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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

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Gastmahl gegeben, wobei Frankreich und Deutsch¬
land sich Brüderschaft zutranken. Die französische
Freiheitsfahne wurde mit der Deutschen verschwistert,
und den andern Tag eine deutsche dreifarbige Fahne
den Göttingern durch eine Deputation feierlich über¬
reicht und geschenkt. Diesen Freiheitshelden muß
ja in Straßburg zu Muthe seyn wie den Fischen im
Wasser. Hätten sie die Hannoveraner gefangen,
wären sie tüchtig eingesalzen worden.

Gestern habe ich im Theatre Francais zwei
Molieresche Stücke gesehen: l'etourdi und le ma¬
lade imaginaire
. Da darf man doch mit Ehren
lachen und braucht sich den andern Morgen nicht zu
schämen. Es ist wie ein Wunder, daß ein Blitz,
der vor 170 Jahren die Wolken verlassen -- so
lange ist Moliere todt -- noch heute gezündet! Wie
lange wird man über Scribe lachen? Aber so sind
unsere heutigen Komödiendichter. Sie zeigen uns die
Mode-Thorheiten; doch Moliere zeigte uns die ewi¬
gen Thorheiten des Menschen. Ich betrachtete mit
Liebe und Andacht Moliere's Büste, die im Foyer
der Büste Voltaire's gegenüber stehet. Moliere hat
einen sanften durchwärmenden Blick, einen freundlich
lächelnden Mund, welcher spricht: ich kenne euch, ihr
guten thörichten Menschen. Voltaire ziehet höhnisch

Gaſtmahl gegeben, wobei Frankreich und Deutſch¬
land ſich Brüderſchaft zutranken. Die franzöſiſche
Freiheitsfahne wurde mit der Deutſchen verſchwiſtert,
und den andern Tag eine deutſche dreifarbige Fahne
den Göttingern durch eine Deputation feierlich über¬
reicht und geſchenkt. Dieſen Freiheitshelden muß
ja in Straßburg zu Muthe ſeyn wie den Fiſchen im
Waſſer. Hätten ſie die Hannoveraner gefangen,
wären ſie tüchtig eingeſalzen worden.

Geſtern habe ich im Theatre Français zwei
Moliereſche Stücke geſehen: l’etourdi und le ma¬
lade imaginaire
. Da darf man doch mit Ehren
lachen und braucht ſich den andern Morgen nicht zu
ſchämen. Es iſt wie ein Wunder, daß ein Blitz,
der vor 170 Jahren die Wolken verlaſſen — ſo
lange iſt Moliere todt — noch heute gezündet! Wie
lange wird man über Scribe lachen? Aber ſo ſind
unſere heutigen Komödiendichter. Sie zeigen uns die
Mode-Thorheiten; doch Moliere zeigte uns die ewi¬
gen Thorheiten des Menſchen. Ich betrachtete mit
Liebe und Andacht Moliere's Büſte, die im Foyer
der Büſte Voltaire's gegenüber ſtehet. Moliere hat
einen ſanften durchwärmenden Blick, einen freundlich
lächelnden Mund, welcher ſpricht: ich kenne euch, ihr
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[60/0074] Gaſtmahl gegeben, wobei Frankreich und Deutſch¬ land ſich Brüderſchaft zutranken. Die franzöſiſche Freiheitsfahne wurde mit der Deutſchen verſchwiſtert, und den andern Tag eine deutſche dreifarbige Fahne den Göttingern durch eine Deputation feierlich über¬ reicht und geſchenkt. Dieſen Freiheitshelden muß ja in Straßburg zu Muthe ſeyn wie den Fiſchen im Waſſer. Hätten ſie die Hannoveraner gefangen, wären ſie tüchtig eingeſalzen worden. Geſtern habe ich im Theatre Français zwei Moliereſche Stücke geſehen: l’etourdi und le ma¬ lade imaginaire. Da darf man doch mit Ehren lachen und braucht ſich den andern Morgen nicht zu ſchämen. Es iſt wie ein Wunder, daß ein Blitz, der vor 170 Jahren die Wolken verlaſſen — ſo lange iſt Moliere todt — noch heute gezündet! Wie lange wird man über Scribe lachen? Aber ſo ſind unſere heutigen Komödiendichter. Sie zeigen uns die Mode-Thorheiten; doch Moliere zeigte uns die ewi¬ gen Thorheiten des Menſchen. Ich betrachtete mit Liebe und Andacht Moliere's Büſte, die im Foyer der Büſte Voltaire's gegenüber ſtehet. Moliere hat einen ſanften durchwärmenden Blick, einen freundlich lächelnden Mund, welcher ſpricht: ich kenne euch, ihr guten thörichten Menſchen. Voltaire ziehet höhniſch

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/74>, abgerufen am 28.04.2024.