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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831.

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Kraft bis in die Mitte des Haarröhrchens wirken und dort die Flüs-
sigkeit gehoben erhalten könne. Indeß ist dieser Einwurf offenbar
leicht zu widerlegen, indem es von selbst erhellt, daß die Röhren-
wand nur eine sehr dünne Schichte, die mit ihr in unmittelbarer
Berührung ist, erhält, diese Schichte selbst aber trägt die zunächst
anliegende Schichte, diese die abermals weiter nach dem Innern
liegende u. s. w. So bilden sich Säulen, die die ganze Röhre
füllen, jede näher gegen den Mittelpunct zu liegende immer um
etwas Geringes niedriger, als die der Wand näher liegende, und
die Oberfläche des Flüssigen in der Röhre bildet eine Höhlung, eine
Concavität, deren Entstehung wohl aus diesen Bemerkungen deutlich
wird. Aber diese Form der Oberfläche hat durch Laplace's theore-
tische Untersuchungen über diesen Gegenstand noch eine neue Wich-
tigkeit erlangt, indem Laplace's Untersuchung zeigt, daß die Anzie-
hungskraft der obersten Schichte in der Röhre das Gleichgewicht der
einmal gehobenen Säule erhält; und da ich die Hoffnung hege, daß
eine etwas nähere Einsicht in die scharfsinnigen Schlüsse, auf denen
Laplace's Theorie beruht, auch Ihnen angenehm sein wird, so
werde ich versuchen, in populärer Darstellung Ihnen etwas von
dem anzugeben, was den mathematischen Rechnungen Laplace's
zum Grunde liegt.

Wir denken uns also jetzt die gehobene Flüssigkeit, ohne noch
zu fragen, woher diese Gestalt der Oberfläche entstehe, als begrenzt
an der obern Seite durch die gekrümmte Oberfläche ACB, (Fig. 5.)
die wir als eine Kugelfläche ansehen dürfen. Die Wassertheilchen
ziehen einander an, und wir müssen also zu bestimmen suchen, wie-
fern die Theilchen der den Punct C unmittelbar umgebenden Ku-
gelschichte anders wirken, als es bei einer ebnen Oberfläche der Fall
sein würde. Und hier erhellt leicht, daß, so eng begrenzt auch die
Anziehungsweite der der Axe benachbarten Theilchen ist, doch die
um C oberhalb DE liegenden Theilchen eine Anziehung hinauf-
wärts ausüben, die nicht statt fände, wenn (Fig. 5.) DE die
Oberfläche ausmachte. Diese aus der kugelförmigen Gestalt der
Oberfläche entspringende Anziehung auf die unmittelbar unter C in
der Axe liegenden Wassertheilchen ist desto stärker, je kleiner der
Durchmesser der Kugel ACB ist, indem bei einer kleineren
Kugel die Dicke der über DE liegenden Schichte in sehr geringen

Kraft bis in die Mitte des Haarroͤhrchens wirken und dort die Fluͤſ-
ſigkeit gehoben erhalten koͤnne. Indeß iſt dieſer Einwurf offenbar
leicht zu widerlegen, indem es von ſelbſt erhellt, daß die Roͤhren-
wand nur eine ſehr duͤnne Schichte, die mit ihr in unmittelbarer
Beruͤhrung iſt, erhaͤlt, dieſe Schichte ſelbſt aber traͤgt die zunaͤchſt
anliegende Schichte, dieſe die abermals weiter nach dem Innern
liegende u. ſ. w. So bilden ſich Saͤulen, die die ganze Roͤhre
fuͤllen, jede naͤher gegen den Mittelpunct zu liegende immer um
etwas Geringes niedriger, als die der Wand naͤher liegende, und
die Oberflaͤche des Fluͤſſigen in der Roͤhre bildet eine Hoͤhlung, eine
Concavitaͤt, deren Entſtehung wohl aus dieſen Bemerkungen deutlich
wird. Aber dieſe Form der Oberflaͤche hat durch Laplace's theore-
tiſche Unterſuchungen uͤber dieſen Gegenſtand noch eine neue Wich-
tigkeit erlangt, indem Laplace's Unterſuchung zeigt, daß die Anzie-
hungskraft der oberſten Schichte in der Roͤhre das Gleichgewicht der
einmal gehobenen Saͤule erhaͤlt; und da ich die Hoffnung hege, daß
eine etwas naͤhere Einſicht in die ſcharfſinnigen Schluͤſſe, auf denen
Laplace's Theorie beruht, auch Ihnen angenehm ſein wird, ſo
werde ich verſuchen, in populaͤrer Darſtellung Ihnen etwas von
dem anzugeben, was den mathematiſchen Rechnungen Laplace's
zum Grunde liegt.

