Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.

Bild:
<< vorherige Seite

p3b_049.001
rauschten in schnellem Flug mit hellem Gezwitscher empor; die hungernde Biene p3b_049.002
durchsuchte nach Honig die Dolden der Fliedergebüsche. Das Heimchen sprang p3b_049.003
von der Ähre herab, die Quelle ergoß ihr Wasser, die Frösche quakten, das p3b_049.004
fliehende Ämschen wurde vom Laubmolch erhascht und verspeist, auf dem p3b_049.005
Baume sang der Zeisig weiter. Alle Geschöpfe erwachten - zur Freude, zur p3b_049.006
Gefahr, zur Verfolgung, zur Angst und zum Haß.

p3b_049.007

Lösung. Von Wilhelm Jordan.

p3b_049.008
Da hockte wie zwitschernd auf einem Zweige p3b_049.009
Ein zierlicher Zeisig; man sah sein Zünglein p3b_049.010
Emporgeschnörkelt im offenen Schnabel, p3b_049.011
Doch vom Schlafe betroffen im Schlagen eines Trillers. p3b_049.012
Doch kaum berührte den bereiften Rasen p3b_049.013
Die Sohle Siegfrieds - da zog ein Säuseln p3b_049.014
Durch alle Bäume; da beugten sich die Büsche, p3b_049.015
Da nickten die Blumen und nieder von den Blättern p3b_049.016
Tauten zur Tiefe die harten Krystalle. p3b_049.017
Da rauschten die Vögel auf raschem Fittich p3b_049.018
Mit fröhlichem Laut durch lauere Lüfte; p3b_049.019
Da suchte summend nach süßen Säften, p3b_049.020
Nach langem Darben, um die duftigen Dolden p3b_049.021
Der Fliedergebüsche die fleißige Biene; p3b_049.022
Da hüpfte das Heimchen von seinem Halme, p3b_049.023
Da quoll die Quelle, die Frösche quakten, p3b_049.024
Da ereilte das Ämschen, wie rasch es auch ausriß, p3b_049.025
Der lauernde Laubmolch und schmatzte lüstern, p3b_049.026
Da zwitschert' auf dem Zweige der zierliche Zeisig p3b_049.027
Erwachend vom Traum seinen Triller weiter, p3b_049.028
Und alle Wesen erwachten - zur Wonne, p3b_049.029
Zu Gefahr und Verfolgung, Furcht und Feindschaft.

------

p3b_049.030
II. Übungen im Reimsuchen und Reimbilden.
p3b_049.031
§ 20. Versuche im Reimen der Prosarede. p3b_049.032
(Gereimte Prosa.)

p3b_049.033
1. Wenn dem Dichter beim Erklingen eines Lautes sofort eine p3b_049.034
ganze Summe aller möglichen Gleichklänge wie chladnische Klangfiguren p3b_049.035
anschießt und wiederklingt, so ist dies zweifellos nur das Resultat fortgesetzter p3b_049.036
Übung im Versbilden und im Reimsuchen. Von Fr. Rückert,

p3b_049.001
rauschten in schnellem Flug mit hellem Gezwitscher empor; die hungernde Biene p3b_049.002
durchsuchte nach Honig die Dolden der Fliedergebüsche. Das Heimchen sprang p3b_049.003
von der Ähre herab, die Quelle ergoß ihr Wasser, die Frösche quakten, das p3b_049.004
fliehende Ämschen wurde vom Laubmolch erhascht und verspeist, auf dem p3b_049.005
Baume sang der Zeisig weiter. Alle Geschöpfe erwachten ─ zur Freude, zur p3b_049.006
Gefahr, zur Verfolgung, zur Angst und zum Haß.

p3b_049.007

Lösung. Von Wilhelm Jordan.

