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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Siebenzehntes Cap. III. Die Aristokratie. A. Hellenische Form. Sparta.
offenkundigsten Verfall. Die Verfassung Lykurgs dagegen
erhielt fünf Jahrhunderte lang die Grösze Sparta's aufrecht,
und obwohl sie den Verfall derselben nicht abzuwenden ver-
mochte, so musz doch zugestanden werden, fürs erste, dasz
die Abweichung von den Verfassungsgrundsätzen Lykurgs,
insbesondere der seinen Gesetzen zuwider eingeschmuggelte
Reichthum Einzelner, die im Zusammenhang damit einge-
drungene Bestechlichkeit Vieler und die spätere Demagogie
der Ephoren, nicht aber die Festhaltung derselben die Ent-
artung und den Untergang Sparta's herbeigeführt habe 4; fürs
zweite, dasz die bewahrende Kraft dieser Verfassung um so
höher geschätzt werden musz, je mehr sie auf der einen Seite
mit der menschlichen Natur selbst, auf der andern mit der
Macht der Weltverhältnisse in Widerspruch und Kampf ge-
rieth. Einen Theil dieser unerschütterlichen Haltbarkeit mochte
sie aus dem ideokratischen Glauben des Volkes geschöpft
haben, dasz sein Gesetzgeber der Liebling des Zeus und selbst
ein gott-menschliches Wesen sei.

Indessen wird der ähnlichen Verfassung von Kreta und
der ebenfalls aristokratischen Verfassung von Karthago nicht
mindere Dauerhaftigkeit nachgerühmt, und es ist immerhin
eine durch die Geschichte erwiesene Thatsache, dasz die
Aristokratien, welche die Stätigkeit der Statsordnung zu
dem Hauptprincip ihres Daseins erhoben haben, auch sich
und den Stat weit länger zu conserviren verstehen, als die
Demokratien die Herrschaft des Demos.



4 Laurent (II, 290.) macht darauf aufmerksam, dasz die Unver-
änderlichkeit der Verfassung eine Ursache der Entvölkerung Sparta's ge-
worden sei.

Siebenzehntes Cap. III. Die Aristokratie. A. Hellenische Form. Sparta.
offenkundigsten Verfall. Die Verfassung Lykurgs dagegen
erhielt fünf Jahrhunderte lang die Grösze Sparta's aufrecht,
und obwohl sie den Verfall derselben nicht abzuwenden ver-
mochte, so musz doch zugestanden werden, fürs erste, dasz
die Abweichung von den Verfassungsgrundsätzen Lykurgs,
insbesondere der seinen Gesetzen zuwider eingeschmuggelte
Reichthum Einzelner, die im Zusammenhang damit einge-
drungene Bestechlichkeit Vieler und die spätere Demagogie
der Ephoren, nicht aber die Festhaltung derselben die Ent-
artung und den Untergang Sparta's herbeigeführt habe 4; fürs
zweite, dasz die bewahrende Kraft dieser Verfassung um so
höher geschätzt werden musz, je mehr sie auf der einen Seite
mit der menschlichen Natur selbst, auf der andern mit der
Macht der Weltverhältnisse in Widerspruch und Kampf ge-
rieth. Einen Theil dieser unerschütterlichen Haltbarkeit mochte
sie aus dem ideokratischen Glauben des Volkes geschöpft
haben, dasz sein Gesetzgeber der Liebling des Zeus und selbst
ein gott-menschliches Wesen sei.

Indessen wird der ähnlichen Verfassung von Kreta und
der ebenfalls aristokratischen Verfassung von Karthago nicht
mindere Dauerhaftigkeit nachgerühmt, und es ist immerhin
eine durch die Geschichte erwiesene Thatsache, dasz die
Aristokratien, welche die Stätigkeit der Statsordnung zu
dem Hauptprincip ihres Daseins erhoben haben, auch sich
und den Stat weit länger zu conserviren verstehen, als die
Demokratien die Herrschaft des Demos.



4 Laurent (II, 290.) macht darauf aufmerksam, dasz die Unver-
änderlichkeit der Verfassung eine Ursache der Entvölkerung Sparta's ge-
worden sei.
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[507/0525] Siebenzehntes Cap. III. Die Aristokratie. A. Hellenische Form. Sparta. offenkundigsten Verfall. Die Verfassung Lykurgs dagegen erhielt fünf Jahrhunderte lang die Grösze Sparta's aufrecht, und obwohl sie den Verfall derselben nicht abzuwenden ver- mochte, so musz doch zugestanden werden, fürs erste, dasz die Abweichung von den Verfassungsgrundsätzen Lykurgs, insbesondere der seinen Gesetzen zuwider eingeschmuggelte Reichthum Einzelner, die im Zusammenhang damit einge- drungene Bestechlichkeit Vieler und die spätere Demagogie der Ephoren, nicht aber die Festhaltung derselben die Ent- artung und den Untergang Sparta's herbeigeführt habe 4; fürs zweite, dasz die bewahrende Kraft dieser Verfassung um so höher geschätzt werden musz, je mehr sie auf der einen Seite mit der menschlichen Natur selbst, auf der andern mit der Macht der Weltverhältnisse in Widerspruch und Kampf ge- rieth. Einen Theil dieser unerschütterlichen Haltbarkeit mochte sie aus dem ideokratischen Glauben des Volkes geschöpft haben, dasz sein Gesetzgeber der Liebling des Zeus und selbst ein gott-menschliches Wesen sei. Indessen wird der ähnlichen Verfassung von Kreta und der ebenfalls aristokratischen Verfassung von Karthago nicht mindere Dauerhaftigkeit nachgerühmt, und es ist immerhin eine durch die Geschichte erwiesene Thatsache, dasz die Aristokratien, welche die Stätigkeit der Statsordnung zu dem Hauptprincip ihres Daseins erhoben haben, auch sich und den Stat weit länger zu conserviren verstehen, als die Demokratien die Herrschaft des Demos. 4 Laurent (II, 290.) macht darauf aufmerksam, dasz die Unver- änderlichkeit der Verfassung eine Ursache der Entvölkerung Sparta's ge- worden sei.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 507. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/525>, abgerufen am 29.04.2024.