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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
überläszt, diesen -- einzelnen Individuen oder Gesellschaften
-- ausnahmsweise auch die Befugnisz einräumen, für diesen
besonderen Zweck die Abtretung zu verlangen. Selbst in
England und Nordamerika ist diese Uebertragung des Rechts
auf Abtretung häufig von dem gesetzgebenden Körper an
Actiengesellschaften, z. B. für Erbauung von Eisenbahnen,
zugestanden worden.

Viele Gesetzgebungen beschränken die Abtretungspflicht
theils auf Liegenschaften, theils auf bestimmte einzeln be-
nannte Zwecke. Das Princip in seiner Reinheit aber wider-
streitet diesen Beschränkungen, indem ganz die nämlichen
Gründe, welche diese engere Anwendung rechtfertigen, auch
auf fahrendes Gut oder andere Vermögensrechte und auf
Zwecke passen, welche erst nach der gesetzlichen Aufzählung
durch neue Erfindungen und erweiterte Culturbedürfnisse sich
ergeben.

Die Frage dagegen, wie hoch die Entschädigung zu be-
stimmen sei, welche dem Abtretungspflichtigen zukomme, ist
von durchaus privatrechtlicher Natur, somit auch, wenn
sie nicht durch freien Vertrag zur Erledigung gelangt, auf
dem Wege des Civilprocesses zum Entscheide zu bringen.
Der Stat ist immerhin zu voller Entschädigung verpflichtet.
Dem Privaten darf kein Schaden zugemuthet werden, welcher
ihn allein betrifft. Demgemäsz ist nicht blosz der gemeine
Verkaufswerth
, sondern es ist auch der besondere
Mehrwerth
, welchen die Sache für den zur Abtretung ge-
zwungenen Eigenthümer hat, diesem zu ersetzen, nicht blosz
das unmittelbare, sondern auch das mittelbare Interesse. Da-
gegen ein blosz eingebildeter Mehrwerth, der über den
wirklichen hinaus reicht, also insbesondere auch der blosze
Affectionswerth, den der Eigenthümer der Sache beilegt oder
beizulegen vorgibt, braucht nicht vergütet zu werden.

Einzelne Rechte lassen bei Berechnung zwar nicht des
unmittelbaren Schadens, der jedenfalls vergütet werden musz,

Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
überläszt, diesen — einzelnen Individuen oder Gesellschaften
— ausnahmsweise auch die Befugnisz einräumen, für diesen
besonderen Zweck die Abtretung zu verlangen. Selbst in
England und Nordamerika ist diese Uebertragung des Rechts
auf Abtretung häufig von dem gesetzgebenden Körper an
Actiengesellschaften, z. B. für Erbauung von Eisenbahnen,
zugestanden worden.

Viele Gesetzgebungen beschränken die Abtretungspflicht
theils auf Liegenschaften, theils auf bestimmte einzeln be-
nannte Zwecke. Das Princip in seiner Reinheit aber wider-
streitet diesen Beschränkungen, indem ganz die nämlichen
Gründe, welche diese engere Anwendung rechtfertigen, auch
auf fahrendes Gut oder andere Vermögensrechte und auf
Zwecke passen, welche erst nach der gesetzlichen Aufzählung
durch neue Erfindungen und erweiterte Culturbedürfnisse sich
ergeben.

Die Frage dagegen, wie hoch die Entschädigung zu be-
stimmen sei, welche dem Abtretungspflichtigen zukomme, ist
von durchaus privatrechtlicher Natur, somit auch, wenn
sie nicht durch freien Vertrag zur Erledigung gelangt, auf
dem Wege des Civilprocesses zum Entscheide zu bringen.
Der Stat ist immerhin zu voller Entschädigung verpflichtet.
Dem Privaten darf kein Schaden zugemuthet werden, welcher
ihn allein betrifft. Demgemäsz ist nicht blosz der gemeine
Verkaufswerth
, sondern es ist auch der besondere
Mehrwerth
, welchen die Sache für den zur Abtretung ge-
zwungenen Eigenthümer hat, diesem zu ersetzen, nicht blosz
das unmittelbare, sondern auch das mittelbare Interesse. Da-
gegen ein blosz eingebildeter Mehrwerth, der über den
wirklichen hinaus reicht, also insbesondere auch der blosze
Affectionswerth, den der Eigenthümer der Sache beilegt oder
beizulegen vorgibt, braucht nicht vergütet zu werden.

Einzelne Rechte lassen bei Berechnung zwar nicht des
unmittelbaren Schadens, der jedenfalls vergütet werden musz,

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[296/0314] Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land. überläszt, diesen — einzelnen Individuen oder Gesellschaften — ausnahmsweise auch die Befugnisz einräumen, für diesen besonderen Zweck die Abtretung zu verlangen. Selbst in England und Nordamerika ist diese Uebertragung des Rechts auf Abtretung häufig von dem gesetzgebenden Körper an Actiengesellschaften, z. B. für Erbauung von Eisenbahnen, zugestanden worden. Viele Gesetzgebungen beschränken die Abtretungspflicht theils auf Liegenschaften, theils auf bestimmte einzeln be- nannte Zwecke. Das Princip in seiner Reinheit aber wider- streitet diesen Beschränkungen, indem ganz die nämlichen Gründe, welche diese engere Anwendung rechtfertigen, auch auf fahrendes Gut oder andere Vermögensrechte und auf Zwecke passen, welche erst nach der gesetzlichen Aufzählung durch neue Erfindungen und erweiterte Culturbedürfnisse sich ergeben. Die Frage dagegen, wie hoch die Entschädigung zu be- stimmen sei, welche dem Abtretungspflichtigen zukomme, ist von durchaus privatrechtlicher Natur, somit auch, wenn sie nicht durch freien Vertrag zur Erledigung gelangt, auf dem Wege des Civilprocesses zum Entscheide zu bringen. Der Stat ist immerhin zu voller Entschädigung verpflichtet. Dem Privaten darf kein Schaden zugemuthet werden, welcher ihn allein betrifft. Demgemäsz ist nicht blosz der gemeine Verkaufswerth, sondern es ist auch der besondere Mehrwerth, welchen die Sache für den zur Abtretung ge- zwungenen Eigenthümer hat, diesem zu ersetzen, nicht blosz das unmittelbare, sondern auch das mittelbare Interesse. Da- gegen ein blosz eingebildeter Mehrwerth, der über den wirklichen hinaus reicht, also insbesondere auch der blosze Affectionswerth, den der Eigenthümer der Sache beilegt oder beizulegen vorgibt, braucht nicht vergütet zu werden. Einzelne Rechte lassen bei Berechnung zwar nicht des unmittelbaren Schadens, der jedenfalls vergütet werden musz,

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/314>, abgerufen am 26.04.2024.