daß sie es lächerlich finden, wenn ein körperschwacher Mensch die hohe und dicke Mauer der Gewohnheit zu erschüttern sucht. Ich erinnere mich, daß, als vor mehreren Jahren eine Verschwörung gegen die russische Regierung entdeckt wurde und die Haupt¬ verschwornen hingerichtet wurden, man von einem derselben nichts verächtlicheres glaubte sagen zu kön¬ nen, als er sey nervenschwach und habe doch gesucht ein Reich umzustürzen! Auch Robert hat mich einen nervenschwachen Athleten genannt. Ueber die Spötter! weil sie, wie jener Crotoneser, von Kind¬ heit an gewöhnt, ein Kälbchen mit sich herumzuschlep¬ pen, in ihrem Alter es dahin gebracht, einen ganz lebendigen Ochsen zu tragen, halten sie sich für stark, weil sie dumm sind. Diese Menschen, die, weil sie sich nie der Außenwelt widersetzt, auch niemals Wi¬ derstand gefunden, sehen nicht die nächste Grenze ihrer Kraft und halten sich für mächtig, weil sie zur allgemeinen Materie gehören. Der Johanniter Meyer in Hamburg kennt mich besser. Er nennt mich so ein Kerl, was doch auf eine sechs Fuß hohe Seele hindeutet. Ach! wäre ich nur so ein Kerl! nicht wie jetzt, ein jämmerlich übersetzter Kerl, sondern ein untersetzter Kerl, mit breiten Schul¬ tern, breiter Brust, breiten Zähnen, breiten Fäusten und breiten Gedanken -- Hei! wie wollte ich sie zurichten! Denn wahrlich, stünden mir alle Waffen
daß ſie es lächerlich finden, wenn ein körperſchwacher Menſch die hohe und dicke Mauer der Gewohnheit zu erſchüttern ſucht. Ich erinnere mich, daß, als vor mehreren Jahren eine Verſchwörung gegen die ruſſiſche Regierung entdeckt wurde und die Haupt¬ verſchwornen hingerichtet wurden, man von einem derſelben nichts verächtlicheres glaubte ſagen zu kön¬ nen, als er ſey nervenſchwach und habe doch geſucht ein Reich umzuſtürzen! Auch Robert hat mich einen nervenſchwachen Athleten genannt. Ueber die Spötter! weil ſie, wie jener Crotoneſer, von Kind¬ heit an gewöhnt, ein Kälbchen mit ſich herumzuſchlep¬ pen, in ihrem Alter es dahin gebracht, einen ganz lebendigen Ochſen zu tragen, halten ſie ſich für ſtark, weil ſie dumm ſind. Dieſe Menſchen, die, weil ſie ſich nie der Außenwelt widerſetzt, auch niemals Wi¬ derſtand gefunden, ſehen nicht die nächſte Grenze ihrer Kraft und halten ſich für mächtig, weil ſie zur allgemeinen Materie gehören. Der Johanniter Meyer in Hamburg kennt mich beſſer. Er nennt mich ſo ein Kerl, was doch auf eine ſechs Fuß hohe Seele hindeutet. Ach! wäre ich nur ſo ein Kerl! nicht wie jetzt, ein jämmerlich überſetzter Kerl, ſondern ein unterſetzter Kerl, mit breiten Schul¬ tern, breiter Bruſt, breiten Zähnen, breiten Fäuſten und breiten Gedanken — Hei! wie wollte ich ſie zurichten! Denn wahrlich, ſtünden mir alle Waffen
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daß ſie es lächerlich finden, wenn ein körperſchwacher
Menſch die hohe und dicke Mauer der Gewohnheit
zu erſchüttern ſucht. Ich erinnere mich, daß, als
vor mehreren Jahren eine Verſchwörung gegen die
ruſſiſche Regierung entdeckt wurde und die Haupt¬
verſchwornen hingerichtet wurden, man von einem
derſelben nichts verächtlicheres glaubte ſagen zu kön¬
nen, als er ſey nervenſchwach und habe doch geſucht
ein Reich umzuſtürzen! Auch Robert hat mich einen
nervenſchwachen Athleten genannt. Ueber die
Spötter! weil ſie, wie jener Crotoneſer, von Kind¬
heit an gewöhnt, ein Kälbchen mit ſich herumzuſchlep¬
pen, in ihrem Alter es dahin gebracht, einen ganz
lebendigen Ochſen zu tragen, halten ſie ſich für ſtark,
weil ſie dumm ſind. Dieſe Menſchen, die, weil ſie
ſich nie der Außenwelt widerſetzt, auch niemals Wi¬
derſtand gefunden, ſehen nicht die nächſte Grenze
ihrer Kraft und halten ſich für mächtig, weil ſie zur
allgemeinen Materie gehören. Der Johanniter Meyer
in Hamburg kennt mich beſſer. Er nennt mich ſo
ein Kerl, was doch auf eine ſechs Fuß hohe
Seele hindeutet. Ach! wäre ich nur ſo ein Kerl!
nicht wie jetzt, ein jämmerlich überſetzter Kerl,
ſondern ein unterſetzter Kerl, mit breiten Schul¬
tern, breiter Bruſt, breiten Zähnen, breiten Fäuſten
und breiten Gedanken — Hei! wie wollte ich ſie
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/128>, abgerufen am 26.04.2024.
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