Wir denken uns alſo jetzt die gehobene Fluͤſſigkeit, ohne noch
zu fragen, woher dieſe Geſtalt der Oberflaͤche entſtehe, als begrenzt
an der obern Seite durch die gekruͤmmte Oberflaͤche ACB, (Fig. 5.)
die wir als eine Kugelflaͤche anſehen duͤrfen. Die Waſſertheilchen
ziehen einander an, und wir muͤſſen alſo zu beſtimmen ſuchen, wie-
fern die Theilchen der den Punct C unmittelbar umgebenden Ku-
gelſchichte anders wirken, als es bei einer ebnen Oberflaͤche der Fall
ſein wuͤrde. Und hier erhellt leicht, daß, ſo eng begrenzt auch die
Anziehungsweite der der Axe benachbarten Theilchen iſt, doch die
um C oberhalb DE liegenden Theilchen eine Anziehung hinauf-
waͤrts ausuͤben, die nicht ſtatt faͤnde, wenn (Fig. 5.) DE die
Oberflaͤche ausmachte. Dieſe aus der kugelfoͤrmigen Geſtalt der
Oberflaͤche entſpringende Anziehung auf die unmittelbar unter C in
der Axe liegenden Waſſertheilchen iſt deſto ſtaͤrker, je kleiner der
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[10/0024] Kraft bis in die Mitte des Haarroͤhrchens wirken und dort die Fluͤſ- ſigkeit gehoben erhalten koͤnne. Indeß iſt dieſer Einwurf offenbar leicht zu widerlegen, indem es von ſelbſt erhellt, daß die Roͤhren- wand nur eine ſehr duͤnne Schichte, die mit ihr in unmittelbarer Beruͤhrung iſt, erhaͤlt, dieſe Schichte ſelbſt aber traͤgt die zunaͤchſt anliegende Schichte, dieſe die abermals weiter nach dem Innern liegende u. ſ. w. So bilden ſich Saͤulen, die die ganze Roͤhre fuͤllen, jede naͤher gegen den Mittelpunct zu liegende immer um etwas Geringes niedriger, als die der Wand naͤher liegende, und die Oberflaͤche des Fluͤſſigen in der Roͤhre bildet eine Hoͤhlung, eine Concavitaͤt, deren Entſtehung wohl aus dieſen Bemerkungen deutlich wird. Aber dieſe Form der Oberflaͤche hat durch Laplace's theore- tiſche Unterſuchungen uͤber dieſen Gegenſtand noch eine neue Wich- tigkeit erlangt, indem Laplace's Unterſuchung zeigt, daß die Anzie- hungskraft der oberſten Schichte in der Roͤhre das Gleichgewicht der einmal gehobenen Saͤule erhaͤlt; und da ich die Hoffnung hege, daß eine etwas naͤhere Einſicht in die ſcharfſinnigen Schluͤſſe, auf denen Laplace's Theorie beruht, auch Ihnen angenehm ſein wird, ſo werde ich verſuchen, in populaͤrer Darſtellung Ihnen etwas von dem anzugeben, was den mathematiſchen Rechnungen Laplace's zum Grunde liegt. Wir denken uns alſo jetzt die gehobene Fluͤſſigkeit, ohne noch zu fragen, woher dieſe Geſtalt der Oberflaͤche entſtehe, als begrenzt an der obern Seite durch die gekruͤmmte Oberflaͤche ACB, (Fig. 5.) die wir als eine Kugelflaͤche anſehen duͤrfen. Die Waſſertheilchen ziehen einander an, und wir muͤſſen alſo zu beſtimmen ſuchen, wie- fern die Theilchen der den Punct C unmittelbar umgebenden Ku- gelſchichte anders wirken, als es bei einer ebnen Oberflaͤche der Fall ſein wuͤrde. Und hier erhellt leicht, daß, ſo eng begrenzt auch die Anziehungsweite der der Axe benachbarten Theilchen iſt, doch die um C oberhalb DE liegenden Theilchen eine Anziehung hinauf- waͤrts ausuͤben, die nicht ſtatt faͤnde, wenn (Fig. 5.) DE die Oberflaͤche ausmachte. Dieſe aus der kugelfoͤrmigen Geſtalt der Oberflaͤche entſpringende Anziehung auf die unmittelbar unter C in der Axe liegenden Waſſertheilchen iſt deſto ſtaͤrker, je kleiner der Durchmeſſer der Kugel ACB iſt, indem bei einer kleineren Kugel die Dicke der uͤber DE liegenden Schichte in ſehr geringen

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/24>, abgerufen am 27.04.2024.