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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743.

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an die d. Ges. von Greifswalde.
würden sonsten nicht wieder ihre Gewohnheit,
die letzte Beschuldigung,
(daß nemlich Hrn.
Gottscheds Dichtkunst niemand als ein gebor-
ner Deutscher brauchen könne, weil sie ihre Re-
geln aus der besondern Natur der Deutschen her-
leite) so schlechthin ohne Erklärung und Be-
weis stehen lassen.
Jst denn das eigene Ge-
ständniß des Hrn. Prof. Gottscheds nicht Be-
weises genug? Er sagt ja selbst sein Buch sey
nur für die Deutschen brauchbar, nicht in An-
sehung der Sprache, denn darinn hat es für
alle andern deutsche Bücher nichts eigenes vor-
aus; hiemit in Ansehung der Materie oder des
Jnnhalts; wie könnten aber die Regeln dieser
Dichtkunst nur für die Deutschen brauchbar seyn,
wenn sie aus allgemeinen Grundsätzen, aus
der allgemeinen menschlichen Natur wären her-
geleitet worden? Wenn ihr also diese Folge und
Erklärung nicht für gültig erklären wollet; so
bleibet nichts übrig, als daß ihr bekennet, die-
se Worte für die Deutschen haben gar keinen
gesunden Verstand, und seyn vom Hrn. Prof.
ohne Bedacht und ohne zureichenden Grund hin-
geschmiert worden. Was wird aber diese Be-
schuldigung vor ein schlechtes Zutrauen für die
Gründlichkeit des Werckes selbst gebähren, wenn
dem Verfasser nicht einmahl die Fähigkeit zuge-
standen wird, ein Titelblatt mit Verstande zu
schreiben?

Dic alium Quintiliane colorem!

Und wie müßte wohl die Antung und Bestraf-

fung
[Crit. Samml. XI. St.] C

an die d. Geſ. von Greifswalde.
wuͤrden ſonſten nicht wieder ihre Gewohnheit,
die letzte Beſchuldigung,
(daß nemlich Hrn.
Gottſcheds Dichtkunſt niemand als ein gebor-
ner Deutſcher brauchen koͤnne, weil ſie ihre Re-
geln aus der beſondern Natur der Deutſchen her-
leite) ſo ſchlechthin ohne Erklaͤrung und Be-
weis ſtehen laſſen.
Jſt denn das eigene Ge-
ſtaͤndniß des Hrn. Prof. Gottſcheds nicht Be-
weiſes genug? Er ſagt ja ſelbſt ſein Buch ſey
nur fuͤr die Deutſchen brauchbar, nicht in An-
ſehung der Sprache, denn darinn hat es fuͤr
alle andern deutſche Buͤcher nichts eigenes vor-
aus; hiemit in Anſehung der Materie oder des
Jnnhalts; wie koͤnnten aber die Regeln dieſer
Dichtkunſt nur fuͤr die Deutſchen brauchbar ſeyn,
wenn ſie aus allgemeinen Grundſaͤtzen, aus
der allgemeinen menſchlichen Natur waͤren her-
geleitet worden? Wenn ihr alſo dieſe Folge und
Erklaͤrung nicht fuͤr guͤltig erklaͤren wollet; ſo
bleibet nichts uͤbrig, als daß ihr bekennet, die-
ſe Worte fuͤr die Deutſchen haben gar keinen
geſunden Verſtand, und ſeyn vom Hrn. Prof.
ohne Bedacht und ohne zureichenden Grund hin-
geſchmiert worden. Was wird aber dieſe Be-
ſchuldigung vor ein ſchlechtes Zutrauen fuͤr die
Gruͤndlichkeit des Werckes ſelbſt gebaͤhren, wenn
dem Verfaſſer nicht einmahl die Faͤhigkeit zuge-
ſtanden wird, ein Titelblatt mit Verſtande zu
ſchreiben?

Dic alium Quintiliane colorem!

Und wie muͤßte wohl die Antung und Beſtraf-

fung
[Crit. Sam̃l. XI. St.] C
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[33/0035] an die d. Geſ. von Greifswalde. wuͤrden ſonſten nicht wieder ihre Gewohnheit, die letzte Beſchuldigung, (daß nemlich Hrn. Gottſcheds Dichtkunſt niemand als ein gebor- ner Deutſcher brauchen koͤnne, weil ſie ihre Re- geln aus der beſondern Natur der Deutſchen her- leite) ſo ſchlechthin ohne Erklaͤrung und Be- weis ſtehen laſſen. Jſt denn das eigene Ge- ſtaͤndniß des Hrn. Prof. Gottſcheds nicht Be- weiſes genug? Er ſagt ja ſelbſt ſein Buch ſey nur fuͤr die Deutſchen brauchbar, nicht in An- ſehung der Sprache, denn darinn hat es fuͤr alle andern deutſche Buͤcher nichts eigenes vor- aus; hiemit in Anſehung der Materie oder des Jnnhalts; wie koͤnnten aber die Regeln dieſer Dichtkunſt nur fuͤr die Deutſchen brauchbar ſeyn, wenn ſie aus allgemeinen Grundſaͤtzen, aus der allgemeinen menſchlichen Natur waͤren her- geleitet worden? Wenn ihr alſo dieſe Folge und Erklaͤrung nicht fuͤr guͤltig erklaͤren wollet; ſo bleibet nichts uͤbrig, als daß ihr bekennet, die- ſe Worte fuͤr die Deutſchen haben gar keinen geſunden Verſtand, und ſeyn vom Hrn. Prof. ohne Bedacht und ohne zureichenden Grund hin- geſchmiert worden. Was wird aber dieſe Be- ſchuldigung vor ein ſchlechtes Zutrauen fuͤr die Gruͤndlichkeit des Werckes ſelbſt gebaͤhren, wenn dem Verfaſſer nicht einmahl die Faͤhigkeit zuge- ſtanden wird, ein Titelblatt mit Verſtande zu ſchreiben? Dic alium Quintiliane colorem! Und wie muͤßte wohl die Antung und Beſtraf- fung [Crit. Sam̃l. XI. St.] C

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung11_1743/35>, abgerufen am 26.04.2024.