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Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774.

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Jch empfinde; ich denke; ich handle;
Das hab' ich von Jhm. Dieser Leib ist
sein Werk, diese Seele kömmt mir von Ihm.
Er hat das Band geknüpft das beyde verbin-
det: Er erhält es. Dass meine Kenntniss
wuchs; dass es in meinem Verstande täg-
lich heller ward; dass ich mich meiner kin-
dischen Vorurtheile nach und nach schämen
lernte; dass ich eine kleine Thorheit nach
der andern verliess: das bin ich Jhm, und
Jhm allein schuldig.

Und so geh' ich denn, wenn ich es
nicht selbst hindre, meine Lebensjahre hin-
durch, von einer Vollkommenheit, von ei-
nem Guten zu dem andern fort. Und wo-
zu das? Um zu sterben? Um zu verwesen?
Um nach diesem Leben nicht mehr zu
seyn? Oder, was eben so viel ist: um es
nicht zu wissen, dass man ist? Um ewig zu
schlafen? Wehe mir, wenn das Wahrheit

Jch empfinde; ich denke; ich handle;
Das hab’ ich von Jhm. Dieſer Leib iſt
ſein Werk, dieſe Seele kömmt mir von Ihm.
Er hat das Band geknüpft das beyde verbin-
det: Er erhält es. Daſs meine Kenntniſs
wuchs; daſs es in meinem Verſtande täg-
lich heller ward; daſs ich mich meiner kin-
diſchen Vorurtheile nach und nach ſchämen
lernte; daſs ich eine kleine Thorheit nach
der andern verlieſs: das bin ich Jhm, und
Jhm allein ſchuldig.

Und ſo geh’ ich denn, wenn ich es
nicht ſelbſt hindre, meine Lebensjahre hin-
durch, von einer Vollkommenheit, von ei-
nem Guten zu dem andern fort. Und wo-
zu das? Um zu ſterben? Um zu verweſen?
Um nach dieſem Leben nicht mehr zu
ſeyn? Oder, was eben ſo viel iſt: um es
nicht zu wiſsen, daſs man iſt? Um ewig zu
ſchlafen? Wehe mir, wenn das Wahrheit

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[72/0080] Jch empfinde; ich denke; ich handle; Das hab’ ich von Jhm. Dieſer Leib iſt ſein Werk, dieſe Seele kömmt mir von Ihm. Er hat das Band geknüpft das beyde verbin- det: Er erhält es. Daſs meine Kenntniſs wuchs; daſs es in meinem Verſtande täg- lich heller ward; daſs ich mich meiner kin- diſchen Vorurtheile nach und nach ſchämen lernte; daſs ich eine kleine Thorheit nach der andern verlieſs: das bin ich Jhm, und Jhm allein ſchuldig. Und ſo geh’ ich denn, wenn ich es nicht ſelbſt hindre, meine Lebensjahre hin- durch, von einer Vollkommenheit, von ei- nem Guten zu dem andern fort. Und wo- zu das? Um zu ſterben? Um zu verweſen? Um nach dieſem Leben nicht mehr zu ſeyn? Oder, was eben ſo viel iſt: um es nicht zu wiſsen, daſs man iſt? Um ewig zu ſchlafen? Wehe mir, wenn das Wahrheit

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Zitationshilfe: Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/80>, abgerufen am 27.04.2024.