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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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), oder Reim im engeren Sinn. Man könnte den p1b_388.012
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Echo oder als Tonlicht) bezeichnen.

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2. Wie der Rhythmus Schönheit in der Bewegung der Verse p1b_388.015
verursacht, so ist der Gleichklang eine Schönheitsäußerung in Bezug p1b_388.016
auf Ähnlichkeit oder Gleichheit der Sprachklänge.

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3. Der Gleichklang hat eine logische, eine metrische nnd eine p1b_388.018
ästhetische Aufgabe und Bedeutung. Dies garantiert ihm seine Zukunft.

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1. Der Gleichklang oder Reim eignet sich ganz ausnehmend für unsere p1b_388.020
deutsche Sprache, die durch ihn infolge ihrer vielen vollen Vokalschlüsse melodiösen p1b_388.021
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prädestiniert unsere Sprache für den Reim. Das Wort Reim (hrimum altdeutsch, p1b_388.023
rim im Mittelhochdeutschen, rima in den romanischen Sprachen, rime p1b_388.024
im Französischen &c.) kann vom alth. reiman (== zählen) abgeleitet werden. p1b_388.025
Jm Mittelhochdeutschen bedeutet rimen soviel als reimen. Ein rimaere war p1b_388.026
ursprünglich ein Verszähler oder Reimer.

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Die älteste Form des Gleichklangs ist der Buchstabenreim (vgl. § 126).

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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. E388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/422>, abgerufen am 13.05.2024.