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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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Trank nie einen Tropfen mehr. - (Goethes König in Thule.) p1b_412.003
Jm wilden Wald, in der Winternacht. - p1b_412.004
Die Welle wieget unsern Kahn. - (Goethe.) p1b_412.005
Wir umklangen sein Ohr so verklagend noch immer. - (W. Jordan.)

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2. Stabreim für kontrastierende Vorstellungen.

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Die allitterierenden Wörter sind dem Sinn nach häufig entgegengesetzt.

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Wonne und Wehmut. p1b_412.012
Mit ermüdender Macht die Gemüter der Dreie.
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(W. Jordan.)

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3. Stabreim für indifferente Vorstellungen.

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Bei ihnen zeigt sich weder Übereinstimmung, noch Verwandtschaft, p1b_412.016
noch Kontrast. Sie stehen inhaltlich gleichgültig einander p1b_412.017
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Dunkel drückt das Gewölk sich, p1b_412.020
Grau droht die Gegend rings.
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(Fouque.)

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Warum weinst du, junge Waise? p1b_412.023
Gott, ich wünsche mir das Grab.
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(Goethe.)

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Und der Götter Befehl in die Ferne getrieben. p1b_412.026
Vergissest du ganz, was wir ehegestern (vgl. § 130. II. b. b.) p1b_412.027
Aus Schwaben gehört, wo unsre Schwerter p1b_412.028
Deine Mutter gewiß schon schmerzlich vermißt.
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(W. Jordans Nibelunge.)

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§ 132. Historische Entwickelung des Stabreims.

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1. Die Allitteration ist vorhomerischen Ursprungs.

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2. Die ältesten Denkmäler unserer Litteratur waren allitterierend. p1b_412.033
Die Allitteration bildete die Grundlage (Knochengerüst) unserer frühesten p1b_412.034
poetischen Sprache. (§ 126.)

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3. Als die Allitteration ganz und gar abkam, blieben doch die p1b_412.036
Reste derselben in einzelnen Liedern wie auch im Volksmunde.

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4. Unsere besten Dichter haben der Allitteration einige Berücksichtigung p1b_412.038
geschenkt. Aber sie wurde nicht immer von den Lesern bemerkt. p1b_412.039
Bereits Fr. de la Motte Fouque strebte den Stabreim als p1b_412.040
Band der Verszeilen in die neue deutsche Poesie wieder einzuführen.

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5. Wilhelm Jordan ist der Neubegründer der Allitteration; ihm p1b_412.042
schloß sich Richard Wagner an.

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Trank nie einen Tropfen mehr. ─ (Goethes König in Thule.) p1b_412.003
Jm wilden Wald, in der Winternacht. ─ p1b_412.004
Die Welle wieget unsern Kahn. ─ (Goethe.) p1b_412.005
Wir umklangen sein Ohr so verklagend noch immer. ─ (W. Jordan.)

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2. Stabreim für kontrastierende Vorstellungen.

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Die allitterierenden Wörter sind dem Sinn nach häufig entgegengesetzt.

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(W. Jordan.)

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3. Stabreim für indifferente Vorstellungen.

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Bei ihnen zeigt sich weder Übereinstimmung, noch Verwandtschaft, p1b_412.016
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§ 132. Historische Entwickelung des Stabreims.

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1. Die Allitteration ist vorhomerischen Ursprungs.

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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/446>, abgerufen am 14.05.2024.