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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

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Zu besserm Verständniß sollte ich Ihnen vorher
einiges aus der wahren Geschichte der fürstlichen
Familie Borgia mittheilen, wenn auch nur mit un¬
leserlicher Hand, daß Sie so von der Hälfte der
Wahrheit, die ich Ihnen erzählte, nur die Hälfte
verstünden. Doch ich fürchte, noch so unleserlich,
möchte das dem monarchischen Prinzip schaden, das
jetzt kränklich und reizbar ist und das man schonen
muß. Auch könnte dann geschehen, daß Sie vor
Marat wie vor einem Heiligen niederfielen, und sie
sollten keinen andern Mann anbeten, als den Einen.

Nach reiflicher diätetischer Ueberlegung, habe ich
beschlossen, Sie mit der letzten Scene der Tragödie
zuerst bekannt zu machen. Wenn Sie es dort oben,
auf dem Gipfel der Greuel ausgehalten, ist weiter
unten ein wahres Vergnügen. Einige Schritte den
Berg hinab und Sie werden glauben in einer tugend¬
haften Region zu sein, und auf der Mitte des Ber¬
ges wo man nur wenig mordet, könnte Ihnen die
moralische Hitze vielleicht lästig fallen. Wenn in dem
Drama Personen vorkommen die nur den Dolch
gebrauchen, wird man gerührt, und man möchte ihnen
um den Hals fallen. Mir erging es ganz im Ernste
so. Ein Bandit, Vertrauter der Lucrecia, der alle
ihre Missethaten ausführt oder einleitet, aber nur des
Geldes willen, ohne Bosheit, erschien mir wie ein

Zu beſſerm Verſtändniß ſollte ich Ihnen vorher
einiges aus der wahren Geſchichte der fürſtlichen
Familie Borgia mittheilen, wenn auch nur mit un¬
leſerlicher Hand, daß Sie ſo von der Hälfte der
Wahrheit, die ich Ihnen erzählte, nur die Hälfte
verſtünden. Doch ich fürchte, noch ſo unleſerlich,
möchte das dem monarchiſchen Prinzip ſchaden, das
jetzt kränklich und reizbar iſt und das man ſchonen
muß. Auch könnte dann geſchehen, daß Sie vor
Marat wie vor einem Heiligen niederfielen, und ſie
ſollten keinen andern Mann anbeten, als den Einen.

Nach reiflicher diätetiſcher Ueberlegung, habe ich
beſchloſſen, Sie mit der letzten Scene der Tragödie
zuerſt bekannt zu machen. Wenn Sie es dort oben,
auf dem Gipfel der Greuel ausgehalten, iſt weiter
unten ein wahres Vergnügen. Einige Schritte den
Berg hinab und Sie werden glauben in einer tugend¬
haften Region zu ſein, und auf der Mitte des Ber¬
ges wo man nur wenig mordet, könnte Ihnen die
moraliſche Hitze vielleicht läſtig fallen. Wenn in dem
Drama Perſonen vorkommen die nur den Dolch
gebrauchen, wird man gerührt, und man möchte ihnen
um den Hals fallen. Mir erging es ganz im Ernſte
ſo. Ein Bandit, Vertrauter der Lucrecia, der alle
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[119/0131] Zu beſſerm Verſtändniß ſollte ich Ihnen vorher einiges aus der wahren Geſchichte der fürſtlichen Familie Borgia mittheilen, wenn auch nur mit un¬ leſerlicher Hand, daß Sie ſo von der Hälfte der Wahrheit, die ich Ihnen erzählte, nur die Hälfte verſtünden. Doch ich fürchte, noch ſo unleſerlich, möchte das dem monarchiſchen Prinzip ſchaden, das jetzt kränklich und reizbar iſt und das man ſchonen muß. Auch könnte dann geſchehen, daß Sie vor Marat wie vor einem Heiligen niederfielen, und ſie ſollten keinen andern Mann anbeten, als den Einen. Nach reiflicher diätetiſcher Ueberlegung, habe ich beſchloſſen, Sie mit der letzten Scene der Tragödie zuerſt bekannt zu machen. Wenn Sie es dort oben, auf dem Gipfel der Greuel ausgehalten, iſt weiter unten ein wahres Vergnügen. Einige Schritte den Berg hinab und Sie werden glauben in einer tugend¬ haften Region zu ſein, und auf der Mitte des Ber¬ ges wo man nur wenig mordet, könnte Ihnen die moraliſche Hitze vielleicht läſtig fallen. Wenn in dem Drama Perſonen vorkommen die nur den Dolch gebrauchen, wird man gerührt, und man möchte ihnen um den Hals fallen. Mir erging es ganz im Ernſte ſo. Ein Bandit, Vertrauter der Lucrecia, der alle ihre Miſſethaten ausführt oder einleitet, aber nur des Geldes willen, ohne Bosheit, erſchien mir wie ein

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/131>, abgerufen am 26.04.2024.