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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.

Demgemäsz musz die Verfassungspolitik auch eine lan-
desmäszige
sein, d. h. sie musz sich nach der Natur und
dem Umfang des Landes richten, für welchen die Verfassung
bestimmt ist.

2. Die Geschichte kennt keinen ewigen unveränderlichen
Umfang der Statsgebiete. Auch der Raum, den die Staten
einnehmen, ist abhängig von dem Wachsthum oder der Ab-
nahme der Volkskräfte in ihm. Aber das Statsgebiet hat
doch einen dauernden Charakter und seine Grenzen sind nicht
wie die Volkszahl einer unaufhörlichen Wandlung unterworfen.
Nur von Zeit zu Zeit in Folge groszer Ereignisse wird der
Gebietsumfang geändert. In der Regel bleibt er in feste
Grenzen
eingeschlossen.

Die Grenzen scheiden entweder das eigene Statsgebiet von
dem fremden ab, oder sie scheiden das Statsgebiet von den
Theilen der Erdoberfläche ab, welche keinem State angehören.
Im ersten Fall denkt man sich die Grenze als eine feste
Linie
und bezeichnet sie so gut es geht mit Grenzmarken,
Pfählen, Steinen, Gräben, Wällen u. s. f. Im letzteren Fall
bedarf es einer solchen scharfen Linie nicht, und es kann
auch je nach Umständen ohne Verwicklung mit andern Staten
die Grenze vorgeschoben oder zurückgezogen werden.

Zu der ersten Classe sind zu rechnen:

a) Strom- und Fluszgrenzen, obwohl dieselben nicht
in dem Masze fest und unbeweglich sind, wie die Landgrenzen.
Zuweilen wird die Mitte des Flusses, zuweilen der Thalweg
desselben, d. h. die durch die Strömung bestimmte Fahrbahn,
als die eigentliche Grenze der beiderseitigen Statshoheit be-
trachtet, aber weil die Mitte oder der Thalweg vorzüglich be-
nutzt wird, mit Rücksicht auf Schifffahrt und Verkehr, die
Benutzung des Flusses zugleich als eine gemeinschaftliche
behandelt. Sowohl die Mitte des Flusses als der Thalweg sind
aber öfteren Aenderungen unterworfen, in Folge der An- und
Abspülung der Ufer und in Folge veränderten Wasserlaufs.


Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.

Demgemäsz musz die Verfassungspolitik auch eine lan-
desmäszige
sein, d. h. sie musz sich nach der Natur und
dem Umfang des Landes richten, für welchen die Verfassung
bestimmt ist.

2. Die Geschichte kennt keinen ewigen unveränderlichen
Umfang der Statsgebiete. Auch der Raum, den die Staten
einnehmen, ist abhängig von dem Wachsthum oder der Ab-
nahme der Volkskräfte in ihm. Aber das Statsgebiet hat
doch einen dauernden Charakter und seine Grenzen sind nicht
wie die Volkszahl einer unaufhörlichen Wandlung unterworfen.
Nur von Zeit zu Zeit in Folge groszer Ereignisse wird der
Gebietsumfang geändert. In der Regel bleibt er in feste
Grenzen
eingeschlossen.

Die Grenzen scheiden entweder das eigene Statsgebiet von
dem fremden ab, oder sie scheiden das Statsgebiet von den
Theilen der Erdoberfläche ab, welche keinem State angehören.
Im ersten Fall denkt man sich die Grenze als eine feste
Linie
und bezeichnet sie so gut es geht mit Grenzmarken,
Pfählen, Steinen, Gräben, Wällen u. s. f. Im letzteren Fall
bedarf es einer solchen scharfen Linie nicht, und es kann
auch je nach Umständen ohne Verwicklung mit andern Staten
die Grenze vorgeschoben oder zurückgezogen werden.

Zu der ersten Classe sind zu rechnen:

a) Strom- und Fluszgrenzen, obwohl dieselben nicht
in dem Masze fest und unbeweglich sind, wie die Landgrenzen.
Zuweilen wird die Mitte des Flusses, zuweilen der Thalweg
desselben, d. h. die durch die Strömung bestimmte Fahrbahn,
als die eigentliche Grenze der beiderseitigen Statshoheit be-
trachtet, aber weil die Mitte oder der Thalweg vorzüglich be-
nutzt wird, mit Rücksicht auf Schifffahrt und Verkehr, die
Benutzung des Flusses zugleich als eine gemeinschaftliche
behandelt. Sowohl die Mitte des Flusses als der Thalweg sind
aber öfteren Aenderungen unterworfen, in Folge der An- und
Abspülung der Ufer und in Folge veränderten Wasserlaufs.


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[276/0294] Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land. Demgemäsz musz die Verfassungspolitik auch eine lan- desmäszige sein, d. h. sie musz sich nach der Natur und dem Umfang des Landes richten, für welchen die Verfassung bestimmt ist. 2. Die Geschichte kennt keinen ewigen unveränderlichen Umfang der Statsgebiete. Auch der Raum, den die Staten einnehmen, ist abhängig von dem Wachsthum oder der Ab- nahme der Volkskräfte in ihm. Aber das Statsgebiet hat doch einen dauernden Charakter und seine Grenzen sind nicht wie die Volkszahl einer unaufhörlichen Wandlung unterworfen. Nur von Zeit zu Zeit in Folge groszer Ereignisse wird der Gebietsumfang geändert. In der Regel bleibt er in feste Grenzen eingeschlossen. Die Grenzen scheiden entweder das eigene Statsgebiet von dem fremden ab, oder sie scheiden das Statsgebiet von den Theilen der Erdoberfläche ab, welche keinem State angehören. Im ersten Fall denkt man sich die Grenze als eine feste Linie und bezeichnet sie so gut es geht mit Grenzmarken, Pfählen, Steinen, Gräben, Wällen u. s. f. Im letzteren Fall bedarf es einer solchen scharfen Linie nicht, und es kann auch je nach Umständen ohne Verwicklung mit andern Staten die Grenze vorgeschoben oder zurückgezogen werden. Zu der ersten Classe sind zu rechnen: a) Strom- und Fluszgrenzen, obwohl dieselben nicht in dem Masze fest und unbeweglich sind, wie die Landgrenzen. Zuweilen wird die Mitte des Flusses, zuweilen der Thalweg desselben, d. h. die durch die Strömung bestimmte Fahrbahn, als die eigentliche Grenze der beiderseitigen Statshoheit be- trachtet, aber weil die Mitte oder der Thalweg vorzüglich be- nutzt wird, mit Rücksicht auf Schifffahrt und Verkehr, die Benutzung des Flusses zugleich als eine gemeinschaftliche behandelt. Sowohl die Mitte des Flusses als der Thalweg sind aber öfteren Aenderungen unterworfen, in Folge der An- und Abspülung der Ufer und in Folge veränderten Wasserlaufs.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/294>, abgerufen am 29.04.2024.