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Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 9. Aufl. Wien, 1816.

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würme aufgehoben werden. - Und eben so wenig
wird jemand im Ernst in Versuchung gerathen, das
Thier- und Pflanzenreich deßhalb mit einander zu
verbinden, weil man an gewissen Pflanzen gewisse
Ähnlichkeiten mit gewissen Thieren bemerkt hat. Von
der Art sind z. B. die sonderbaren Bewegungen man-
cher Mimosenarten, und des hedysarum gyrans etc.
die, so merkwürdig sie auch an sich bleiben, doch gar
nicht einmahl in den oben angegebenen Charakter der
Animalität eingreifen. So wenig als hinwiederum
diejenigen Ähnlichkeiten, so die Arm-Polypen mit
den Gewächsen haben, den oben bestimmten Charak-
ter der Vegetabilität betreffen. Sondern, die Arm-
Polypen sind Thiere, die so wie der Mensch und die
Auster, vom Hunger getrieben, ihre Nahrung durch
willkührliche Bewegung in den Mund bringen, was
hingegen bey keiner Pflanze, in der bis jetzt bekann-
ten Schöpfung, der Fall ist.

Nun und so beantwortet sich die andere Einwen-
dung gegen die Naturreiche etc. die sich auf die so
gepriesene Metapher von Stufenfolge der Geschöpfe
gründet, eigentlich von selbst.

Alle die beliebten Bilder von Kette, von Leiter,
von Netz etc. in der Natur, haben zwar für die Me-
thodologie im Studium der Naturgeschichte in so fern
ihren unverkennbaren Nutzen, als sie den Grund eines
so genannten natürlichen Systems abgeben,
worin man die Geschöpfe nach ihren meisten und auf-
fallendsten Ähnlichkeiten, nach ihrem Totalhabitus
und der darauf gegründeten so genannten Verwandt-
schaft untereinander, zusammen ordnet.

Aber sie nun, wie doch so oft von wohlmeinenden
Physicotheologen geschehen, dem Schöpfer in den
Plan seiner Schöpfung hinein legen, und die Voll-
kommenheit und den Zusammenhang derselben darin
suchen zu wollen, daß die Natur (wie man sich aus-
drückt) keinen Sprung thue, weil die Ge-
schöpfe in Rücksicht ihrer äußern Form so
fein stufenweise auf einander folgten, das wäre doch
schon an sich eine vermessene Schwachheit, wenn sie
auch nicht, wie doch der Fall ist, bey ernsterer Prü-
fung sich selbst widerlegte*).

*) Mehreres hierüber habe ich in der zweyten Ausg. der
Beyträge zur Naturgeschichte I. Th. S. 106 u. f. gesagt.

würme aufgehoben werden. – Und eben so wenig
wird jemand im Ernst in Versuchung gerathen, das
Thier- und Pflanzenreich deßhalb mit einander zu
verbinden, weil man an gewissen Pflanzen gewisse
Ähnlichkeiten mit gewissen Thieren bemerkt hat. Von
der Art sind z. B. die sonderbaren Bewegungen man-
cher Mimosenarten, und des hedysarum gyrans etc.
die, so merkwürdig sie auch an sich bleiben, doch gar
nicht einmahl in den oben angegebenen Charakter der
Animalität eingreifen. So wenig als hinwiederum
diejenigen Ähnlichkeiten, so die Arm-Polypen mit
den Gewächsen haben, den oben bestimmten Charak-
ter der Vegetabilität betreffen. Sondern, die Arm-
Polypen sind Thiere, die so wie der Mensch und die
Auster, vom Hunger getrieben, ihre Nahrung durch
willkührliche Bewegung in den Mund bringen, was
hingegen bey keiner Pflanze, in der bis jetzt bekann-
ten Schöpfung, der Fall ist.

Nun und so beantwortet sich die andere Einwen-
dung gegen die Naturreiche ꝛc. die sich auf die so
gepriesene Metapher von Stufenfolge der Geschöpfe
gründet, eigentlich von selbst.