p3b_049.008
Da hockte wie zwitschernd auf einem Zweige p3b_049.009
Ein zierlicher Zeisig; man sah sein Zünglein p3b_049.010
Emporgeschnörkelt im offenen Schnabel, p3b_049.011
Doch vom Schlafe betroffen im Schlagen eines Trillers. p3b_049.012
Doch kaum berührte den bereiften Rasen p3b_049.013
Die Sohle Siegfrieds ─ da zog ein Säuseln p3b_049.014
Durch alle Bäume; da beugten sich die Büsche, p3b_049.015
Da nickten die Blumen und nieder von den Blättern p3b_049.016
Tauten zur Tiefe die harten Krystalle. p3b_049.017
Da rauschten die Vögel auf raschem Fittich p3b_049.018
Mit fröhlichem Laut durch lauere Lüfte; p3b_049.019
Da suchte summend nach süßen Säften, p3b_049.020
Nach langem Darben, um die duftigen Dolden p3b_049.021
Der Fliedergebüsche die fleißige Biene; p3b_049.022
Da hüpfte das Heimchen von seinem Halme, p3b_049.023
Da quoll die Quelle, die Frösche quakten, p3b_049.024
Da ereilte das Ämschen, wie rasch es auch ausriß, p3b_049.025
Der lauernde Laubmolch und schmatzte lüstern, p3b_049.026
Da zwitschert' auf dem Zweige der zierliche Zeisig p3b_049.027
Erwachend vom Traum seinen Triller weiter, p3b_049.028
Und alle Wesen erwachten ─ zur Wonne, p3b_049.029
Zu Gefahr und Verfolgung, Furcht und Feindschaft.

──────

p3b_049.030
II. Übungen im Reimsuchen und Reimbilden.
p3b_049.031
§ 20. Versuche im Reimen der Prosarede. p3b_049.032
(Gereimte Prosa.)

