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Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 9. Aufl. Wien, 1816.

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Denn man braucht bloß die noch so kunstreich und
sorgfältig angelegten Entwürfe von solchen Stufen-
folgen in der Reihe der Geschöpfe näher zu beleuch-
ten, um einzusehen, wie sehr darin einerseits sich gan-
ze Haufen von Geschöpfen ähnlicher Bildung in Ge-
schlechtern von fast unübersehlich zahlreichen Gattun-
gen (zumahl unter den Insecten und Gewürmen, aber
auch im Pflanzenreiche) zusammen drängen, und an-
dere dagegen gleichsam isolirt stehen, weil sie wegen
ihrer ausgezeichneten ganz eigenen Bildung nicht ohne
sichtlichen Zwang in einer solchen Leiter der Natur
irgendwo eingeschoben und untergebracht, werden kön-
nen (wie z. B. die ganze Classe der Vögel; die Schild-
kröten, die schon gedachten Sepien u. a.m.) - Fer-
ner aber finden sich Thiere, bey welchen, wie z. E. bey den
Schildläusen, Männchen und Weibchen eine so durch-
aus ganz verschiedene Gestaltung haben, daß man
folglich in der gedachten Leiter die einen von den an-
dern trennen und nach dieser so sehr verschiedenen Se-
xualform beyden auf weit von einander entfernten
Sprossen ihre verschiedenen Stellen anweisen müßte.
- Nur dann zeigen sich Lücken in der Leiter, wo of-
fenbar ohne einen sehr gewagten Sprung gar nicht
überzukommen ist, wie zu Einem Beyspiel statt aller,
die zwischen den organisirten Körpern und den Mine-
ralien u. s. w.

So mangelhaft aber überhaupt die bildlichen Vor-
stellungen von Kette der Natur u. s. w. gerathen
müssen, so ganz grundlos ist nun vollends gar die
vermessene Behauptung mancher Physicotheologen,
als ob kein Glied aus dieser ihrer zu Papier gebrach-
ten Kette ausfallen dürfte, wenn nicht die Schöpfung
selbst stocken sollte u. s. w. - So gut einzelne Gat-
tungen von Thieren aus ganzen großen Inseln, wie
z. B. die Wölfe aus Großbritannien vertilgt sind,
ohne daß die dasige Schöpfung durch diese nunmeh-
rige scheinbare Lücke ihren sonstigen Zusammenhang
verloren haben sollte, so können andere Geschöpfe aus
ganzen Welttheilen und wohl von der ganzen Erde
vertilgt werden (wie dieß allem Anschein nach mit
manchen, z. B. mit dem Dudu wirklich geschehen),
ohne daß durch diesen merklichen hiatus, der dadurch
in der Kette der Physicotheologen entsteht, der ewige
stille Gang der Schöpfung selbst, im mindesten ge-
fährdet werden dürfte.

Denn man braucht bloß die noch so kunstreich und
sorgfältig angelegten Entwürfe von solchen Stufen-
folgen in der Reihe der Geschöpfe näher zu beleuch-
ten, um einzusehen, wie sehr darin einerseits sich gan-
ze Haufen von Geschöpfen ähnlicher Bildung in Ge-
schlechtern von fast unübersehlich zahlreichen Gattun-
gen (zumahl unter den Insecten und Gewürmen, aber
auch im Pflanzenreiche) zusammen drängen, und an-
dere dagegen gleichsam isolirt stehen, weil sie wegen
ihrer ausgezeichneten ganz eigenen Bildung nicht ohne
sichtlichen Zwang in einer solchen Leiter der Natur
irgendwo eingeschoben und untergebracht, werden kön-
nen (wie z. B. die ganze Classe der Vögel; die Schild-
kröten, die schon gedachten Sepien u. a.m.) – Fer-
ner aber finden sich Thiere, bey welchen, wie z. E. bey den
Schildläusen, Männchen und Weibchen eine so durch-
aus ganz verschiedene Gestaltung haben, daß man
folglich in der gedachten Leiter die einen von den an-
dern trennen und nach dieser so sehr verschiedenen Se-
xualform beyden auf weit von einander entfernten
Sprossen ihre verschiedenen Stellen anweisen müßte.
– Nur dann zeigen sich Lücken in der Leiter, wo of-
fenbar ohne einen sehr gewagten Sprung gar nicht
überzukommen ist, wie zu Einem Beyspiel statt aller,
die zwischen den organisirten Körpern und den Mine-
ralien u. s. w.

