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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Dreiundzwanzigstes Cap. IV. Demokrat. Statsformen. Betrachtungen etc.
schaft wird in so und so viele Parcellen zertheilt, welche der
Kopfzahl nach zwar einander gleich sind, wenn aber auf
ihre Eigenschaften gesehen wird, in einem sehr verschie-
denen Verhältnisz
zu der Gesammtheit stehen, mithin
sehr ungleiche Theile des Volkes sind. Wer wollte den
Wahlkreis von Paris, in welchem die reichsten und gebildet-
sten Theile der Bevölkerung, dann die zahlreichen Schichten
der einfachen Bürger (Krämer, Handwerker), ferner der Ar-
beiter und endlich auch eine Masse von Pöbel, wie er sonst
in Frankreich nirgends mehr sichtbar ist, auf unnatürliche
Weise gemischt sind, ohne sich zu einigen, und die ländlichen
Wahlkreise der Bretagne oder die Fabrikbezirke in Lyon
wirklich für gleich halten? Die Verschiedenartigkeit der Wahl-
kreise aber erfordert logisch schon eine verschiedene Wer-
thung ihres Stimmrechtes; und nur diejenige Anordnung und
Vertheilung der Wahlen bürgt für eine richtige Repräsenta-
tion des Volkes selbst, welche jedem der verschiedenen
Bestandtheile und Interessen in dem Volke eine
seinen Verhältnissen zum Ganzen gemäsze Vertre-
tung sichert
. Die Rücksicht auf die Zahl hat allerdings
auch einen Werth, aber sie allein genügt nicht; vielmehr
müssen die übrigen Eigenschaften, wenn die Aufgabe ist, je
die Besten zu Repräsentanten der Gesammtheit zu erheben,
-- des Vermögens, der Bildung, der Berufs- und Lebensweise
ebenfalls berücksichtigt werden; und am besten ist es, wenn
das in Anlehnung an organische Eintheilungen des Volkes
selbst, im Gegensatze zu willkürlich zusammengewürfelten
Massen geschieht.

Wir können daher für die Repräsentativdemokratie fol-
gende zwei Grundsätze aussprechen:

1. Da wo in ihr die Gesammtheit der Bürger selber han-
delt, bei Abstimmungen, welche durch das ganze Volk hin-
durch gehen, genügt die einfache Zählung der abstimmenden
Bürger, wie bei der unmittelbaren Demokratie.


Dreiundzwanzigstes Cap. IV. Demokrat. Statsformen. Betrachtungen etc.
schaft wird in so und so viele Parcellen zertheilt, welche der
Kopfzahl nach zwar einander gleich sind, wenn aber auf
ihre Eigenschaften gesehen wird, in einem sehr verschie-
denen Verhältnisz
zu der Gesammtheit stehen, mithin
sehr ungleiche Theile des Volkes sind. Wer wollte den
Wahlkreis von Paris, in welchem die reichsten und gebildet-
sten Theile der Bevölkerung, dann die zahlreichen Schichten
der einfachen Bürger (Krämer, Handwerker), ferner der Ar-
beiter und endlich auch eine Masse von Pöbel, wie er sonst
in Frankreich nirgends mehr sichtbar ist, auf unnatürliche
Weise gemischt sind, ohne sich zu einigen, und die ländlichen
Wahlkreise der Bretagne oder die Fabrikbezirke in Lyon
wirklich für gleich halten? Die Verschiedenartigkeit der Wahl-
kreise aber erfordert logisch schon eine verschiedene Wer-
thung ihres Stimmrechtes; und nur diejenige Anordnung und
Vertheilung der Wahlen bürgt für eine richtige Repräsenta-
tion des Volkes selbst, welche jedem der verschiedenen
Bestandtheile und Interessen in dem Volke eine
seinen Verhältnissen zum Ganzen gemäsze Vertre-
tung sichert
. Die Rücksicht auf die Zahl hat allerdings
auch einen Werth, aber sie allein genügt nicht; vielmehr
müssen die übrigen Eigenschaften, wenn die Aufgabe ist, je
die Besten zu Repräsentanten der Gesammtheit zu erheben,
— des Vermögens, der Bildung, der Berufs- und Lebensweise
ebenfalls berücksichtigt werden; und am besten ist es, wenn
das in Anlehnung an organische Eintheilungen des Volkes
selbst, im Gegensatze zu willkürlich zusammengewürfelten
Massen geschieht.

Wir können daher für die Repräsentativdemokratie fol-
gende zwei Grundsätze aussprechen:

1. Da wo in ihr die Gesammtheit der Bürger selber han-
delt, bei Abstimmungen, welche durch das ganze Volk hin-
durch gehen, genügt die einfache Zählung der abstimmenden
Bürger, wie bei der unmittelbaren Demokratie.


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[551/0569] Dreiundzwanzigstes Cap. IV. Demokrat. Statsformen. Betrachtungen etc. schaft wird in so und so viele Parcellen zertheilt, welche der Kopfzahl nach zwar einander gleich sind, wenn aber auf ihre Eigenschaften gesehen wird, in einem sehr verschie- denen Verhältnisz zu der Gesammtheit stehen, mithin sehr ungleiche Theile des Volkes sind. Wer wollte den Wahlkreis von Paris, in welchem die reichsten und gebildet- sten Theile der Bevölkerung, dann die zahlreichen Schichten der einfachen Bürger (Krämer, Handwerker), ferner der Ar- beiter und endlich auch eine Masse von Pöbel, wie er sonst in Frankreich nirgends mehr sichtbar ist, auf unnatürliche Weise gemischt sind, ohne sich zu einigen, und die ländlichen Wahlkreise der Bretagne oder die Fabrikbezirke in Lyon wirklich für gleich halten? Die Verschiedenartigkeit der Wahl- kreise aber erfordert logisch schon eine verschiedene Wer- thung ihres Stimmrechtes; und nur diejenige Anordnung und Vertheilung der Wahlen bürgt für eine richtige Repräsenta- tion des Volkes selbst, welche jedem der verschiedenen Bestandtheile und Interessen in dem Volke eine seinen Verhältnissen zum Ganzen gemäsze Vertre- tung sichert. Die Rücksicht auf die Zahl hat allerdings auch einen Werth, aber sie allein genügt nicht; vielmehr müssen die übrigen Eigenschaften, wenn die Aufgabe ist, je die Besten zu Repräsentanten der Gesammtheit zu erheben, — des Vermögens, der Bildung, der Berufs- und Lebensweise ebenfalls berücksichtigt werden; und am besten ist es, wenn das in Anlehnung an organische Eintheilungen des Volkes selbst, im Gegensatze zu willkürlich zusammengewürfelten Massen geschieht. Wir können daher für die Repräsentativdemokratie fol- gende zwei Grundsätze aussprechen: 1. Da wo in ihr die Gesammtheit der Bürger selber han- delt, bei Abstimmungen, welche durch das ganze Volk hin- durch gehen, genügt die einfache Zählung der abstimmenden Bürger, wie bei der unmittelbaren Demokratie.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/569>, abgerufen am 01.05.2024.