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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

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und trifft ehemahlige
Sie führten uns vom Morgen bis auf den
Abend aus einer Kirche und Predigt in die an-
dere, und nach der Vesper am Sonntage aus
einem Collegio Pietatis in das andere; denn
es wurden damahls derselben zwey gehalten, so
daß mir der Kopff davon gantz tumm wurde.
Herr Senfftlebe, ein Studiosus Medicinae,
der im Gymnasio neben mir gesessen, und nun
ein Doctor und Practicus in Breßlau ist, ließ
sich sonderlich angelegen seyn, viel Gutes in
uns zu bringen. Er beherbergte uns, satzte
uns aber, so reich, als er war, nach seiner
Sparsamkeit, die wir schon auf dem Gymnasio
bey ihm angemercket, nur Butter und Brodt
vor. Nach der Mahlzeit las er ein Capitel
mit uns aus der Bibel, und predigte darüber;
weil er aber nach meinem Bedüncken in einem
und dem andern den Verstand der Schrifft
nicht zu treffen schien, so trug ich kein Beden-
cken, ihm zu widersprechen. Er beschloß mit
einem langen Gebete aus dem Kopffe, worüber
mir bald die Zeit wäre zu lang worden.
Herr Müllern, meinem Compagnon, musten
die vielen Dinge, so er des Tages gesehen und
gehöret, auch das Gehirne ziemlich eingenom-
men haben; denn er schlief sehr unruhig, fieng
im Schlafe an zu reden, und ängstlich zu thun,
so daß ich mich bald neben ihm zu fürchten an-

gefan-

und trifft ehemahlige
Sie fuͤhrten uns vom Morgen bis auf den
Abend aus einer Kirche und Predigt in die an-
dere, und nach der Veſper am Sonntage aus
einem Collegio Pietatis in das andere; denn
es wurden damahls derſelben zwey gehalten, ſo
daß mir der Kopff davon gantz tumm wurde.
Herr Senfftlebe, ein Studioſus Medicinæ,
der im Gymnaſio neben mir geſeſſen, und nun
ein Doctor und Practicus in Breßlau iſt, ließ
ſich ſonderlich angelegen ſeyn, viel Gutes in
uns zu bringen. Er beherbergte uns, ſatzte
uns aber, ſo reich, als er war, nach ſeiner
Sparſamkeit, die wir ſchon auf dem Gymnaſio
bey ihm angemercket, nur Butter und Brodt
vor. Nach der Mahlzeit las er ein Capitel
mit uns aus der Bibel, und predigte daruͤber;
weil er aber nach meinem Beduͤncken in einem
und dem andern den Verſtand der Schrifft
nicht zu treffen ſchien, ſo trug ich kein Beden-
cken, ihm zu widerſprechen. Er beſchloß mit
einem langen Gebete aus dem Kopffe, woruͤber
mir bald die Zeit waͤre zu lang worden.
Herr Muͤllern, meinem Compagnon, muſten
die vielen Dinge, ſo er des Tages geſehen und
gehoͤret, auch das Gehirne ziemlich eingenom-
men haben; denn er ſchlief ſehr unruhig, fieng
im Schlafe an zu reden, und aͤngſtlich zu thun,
ſo daß ich mich bald neben ihm zu fuͤrchten an-

gefan-
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[178/0224] und trifft ehemahlige Sie fuͤhrten uns vom Morgen bis auf den Abend aus einer Kirche und Predigt in die an- dere, und nach der Veſper am Sonntage aus einem Collegio Pietatis in das andere; denn es wurden damahls derſelben zwey gehalten, ſo daß mir der Kopff davon gantz tumm wurde. Herr Senfftlebe, ein Studioſus Medicinæ, der im Gymnaſio neben mir geſeſſen, und nun ein Doctor und Practicus in Breßlau iſt, ließ ſich ſonderlich angelegen ſeyn, viel Gutes in uns zu bringen. Er beherbergte uns, ſatzte uns aber, ſo reich, als er war, nach ſeiner Sparſamkeit, die wir ſchon auf dem Gymnaſio bey ihm angemercket, nur Butter und Brodt vor. Nach der Mahlzeit las er ein Capitel mit uns aus der Bibel, und predigte daruͤber; weil er aber nach meinem Beduͤncken in einem und dem andern den Verſtand der Schrifft nicht zu treffen ſchien, ſo trug ich kein Beden- cken, ihm zu widerſprechen. Er beſchloß mit einem langen Gebete aus dem Kopffe, woruͤber mir bald die Zeit waͤre zu lang worden. Herr Muͤllern, meinem Compagnon, muſten die vielen Dinge, ſo er des Tages geſehen und gehoͤret, auch das Gehirne ziemlich eingenom- men haben; denn er ſchlief ſehr unruhig, fieng im Schlafe an zu reden, und aͤngſtlich zu thun, ſo daß ich mich bald neben ihm zu fuͤrchten an- gefan-

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Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/224>, abgerufen am 27.04.2024.