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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743.

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an die d. Ges. von Greifswalde.

B. Auf der 416. Seite dieses VI.ten Artickels
laßt ihr folgendes Urtheil einfliessen:

"Der Herr
"Verfasser war der erste, der uns sowohl dem
"Namen, als der That nach, eine Critische
"Dichtkunst geliefert hat."

Dieses Urtheil ste-
het mit demjenigen, welches ihr auf der 427. Sei-
te aus dem II.ten Stücke der Schweitzerschen
Sammlungen anführet, in einem offenbaren Wie-
derspruch, denn da heißt es:

"Es verdiente auch
"diese Dichtkunst in Absicht auf den Verfasser
"viel ehender historisch, als critisch genennet zu
"werden, es sey denn, daß man das vortreffliche
"Critische Stücke Bl. 181. wo er Sal. Francken
"Abendsegen auf eine scharffsinnige Weise beur-
"theilet, in eine besondere Betrachtung ziehen
"wollte."

Hier mangelt mir nichts als der Er-
weis: Jhr widersprechet, ihr lobet; aber den
Grund warum ihr widersprechet und lobet, den
finde ich nirgends, ungeachtet der zweyten Regel,
die ihr euch selbst gemachet habet. Es fraget sich
nemlich, ob Herrn Gottscheds Dichtkunst mit
Recht eine Critische Dichtkunst heissen könne? Ei-
ne Dichtkunst verdienet erst dannzumahl den Na-
men Critisch, wenn sie nicht bloß verschiedene Ge-
dancken und Meinungen andrer von verschiedenen
Lehrsätzen anführet, oder eine Anleitung und Re-
geln giebt, wie ein Gedichte zu Stande zu bringen,
oder auch die Regeln mit einer philosophischen
Gründlichkeit erweiset; sondern wenn sie, nach
Hrn. Gottscheds eigner Erklärung,

"die Schön-
"heiten und Fehler vorkommender Meisterstücke,
"nach gründlich erwiesenen und fest-gesetzten Re-

"geln
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an die d. Geſ. von Greifswalde.

B. Auf der 416. Seite dieſes VI.ten Artickels
laßt ihr folgendes Urtheil einflieſſen:

„Der Herr
„Verfaſſer war der erſte, der uns ſowohl dem
„Namen, als der That nach, eine Critiſche
„Dichtkunſt geliefert hat.„

Dieſes Urtheil ſte-
het mit demjenigen, welches ihr auf der 427. Sei-
te aus dem II.ten Stuͤcke der Schweitzerſchen
Sammlungen anfuͤhret, in einem offenbaren Wie-
derſpruch, denn da heißt es:

„Es verdiente auch
„dieſe Dichtkunſt in Abſicht auf den Verfaſſer
„viel ehender hiſtoriſch, als critiſch genennet zu
„werden, es ſey denn, daß man das vortreffliche
„Critiſche Stuͤcke Bl. 181. wo er Sal. Francken
„Abendſegen auf eine ſcharffſinnige Weiſe beur-
„theilet, in eine beſondere Betrachtung ziehen
„wollte.„

Hier mangelt mir nichts als der Er-
weis: Jhr widerſprechet, ihr lobet; aber den
Grund warum ihr widerſprechet und lobet, den
finde ich nirgends, ungeachtet der zweyten Regel,
die ihr euch ſelbſt gemachet habet. Es fraget ſich
nemlich, ob Herrn Gottſcheds Dichtkunſt mit
Recht eine Critiſche Dichtkunſt heiſſen koͤnne? Ei-
ne Dichtkunſt verdienet erſt dannzumahl den Na-
men Critiſch, wenn ſie nicht bloß verſchiedene Ge-
dancken und Meinungen andrer von verſchiedenen
Lehrſaͤtzen anfuͤhret, oder eine Anleitung und Re-
geln giebt, wie ein Gedichte zu Stande zu bringen,
oder auch die Regeln mit einer philoſophiſchen
Gruͤndlichkeit erweiſet; ſondern wenn ſie, nach
Hrn. Gottſcheds eigner Erklaͤrung,

„die Schoͤn-
„heiten und Fehler vorkommender Meiſterſtuͤcke,
„nach gruͤndlich erwieſenen und feſt-geſetzten Re-

„geln
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[41/0043] an die d. Geſ. von Greifswalde. B. Auf der 416. Seite dieſes VI.ten Artickels laßt ihr folgendes Urtheil einflieſſen: „Der Herr „Verfaſſer war der erſte, der uns ſowohl dem „Namen, als der That nach, eine Critiſche „Dichtkunſt geliefert hat.„ Dieſes Urtheil ſte- het mit demjenigen, welches ihr auf der 427. Sei- te aus dem II.ten Stuͤcke der Schweitzerſchen Sammlungen anfuͤhret, in einem offenbaren Wie- derſpruch, denn da heißt es: „Es verdiente auch „dieſe Dichtkunſt in Abſicht auf den Verfaſſer „viel ehender hiſtoriſch, als critiſch genennet zu „werden, es ſey denn, daß man das vortreffliche „Critiſche Stuͤcke Bl. 181. wo er Sal. Francken „Abendſegen auf eine ſcharffſinnige Weiſe beur- „theilet, in eine beſondere Betrachtung ziehen „wollte.„ Hier mangelt mir nichts als der Er- weis: Jhr widerſprechet, ihr lobet; aber den Grund warum ihr widerſprechet und lobet, den finde ich nirgends, ungeachtet der zweyten Regel, die ihr euch ſelbſt gemachet habet. Es fraget ſich nemlich, ob Herrn Gottſcheds Dichtkunſt mit Recht eine Critiſche Dichtkunſt heiſſen koͤnne? Ei- ne Dichtkunſt verdienet erſt dannzumahl den Na- men Critiſch, wenn ſie nicht bloß verſchiedene Ge- dancken und Meinungen andrer von verſchiedenen Lehrſaͤtzen anfuͤhret, oder eine Anleitung und Re- geln giebt, wie ein Gedichte zu Stande zu bringen, oder auch die Regeln mit einer philoſophiſchen Gruͤndlichkeit erweiſet; ſondern wenn ſie, nach Hrn. Gottſcheds eigner Erklaͤrung, „die Schoͤn- „heiten und Fehler vorkommender Meiſterſtuͤcke, „nach gruͤndlich erwieſenen und feſt-geſetzten Re- „geln C 5

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung11_1743/43>, abgerufen am 26.04.2024.