So oft eine Partie am Boden liegt, beginnt das Zertheilen des Stammes in Blöcke oder „borre“ von gewiſſer Länge und das Abſchälen der Rinde oder „strapinà“.

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/448>, abgerufen am 27.04.2024.