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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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1. Die Sprache läßt sich in Töne auflösen, die in geschlossenen p1b_215.011
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oder schwächere Betonung hervorgehoben werden.

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2. Die durch den Ton ausgezeichneten Silben heißen Hebungen p1b_215.014
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oder Thesen (graves, aneimenoi == ohne Spannung).

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5. Die Lehre von den Metren und ihrer Verwendung heißt Metrik.

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Und soll auch bleiben bei derselben Angewöhnung. p1b_215.006
Die Deutschen ihre Sprache nicht von Andern haben, p1b_215.007
Drum wollen sie auch nicht nach Andern traben.
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Fischart, † 1589.

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§ 64. Grundbegriffe der Betonungslehre.

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1. Die Sprache läßt sich in Töne auflösen, die in geschlossenen p1b_215.011
Silben nacheinander erklingen und beim Aussprechen durch stärkere p1b_215.012
oder schwächere Betonung hervorgehoben werden.

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Daher erhalten bestimmte Silben eine phonische Auszeichnung, einen tonlichen p1b_215.026
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. E215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/249>, abgerufen am 29.04.2024.