Alle die beliebten Bilder von Kette, von Leiter,
von Netz ꝛc. in der Natur, haben zwar für die Me-
thodologie im Studium der Naturgeschichte in so fern
ihren unverkennbaren Nutzen, als sie den Grund eines
so genannten natürlichen Systems abgeben,
worin man die Geschöpfe nach ihren meisten und auf-
fallendsten Ähnlichkeiten, nach ihrem Totalhabitus
und der darauf gegründeten so genannten Verwandt-
schaft untereinander, zusammen ordnet.

Aber sie nun, wie doch so oft von wohlmeinenden
Physicotheologen geschehen, dem Schöpfer in den
Plan seiner Schöpfung hinein legen, und die Voll-
kommenheit und den Zusammenhang derselben darin
suchen zu wollen, daß die Natur (wie man sich aus-
drückt) keinen Sprung thue, weil die Ge-
schöpfe in Rücksicht ihrer äußern Form so
fein stufenweise auf einander folgten, das wäre doch
schon an sich eine vermessene Schwachheit, wenn sie
auch nicht, wie doch der Fall ist, bey ernsterer Prü-
fung sich selbst widerlegte*).

*) Mehreres hierüber habe ich in der zweyten Ausg. der
Beyträge zur Naturgeschichte I. Th. S. 106 u. f. gesagt.
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[7/0026] würme aufgehoben werden. – Und eben so wenig wird jemand im Ernst in Versuchung gerathen, das Thier- und Pflanzenreich deßhalb mit einander zu verbinden, weil man an gewissen Pflanzen gewisse Ähnlichkeiten mit gewissen Thieren bemerkt hat. Von der Art sind z. B. die sonderbaren Bewegungen man- cher Mimosenarten, und des hedysarum gyrans etc. die, so merkwürdig sie auch an sich bleiben, doch gar nicht einmahl in den oben angegebenen Charakter der Animalität eingreifen. So wenig als hinwiederum diejenigen Ähnlichkeiten, so die Arm-Polypen mit den Gewächsen haben, den oben bestimmten Charak- ter der Vegetabilität betreffen. Sondern, die Arm- Polypen sind Thiere, die so wie der Mensch und die Auster, vom Hunger getrieben, ihre Nahrung durch willkührliche Bewegung in den Mund bringen, was hingegen bey keiner Pflanze, in der bis jetzt bekann- ten Schöpfung, der Fall ist. Nun und so beantwortet sich die andere Einwen- dung gegen die Naturreiche ꝛc. die sich auf die so gepriesene Metapher von Stufenfolge der Geschöpfe gründet, eigentlich von selbst. Alle die beliebten Bilder von Kette, von Leiter, von Netz ꝛc. in der Natur, haben zwar für die Me- thodologie im Studium der Naturgeschichte in so fern ihren unverkennbaren Nutzen, als sie den Grund eines so genannten natürlichen Systems abgeben, worin man die Geschöpfe nach ihren meisten und auf- fallendsten Ähnlichkeiten, nach ihrem Totalhabitus und der darauf gegründeten so genannten Verwandt- schaft untereinander, zusammen ordnet. Aber sie nun, wie doch so oft von wohlmeinenden Physicotheologen geschehen, dem Schöpfer in den Plan seiner Schöpfung hinein legen, und die Voll- kommenheit und den Zusammenhang derselben darin suchen zu wollen, daß die Natur (wie man sich aus- drückt) keinen Sprung thue, weil die Ge- schöpfe in Rücksicht ihrer äußern Form so fein stufenweise auf einander folgten, das wäre doch schon an sich eine vermessene Schwachheit, wenn sie auch nicht, wie doch der Fall ist, bey ernsterer Prü- fung sich selbst widerlegte *). *) Mehreres hierüber habe ich in der zweyten Ausg. der Beyträge zur Naturgeschichte I. Th. S. 106 u. f. gesagt.

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Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 9. Aufl. Wien, 1816, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1816/26>, abgerufen am 26.04.2024.