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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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Mei Küch hat ke' Herd, p1b_343.002
Mei Herd hat ke' Küch; p1b_343.003
Da bratet's und siedet's p1b_343.004
Für sich und für mich &c.

(Goethe, Freibeuter.)

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Bei hyperkatalektischen Reihen zieht man, ohne Pausen zu machen, meist p1b_343.006
deren letzte Thesis zum Anfangstakt der ihnen folgenden Reihe hinüber:

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Was zieht mir das Herz | so? [Abbildung] p1b_343.008
Was zieht mich hinaus? p1b_343.009
Und windet und schraubt mich p1b_343.010
Aus Zimmer und Haus? p1b_343.011
Wie dort sich die Wolken p1b_343.012
Um Felsen verziehn! &c.(Goethe, Sehnsucht.)
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Jch hab' ihn geseh | en! p1b_343.014
Wie ist mir geschehen? p1b_343.015
O himmlischer Blick! p1b_343.016
Er kommt mir entgegen; p1b_343.017
Jch weiche verlegen, p1b_343.018
Jch schwanke zurück.
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(Goethe, Verschiedene Empfindungen.)

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3. Dreitaktige anapästische Verse (anapästische Dreitakter).

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Reine dreitaktige Anapäste erhalten wir, wenn wir bei den daktylischen p1b_343.022
Dreitaktern die überzählige letzte Silbe einer jeden Verszeile p1b_343.023
zum Jambus der nächsten Verszeile rasch hinüberlesen, was indes der p1b_343.024
Reim zuweilen erschwert.

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Wir ruhen, vom Wasser gewieget p1b_343.026
Jm Kreise vertraulich und enge; p1b_343.027
Durch Eintracht wie Blumengehänge p1b_343.028
Verknüpft und in Reihen gefüget; p1b_343.029
Uns sondert von lästiger Menge p1b_343.030
Die Flut, die den Nachen umschmieget.

(Salis.)

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Jn nachstehenden Versen Schillers folgt ein dreitaktiger Anapäst einem p1b_343.032
viertaktigen; in den beiden letzten Zeilen bleibt der anapästische Rhythmus vorherrschend, p1b_343.033
obwohl Jamben eingestreut sind:

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Und es wallet und siedet und brauset und zischt, (Viertakter) p1b_343.035
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt; (Dreitakter) p1b_343.036
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt, p1b_343.037
Und Flut auf Flut sich ohn' Ende drängt &c.

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Vgl. Anast. Grüns Blatt im Buche, Scheffels Pfahlmann.

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4. Viertaktige anapästische Verse (anapästische Viertakter).

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Wo diese Verse rein anapästisch sind, bildet der männliche Reim die p1b_343.041
Jncision, welche noch durch die rhythmische Pause verstärkt wird.

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Mei Herd hat ke' Küch; p1b_343.003
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(Goethe, Freibeuter.)

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Bei hyperkatalektischen Reihen zieht man, ohne Pausen zu machen, meist p1b_343.006
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(Goethe, Verschiedene Empfindungen.)

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Reine dreitaktige Anapäste erhalten wir, wenn wir bei den daktylischen p1b_343.022
Dreitaktern die überzählige letzte Silbe einer jeden Verszeile p1b_343.023
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(Salis.)

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viertaktigen; in den beiden letzten Zeilen bleibt der anapästische Rhythmus vorherrschend, p1b_343.033
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Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt, p1b_343.037
Und Flut auf Flut sich ohn' Ende drängt &c.

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Vgl. Anast. Grüns Blatt im Buche, Scheffels Pfahlmann.

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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/377>, abgerufen am 14.05.2024.