Es ist ein großes Verdienst, welches v. Savigny sich nicht bloß um die deutsche Rechtswissenschaft erworben, daß er zu- erst die Entstehung des Rechts in ihrer tieferen geschichtlichen Begründung dargestellt, und, was schon von Anderen mehr oder weniger klar erkannt worden war, zum wissenschaftlichen Bewußtseyn herausgebildet hat. Auch ist der Einfluß seiner Lehre auf die Gegenwart in Theorie und Praxis unverkenn- bar, und nicht leicht wird eine allgemeine Betrachtung über die gegenseitigen Beziehungen zwischen Recht und Volk und Staat und Wissenschaft umhin können, sich in ein bestimmtes Verhältniß zu jener auch formell so gelungenen Darlegung zu setzen, sey es nun, daß sie zum Ausgangspunct einer weiteren wissenschaftlichen Entwicklung gemacht wird, oder daß man sich abwehrend und feindselig dagegen verhält. Auch diese Schrift, wenn gleich ihren eigenen Weg verfolgend, lehnt sich im We- sentlichen an die durch v. Savigny vertretene Grundansicht an; sie ist durch sie hervorgerufen und auf gewisse Weise über- haupt erst möglich geworden. Es wird daher angemessen seyn, zuvörderst in kurzen Zügen das Wesen der historischen Rechts- lehre anzugeben, um das Verhältniß, in welcher diese Schrift sich zu ihr befindet, bestimmt festzustellen, und für die folgende Erörterung die rechte Grundlage zu gewinnen. Den besten Anhalt gewähren dafür natürlich des Meisters eigene Werke*);
*) Hier kommen besonders in Betracht: Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg 1814, 2. Aufl. 1828; System des heutigen Römischen Rechts. Band 1. Berlin 1840.
Zweites Kapitel. Feſtſtellung des Gegenſtandes.
Es iſt ein großes Verdienſt, welches v. Savigny ſich nicht bloß um die deutſche Rechtswiſſenſchaft erworben, daß er zu- erſt die Entſtehung des Rechts in ihrer tieferen geſchichtlichen Begruͤndung dargeſtellt, und, was ſchon von Anderen mehr oder weniger klar erkannt worden war, zum wiſſenſchaftlichen Bewußtſeyn herausgebildet hat. Auch iſt der Einfluß ſeiner Lehre auf die Gegenwart in Theorie und Praxis unverkenn- bar, und nicht leicht wird eine allgemeine Betrachtung uͤber die gegenſeitigen Beziehungen zwiſchen Recht und Volk und Staat und Wiſſenſchaft umhin koͤnnen, ſich in ein beſtimmtes Verhaͤltniß zu jener auch formell ſo gelungenen Darlegung zu ſetzen, ſey es nun, daß ſie zum Ausgangspunct einer weiteren wiſſenſchaftlichen Entwicklung gemacht wird, oder daß man ſich abwehrend und feindſelig dagegen verhaͤlt. Auch dieſe Schrift, wenn gleich ihren eigenen Weg verfolgend, lehnt ſich im We- ſentlichen an die durch v. Savigny vertretene Grundanſicht an; ſie iſt durch ſie hervorgerufen und auf gewiſſe Weiſe uͤber- haupt erſt moͤglich geworden. Es wird daher angemeſſen ſeyn, zuvoͤrderſt in kurzen Zuͤgen das Weſen der hiſtoriſchen Rechts- lehre anzugeben, um das Verhaͤltniß, in welcher dieſe Schrift ſich zu ihr befindet, beſtimmt feſtzuſtellen, und fuͤr die folgende Eroͤrterung die rechte Grundlage zu gewinnen. Den beſten Anhalt gewaͤhren dafuͤr natuͤrlich des Meiſters eigene Werke*);
*) Hier kommen beſonders in Betracht: Vom Beruf unſerer Zeit fuͤr Geſetzgebung und Rechtswiſſenſchaft. Heidelberg 1814, 2. Aufl. 1828; Syſtem des heutigen Roͤmiſchen Rechts. Band 1. Berlin 1840.
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Zweites Kapitel.
Feſtſtellung des Gegenſtandes.
Es iſt ein großes Verdienſt, welches v. Savigny ſich nicht
bloß um die deutſche Rechtswiſſenſchaft erworben, daß er zu-
erſt die Entſtehung des Rechts in ihrer tieferen geſchichtlichen
Begruͤndung dargeſtellt, und, was ſchon von Anderen mehr
oder weniger klar erkannt worden war, zum wiſſenſchaftlichen
Bewußtſeyn herausgebildet hat. Auch iſt der Einfluß ſeiner
Lehre auf die Gegenwart in Theorie und Praxis unverkenn-
bar, und nicht leicht wird eine allgemeine Betrachtung uͤber
die gegenſeitigen Beziehungen zwiſchen Recht und Volk und
Staat und Wiſſenſchaft umhin koͤnnen, ſich in ein beſtimmtes
Verhaͤltniß zu jener auch formell ſo gelungenen Darlegung zu
ſetzen, ſey es nun, daß ſie zum Ausgangspunct einer weiteren
wiſſenſchaftlichen Entwicklung gemacht wird, oder daß man ſich
abwehrend und feindſelig dagegen verhaͤlt. Auch dieſe Schrift,
wenn gleich ihren eigenen Weg verfolgend, lehnt ſich im We-
ſentlichen an die durch v. Savigny vertretene Grundanſicht
an; ſie iſt durch ſie hervorgerufen und auf gewiſſe Weiſe uͤber-
haupt erſt moͤglich geworden. Es wird daher angemeſſen ſeyn,
zuvoͤrderſt in kurzen Zuͤgen das Weſen der hiſtoriſchen Rechts-
lehre anzugeben, um das Verhaͤltniß, in welcher dieſe Schrift
ſich zu ihr befindet, beſtimmt feſtzuſtellen, und fuͤr die folgende
Eroͤrterung die rechte Grundlage zu gewinnen. Den beſten
Anhalt gewaͤhren dafuͤr natuͤrlich des Meiſters eigene Werke *);
*) Hier kommen beſonders in Betracht: Vom Beruf unſerer Zeit fuͤr
Geſetzgebung und Rechtswiſſenſchaft. Heidelberg 1814, 2. Aufl. 1828;
Syſtem des heutigen Roͤmiſchen Rechts. Band 1. Berlin 1840.
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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. [58]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/70>, abgerufen am 30.11.2023.
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