So mangelhaft aber überhaupt die bildlichen Vor-
stellungen von Kette der Natur u. s. w. gerathen
müssen, so ganz grundlos ist nun vollends gar die
vermessene Behauptung mancher Physicotheologen,
als ob kein Glied aus dieser ihrer zu Papier gebrach-
ten Kette ausfallen dürfte, wenn nicht die Schöpfung
selbst stocken sollte u. s. w. – So gut einzelne Gat-
tungen von Thieren aus ganzen großen Inseln, wie
z. B. die Wölfe aus Großbritannien vertilgt sind,
ohne daß die dasige Schöpfung durch diese nunmeh-
rige scheinbare Lücke ihren sonstigen Zusammenhang
verloren haben sollte, so können andere Geschöpfe aus
ganzen Welttheilen und wohl von der ganzen Erde
vertilgt werden (wie dieß allem Anschein nach mit
manchen, z. B. mit dem Dudu wirklich geschehen),
ohne daß durch diesen merklichen hiatus, der dadurch
in der Kette der Physicotheologen entsteht, der ewige
stille Gang der Schöpfung selbst, im mindesten ge-
fährdet werden dürfte.

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[8/0027] Denn man braucht bloß die noch so kunstreich und sorgfältig angelegten Entwürfe von solchen Stufen- folgen in der Reihe der Geschöpfe näher zu beleuch- ten, um einzusehen, wie sehr darin einerseits sich gan- ze Haufen von Geschöpfen ähnlicher Bildung in Ge- schlechtern von fast unübersehlich zahlreichen Gattun- gen (zumahl unter den Insecten und Gewürmen, aber auch im Pflanzenreiche) zusammen drängen, und an- dere dagegen gleichsam isolirt stehen, weil sie wegen ihrer ausgezeichneten ganz eigenen Bildung nicht ohne sichtlichen Zwang in einer solchen Leiter der Natur irgendwo eingeschoben und untergebracht, werden kön- nen (wie z. B. die ganze Classe der Vögel; die Schild- kröten, die schon gedachten Sepien u. a.m.) – Fer- ner aber finden sich Thiere, bey welchen, wie z. E. bey den Schildläusen, Männchen und Weibchen eine so durch- aus ganz verschiedene Gestaltung haben, daß man folglich in der gedachten Leiter die einen von den an- dern trennen und nach dieser so sehr verschiedenen Se- xualform beyden auf weit von einander entfernten Sprossen ihre verschiedenen Stellen anweisen müßte. – Nur dann zeigen sich Lücken in der Leiter, wo of- fenbar ohne einen sehr gewagten Sprung gar nicht überzukommen ist, wie zu Einem Beyspiel statt aller, die zwischen den organisirten Körpern und den Mine- ralien u. s. w. So mangelhaft aber überhaupt die bildlichen Vor- stellungen von Kette der Natur u. s. w. gerathen müssen, so ganz grundlos ist nun vollends gar die vermessene Behauptung mancher Physicotheologen, als ob kein Glied aus dieser ihrer zu Papier gebrach- ten Kette ausfallen dürfte, wenn nicht die Schöpfung selbst stocken sollte u. s. w. – So gut einzelne Gat- tungen von Thieren aus ganzen großen Inseln, wie z. B. die Wölfe aus Großbritannien vertilgt sind, ohne daß die dasige Schöpfung durch diese nunmeh- rige scheinbare Lücke ihren sonstigen Zusammenhang verloren haben sollte, so können andere Geschöpfe aus ganzen Welttheilen und wohl von der ganzen Erde vertilgt werden (wie dieß allem Anschein nach mit manchen, z. B. mit dem Dudu wirklich geschehen), ohne daß durch diesen merklichen hiatus, der dadurch in der Kette der Physicotheologen entsteht, der ewige stille Gang der Schöpfung selbst, im mindesten ge- fährdet werden dürfte.

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Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 9. Aufl. Wien, 1816, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1816/27>, abgerufen am 26.04.2024.