p3b_049.033
1. Wenn dem Dichter beim Erklingen eines Lautes sofort eine p3b_049.034
ganze Summe aller möglichen Gleichklänge wie chladnische Klangfiguren p3b_049.035
anschießt und wiederklingt, so ist dies zweifellos nur das Resultat fortgesetzter p3b_049.036
Übung im Versbilden und im Reimsuchen. Von Fr. Rückert,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0075" n="49"/><lb n="p3b_049.001"/>
rauschten in schnellem Flug mit hellem Gezwitscher empor; die hungernde Biene <lb n="p3b_049.002"/>
durchsuchte nach Honig die Dolden der Fliedergebüsche. Das Heimchen sprang <lb n="p3b_049.003"/>
von der Ähre herab, die Quelle ergoß ihr Wasser, die Frösche quakten, das <lb n="p3b_049.004"/>
fliehende Ämschen wurde vom Laubmolch erhascht und verspeist, auf dem <lb n="p3b_049.005"/>
Baume sang der Zeisig weiter. Alle Geschöpfe erwachten &#x2500; zur Freude, zur <lb n="p3b_049.006"/>
Gefahr, zur Verfolgung, zur Angst und zum Haß.</p>
            <lb n="p3b_049.007"/>
            <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Lösung. Von Wilhelm Jordan.</hi> </hi> </p>
            <lb n="p3b_049.008"/>
            <lg>
              <l>Da hockte wie zwitschernd auf einem Zweige</l>
              <lb n="p3b_049.009"/>
              <l>Ein zierlicher Zeisig; man sah sein Zünglein</l>
              <lb n="p3b_049.010"/>
              <l>Emporgeschnörkelt im offenen Schnabel,</l>
              <lb n="p3b_049.011"/>
              <l>Doch vom Schlafe betroffen im Schlagen eines Trillers.</l>
              <lb n="p3b_049.012"/>
              <l>Doch kaum berührte den bereiften Rasen</l>
              <lb n="p3b_049.013"/>
              <l>Die Sohle Siegfrieds &#x2500; da zog ein Säuseln</l>
              <lb n="p3b_049.014"/>
              <l>Durch alle Bäume; da beugten sich die Büsche,</l>
              <lb n="p3b_049.015"/>
              <l>Da nickten die Blumen und nieder von den Blättern</l>
              <lb n="p3b_049.016"/>
              <l>Tauten zur Tiefe die harten Krystalle.</l>
              <lb n="p3b_049.017"/>
              <l>Da rauschten die Vögel auf raschem Fittich</l>
              <lb n="p3b_049.018"/>
              <l>Mit fröhlichem Laut durch lauere Lüfte;</l>
              <lb n="p3b_049.019"/>
              <l>Da suchte summend nach süßen Säften,</l>
              <lb n="p3b_049.020"/>
              <l>Nach langem Darben, um die duftigen Dolden</l>
              <lb n="p3b_049.021"/>
              <l>Der Fliedergebüsche die fleißige Biene;</l>
              <lb n="p3b_049.022"/>
              <l>Da hüpfte das Heimchen von seinem Halme,</l>
              <lb n="p3b_049.023"/>
              <l>Da quoll die Quelle, die Frösche quakten,</l>
              <lb n="p3b_049.024"/>
              <l>Da ereilte das Ämschen, wie rasch es auch ausriß,</l>
              <lb n="p3b_049.025"/>
              <l>Der lauernde Laubmolch und schmatzte lüstern,</l>
              <lb n="p3b_049.026"/>
              <l>Da zwitschert' auf dem Zweige der zierliche Zeisig</l>
              <lb n="p3b_049.027"/>
              <l>Erwachend vom Traum seinen Triller weiter,</l>
              <lb n="p3b_049.028"/>
              <l>Und alle Wesen erwachten &#x2500; zur Wonne,</l>
              <lb n="p3b_049.029"/>
              <l>Zu Gefahr und Verfolgung, Furcht und Feindschaft.</l>
            </lg>
            <p> <hi rendition="#c">&#x2500;&#x2500;&#x2500;&#x2500;&#x2500;&#x2500;</hi> </p>
          </div>
        </div>
        <div n="2">
          <lb n="p3b_049.030"/>
          <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">II</hi>. Übungen im Reimsuchen und Reimbilden.</hi> </head>
          <lb n="p3b_049.031"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#c">§ 20. Versuche im Reimen der Prosarede. <lb n="p3b_049.032"/>
(Gereimte Prosa.)</hi> </head>
            <p><lb n="p3b_049.033"/>
1. Wenn dem Dichter beim Erklingen eines Lautes sofort eine <lb n="p3b_049.034"/>
ganze Summe aller möglichen Gleichklänge wie chladnische Klangfiguren <lb n="p3b_049.035"/>
anschießt und wiederklingt, so ist dies zweifellos nur das Resultat fortgesetzter <lb n="p3b_049.036"/>
Übung im Versbilden und im Reimsuchen. Von Fr. Rückert,
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0075] p3b_049.001 rauschten in schnellem Flug mit hellem Gezwitscher empor; die hungernde Biene p3b_049.002 durchsuchte nach Honig die Dolden der Fliedergebüsche. Das Heimchen sprang p3b_049.003 von der Ähre herab, die Quelle ergoß ihr Wasser, die Frösche quakten, das p3b_049.004 fliehende Ämschen wurde vom Laubmolch erhascht und verspeist, auf dem p3b_049.005 Baume sang der Zeisig weiter. Alle Geschöpfe erwachten ─ zur Freude, zur p3b_049.006 Gefahr, zur Verfolgung, zur Angst und zum Haß. p3b_049.007 Lösung. Von Wilhelm Jordan. p3b_049.008 Da hockte wie zwitschernd auf einem Zweige p3b_049.009 Ein zierlicher Zeisig; man sah sein Zünglein p3b_049.010 Emporgeschnörkelt im offenen Schnabel, p3b_049.011 Doch vom Schlafe betroffen im Schlagen eines Trillers. p3b_049.012 Doch kaum berührte den bereiften Rasen p3b_049.013 Die Sohle Siegfrieds ─ da zog ein Säuseln p3b_049.014 Durch alle Bäume; da beugten sich die Büsche, p3b_049.015 Da nickten die Blumen und nieder von den Blättern p3b_049.016 Tauten zur Tiefe die harten Krystalle. p3b_049.017 Da rauschten die Vögel auf raschem Fittich p3b_049.018 Mit fröhlichem Laut durch lauere Lüfte; p3b_049.019 Da suchte summend nach süßen Säften, p3b_049.020 Nach langem Darben, um die duftigen Dolden p3b_049.021 Der Fliedergebüsche die fleißige Biene; p3b_049.022 Da hüpfte das Heimchen von seinem Halme, p3b_049.023 Da quoll die Quelle, die Frösche quakten, p3b_049.024 Da ereilte das Ämschen, wie rasch es auch ausriß, p3b_049.025 Der lauernde Laubmolch und schmatzte lüstern, p3b_049.026 Da zwitschert' auf dem Zweige der zierliche Zeisig p3b_049.027 Erwachend vom Traum seinen Triller weiter, p3b_049.028 Und alle Wesen erwachten ─ zur Wonne, p3b_049.029 Zu Gefahr und Verfolgung, Furcht und Feindschaft. ────── p3b_049.030 II. Übungen im Reimsuchen und Reimbilden. p3b_049.031 § 20. Versuche im Reimen der Prosarede. p3b_049.032 (Gereimte Prosa.) p3b_049.033 1. Wenn dem Dichter beim Erklingen eines Lautes sofort eine p3b_049.034 ganze Summe aller möglichen Gleichklänge wie chladnische Klangfiguren p3b_049.035 anschießt und wiederklingt, so ist dies zweifellos nur das Resultat fortgesetzter p3b_049.036 Übung im Versbilden und im Reimsuchen. Von Fr. Rückert,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/75
Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/75>, abgerufen am 07.05.2024.