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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Du hast gesehen, wie gerade im Geschlechtsleben noch der
Konflikt herüber- und hinüberwogte. Umsonst. Auch hier
brach die Individualisierung sich Bahn. Nur kein dauerndes
Verwachsen, -- jedes Individuum für sich und frei. Aller¬
dings: diese Freiheit schloß nicht im Prinzip den Begriff
"sozial" für alle Ewigkeit als solchen aus. Aus den in sich
geschlossenen, "freien" Individuen konnten neue, höher orga¬
nisierte Sozialverbände abermals entstehen. Aber in ganz
anderer, freierer Form. Sie sind entstanden. Denke nur an
die einfache Ehe. Aber noch weiter. Wir Menschen sind nach
jeder Richtung das beste Beispiel, -- das Beispiel, das gleich¬
sam zu den Sternen glänzt. Aber das war dann wirklich
höheres Stockwerk, -- ganz und gar nicht mehr nach Siphono¬
phorenart, ohne körperliches Zusammenwachsen. Auch so ent¬
hielt es noch viel Unterdrückung, -- gerade wir Menschen in
unserer Sozialgeschichte wissen das ja am besten. Da mußte
sich auch so noch viel abschleifen und muß es heute noch, --
Gott sei's geklagt, wie viel .....

Doch wir gehen zur Biene zurück. Also ich sagte: zum
Siphonophorenstaat ist auch sie ganz gewiß nicht zurückgekehrt.
Das konnte sie einfach nicht. Bienenindividuen, zu Tausenden
miteinander verwachsend, -- das gab's nicht mehr. Aber ist
darum nun von ihr schon der Weg gefunden worden gegen
jene höhere, freiere soziale Einigung hin? Mit diesem "Staat"
von so viel tausend Individuen? Man muß sagen: nein!
Der Bienenstaat arbeitet mit so und so viel tausend "Indi¬
viduen", ohne jede Verwachserei im Siphonophorensinne. Und
doch enthält er innerlich einen Rückschritt.

Der Bienenstaat setzte -- und hier liegt seine Kühnheit,
wie seine Tragik -- an der Geschlechtsecke ein. An jener Ecke,
wo im Ganzen der Tierentwickelung die Ehe im höheren
Sinne sich herausentwickelt hat. Viel später, beim Menschen,
sollte diese Ehe von außerordentlicher Bedeutung werden in
der Linie zur Staatsentwickelung. Aber die Biene begann mit

Du haſt geſehen, wie gerade im Geſchlechtsleben noch der
Konflikt herüber- und hinüberwogte. Umſonſt. Auch hier
brach die Individualiſierung ſich Bahn. Nur kein dauerndes
Verwachſen, — jedes Individuum für ſich und frei. Aller¬
dings: dieſe Freiheit ſchloß nicht im Prinzip den Begriff
„ſozial“ für alle Ewigkeit als ſolchen aus. Aus den in ſich
geſchloſſenen, „freien“ Individuen konnten neue, höher orga¬
niſierte Sozialverbände abermals entſtehen. Aber in ganz
anderer, freierer Form. Sie ſind entſtanden. Denke nur an
die einfache Ehe. Aber noch weiter. Wir Menſchen ſind nach
jeder Richtung das beſte Beiſpiel, — das Beiſpiel, das gleich¬
ſam zu den Sternen glänzt. Aber das war dann wirklich
höheres Stockwerk, — ganz und gar nicht mehr nach Siphono¬
phorenart, ohne körperliches Zuſammenwachſen. Auch ſo ent¬
hielt es noch viel Unterdrückung, — gerade wir Menſchen in
unſerer Sozialgeſchichte wiſſen das ja am beſten. Da mußte
ſich auch ſo noch viel abſchleifen und muß es heute noch, —
Gott ſei's geklagt, wie viel .....

Doch wir gehen zur Biene zurück. Alſo ich ſagte: zum
Siphonophorenſtaat iſt auch ſie ganz gewiß nicht zurückgekehrt.
Das konnte ſie einfach nicht. Bienenindividuen, zu Tauſenden
miteinander verwachſend, — das gab's nicht mehr. Aber iſt
darum nun von ihr ſchon der Weg gefunden worden gegen
jene höhere, freiere ſoziale Einigung hin? Mit dieſem „Staat“
von ſo viel tauſend Individuen? Man muß ſagen: nein!
Der Bienenſtaat arbeitet mit ſo und ſo viel tauſend „Indi¬
viduen“, ohne jede Verwachſerei im Siphonophorenſinne. Und
doch enthält er innerlich einen Rückſchritt.

Der Bienenſtaat ſetzte — und hier liegt ſeine Kühnheit,
wie ſeine Tragik — an der Geſchlechtsecke ein. An jener Ecke,
wo im Ganzen der Tierentwickelung die Ehe im höheren
Sinne ſich herausentwickelt hat. Viel ſpäter, beim Menſchen,
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[398/0414] Du haſt geſehen, wie gerade im Geſchlechtsleben noch der Konflikt herüber- und hinüberwogte. Umſonſt. Auch hier brach die Individualiſierung ſich Bahn. Nur kein dauerndes Verwachſen, — jedes Individuum für ſich und frei. Aller¬ dings: dieſe Freiheit ſchloß nicht im Prinzip den Begriff „ſozial“ für alle Ewigkeit als ſolchen aus. Aus den in ſich geſchloſſenen, „freien“ Individuen konnten neue, höher orga¬ niſierte Sozialverbände abermals entſtehen. Aber in ganz anderer, freierer Form. Sie ſind entſtanden. Denke nur an die einfache Ehe. Aber noch weiter. Wir Menſchen ſind nach jeder Richtung das beſte Beiſpiel, — das Beiſpiel, das gleich¬ ſam zu den Sternen glänzt. Aber das war dann wirklich höheres Stockwerk, — ganz und gar nicht mehr nach Siphono¬ phorenart, ohne körperliches Zuſammenwachſen. Auch ſo ent¬ hielt es noch viel Unterdrückung, — gerade wir Menſchen in unſerer Sozialgeſchichte wiſſen das ja am beſten. Da mußte ſich auch ſo noch viel abſchleifen und muß es heute noch, — Gott ſei's geklagt, wie viel ..... Doch wir gehen zur Biene zurück. Alſo ich ſagte: zum Siphonophorenſtaat iſt auch ſie ganz gewiß nicht zurückgekehrt. Das konnte ſie einfach nicht. Bienenindividuen, zu Tauſenden miteinander verwachſend, — das gab's nicht mehr. Aber iſt darum nun von ihr ſchon der Weg gefunden worden gegen jene höhere, freiere ſoziale Einigung hin? Mit dieſem „Staat“ von ſo viel tauſend Individuen? Man muß ſagen: nein! Der Bienenſtaat arbeitet mit ſo und ſo viel tauſend „Indi¬ viduen“, ohne jede Verwachſerei im Siphonophorenſinne. Und doch enthält er innerlich einen Rückſchritt. Der Bienenſtaat ſetzte — und hier liegt ſeine Kühnheit, wie ſeine Tragik — an der Geſchlechtsecke ein. An jener Ecke, wo im Ganzen der Tierentwickelung die Ehe im höheren Sinne ſich herausentwickelt hat. Viel ſpäter, beim Menſchen, ſollte dieſe Ehe von außerordentlicher Bedeutung werden in der Linie zur Staatsentwickelung. Aber die Biene begann mit

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/414>, abgerufen am 29.04.2024.