Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Während ich gestern auf den Boulevards mich wie
ein Kind an den Mummereien ergötzte, zerstörte das
Volk die Kirchen, warf von den Thürmen die lilien¬
geschmückten Kreuze herab und verwüstete den Pallast
des Erzbischofs. Das hätte ich alles mit ansehen
können, wäre ich kein solcher Unglücksvogel. Zu
jeder andern Zeit bin ich in dem entlegensten Winkel
von Paris zu finden, aber sobald etwas vorgeht, bin
ich auf der Stube. Wo ich hinkomme, ist Frieden,
ich bin ein wahres krampfstillendes Mittel, und die
Regierung sollte mich anstellen, Revolutionen zu ver¬
hüten. Wer nur von einem Thurme herab diese
Contraste mit einem Blicke hätte übersehen können!
Die Seine hinab schwammen die Möbel und Bücher
des Erzbischofs, das Wasser war weiß von Bett¬
federn. Auf der einen Seite des Stromes trug das
Volk in Prozession das Bild des Erzbischofs und
beräucherte es aus Spott mit Kirchengefäßen, auf der
andern jubelte der Zug des Boeuf gras vorüber,
umringt von Amoretten, Göttern und Narren. Hier
hielt die Nationalgarde mit großer Mühe die Wuth
des Volks im Zaum, dort machte sie mit noch größe¬
rer Mühe seinem Jubel Platz. Solche kühne Sprünge
haben Shakespeare, Swift, Jean Paul nie gewagt.
Aber es war wieder ein strenges und gerechtes Volks¬
gericht! Mehrere meiner Bekannten, die glücklicher
als ich, im Gedränge waren, haben mir erzählt, von

Während ich geſtern auf den Boulevards mich wie
ein Kind an den Mummereien ergötzte, zerſtörte das
Volk die Kirchen, warf von den Thürmen die lilien¬
geſchmückten Kreuze herab und verwüſtete den Pallaſt
des Erzbiſchofs. Das hätte ich alles mit anſehen
können, wäre ich kein ſolcher Unglücksvogel. Zu
jeder andern Zeit bin ich in dem entlegenſten Winkel
von Paris zu finden, aber ſobald etwas vorgeht, bin
ich auf der Stube. Wo ich hinkomme, iſt Frieden,
ich bin ein wahres krampfſtillendes Mittel, und die
Regierung ſollte mich anſtellen, Revolutionen zu ver¬
hüten. Wer nur von einem Thurme herab dieſe
Contraſte mit einem Blicke hätte überſehen können!
Die Seine hinab ſchwammen die Möbel und Bücher
des Erzbiſchofs, das Waſſer war weiß von Bett¬
federn. Auf der einen Seite des Stromes trug das
Volk in Prozeſſion das Bild des Erzbiſchofs und
beräucherte es aus Spott mit Kirchengefäßen, auf der
andern jubelte der Zug des Boeuf gras vorüber,
umringt von Amoretten, Göttern und Narren. Hier
hielt die Nationalgarde mit großer Mühe die Wuth
des Volks im Zaum, dort machte ſie mit noch größe¬
rer Mühe ſeinem Jubel Platz. Solche kühne Sprünge
haben Shakeſpeare, Swift, Jean Paul nie gewagt.
Aber es war wieder ein ſtrenges und gerechtes Volks¬
gericht! Mehrere meiner Bekannten, die glücklicher
als ich, im Gedränge waren, haben mir erzählt, von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0078" n="64"/>
Während ich ge&#x017F;tern auf den Boulevards mich wie<lb/>
ein Kind an den Mummereien ergötzte, zer&#x017F;törte das<lb/>
Volk die Kirchen, warf von den Thürmen die lilien¬<lb/>
ge&#x017F;chmückten Kreuze herab und verwü&#x017F;tete den Palla&#x017F;t<lb/>
des Erzbi&#x017F;chofs. Das hätte ich alles mit an&#x017F;ehen<lb/>
können, wäre ich kein &#x017F;olcher Unglücksvogel. Zu<lb/>
jeder andern Zeit bin ich in dem entlegen&#x017F;ten Winkel<lb/>
von Paris zu finden, aber &#x017F;obald etwas vorgeht, bin<lb/>
ich auf der Stube. Wo ich hinkomme, i&#x017F;t Frieden,<lb/>
ich bin ein wahres krampf&#x017F;tillendes Mittel, und die<lb/>
Regierung &#x017F;ollte mich an&#x017F;tellen, Revolutionen zu ver¬<lb/>
hüten. Wer nur von einem Thurme herab die&#x017F;e<lb/>
Contra&#x017F;te mit einem Blicke hätte über&#x017F;ehen können!<lb/>
Die Seine hinab &#x017F;chwammen die Möbel und Bücher<lb/>
des Erzbi&#x017F;chofs, das Wa&#x017F;&#x017F;er war weiß von Bett¬<lb/>
federn. Auf der einen Seite des Stromes trug das<lb/>
Volk in Proze&#x017F;&#x017F;ion das Bild des Erzbi&#x017F;chofs und<lb/>
beräucherte es aus Spott mit Kirchengefäßen, auf der<lb/>
andern jubelte der Zug des <hi rendition="#aq">Boeuf gras</hi> vorüber,<lb/>
umringt von Amoretten, Göttern und Narren. Hier<lb/>
hielt die Nationalgarde mit großer Mühe die Wuth<lb/>
des Volks im Zaum, dort machte &#x017F;ie mit noch größe¬<lb/>
rer Mühe &#x017F;einem Jubel Platz. Solche kühne Sprünge<lb/>
haben Shake&#x017F;peare, Swift, Jean Paul nie gewagt.<lb/>
Aber es war wieder ein &#x017F;trenges und gerechtes Volks¬<lb/>
gericht! Mehrere meiner Bekannten, die glücklicher<lb/>
als ich, im Gedränge waren, haben mir erzählt, von<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0078] Während ich geſtern auf den Boulevards mich wie ein Kind an den Mummereien ergötzte, zerſtörte das Volk die Kirchen, warf von den Thürmen die lilien¬ geſchmückten Kreuze herab und verwüſtete den Pallaſt des Erzbiſchofs. Das hätte ich alles mit anſehen können, wäre ich kein ſolcher Unglücksvogel. Zu jeder andern Zeit bin ich in dem entlegenſten Winkel von Paris zu finden, aber ſobald etwas vorgeht, bin ich auf der Stube. Wo ich hinkomme, iſt Frieden, ich bin ein wahres krampfſtillendes Mittel, und die Regierung ſollte mich anſtellen, Revolutionen zu ver¬ hüten. Wer nur von einem Thurme herab dieſe Contraſte mit einem Blicke hätte überſehen können! Die Seine hinab ſchwammen die Möbel und Bücher des Erzbiſchofs, das Waſſer war weiß von Bett¬ federn. Auf der einen Seite des Stromes trug das Volk in Prozeſſion das Bild des Erzbiſchofs und beräucherte es aus Spott mit Kirchengefäßen, auf der andern jubelte der Zug des Boeuf gras vorüber, umringt von Amoretten, Göttern und Narren. Hier hielt die Nationalgarde mit großer Mühe die Wuth des Volks im Zaum, dort machte ſie mit noch größe¬ rer Mühe ſeinem Jubel Platz. Solche kühne Sprünge haben Shakeſpeare, Swift, Jean Paul nie gewagt. Aber es war wieder ein ſtrenges und gerechtes Volks¬ gericht! Mehrere meiner Bekannten, die glücklicher als ich, im Gedränge waren, haben mir erzählt, von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/78
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/78>, abgerufen am 26.04.2024.