Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
Neu-Jahrs-Gedicht,
Zu trinken, essen, euch zu mehren? erhaben, groß und
reich zu werden?

Dieß sagt ihr nicht: Jhr wißt es besser. Die eitlen
Handlungen allein,

Die können nimmermehr der Endzweck vernünftger Crea-
turen seyn,

Wovon die Seelen ewig dauren, und, nach dem Abschied
von der Erden,

Der Seligkeit geniessen sollen. Jhr stutzt vielleicht bey
meinem Fragen.

Denn würdet ihr, im Ernst, wohl sagen,
Jndem ihr nie daran gedacht:
Zu diesen angeführten Werken hätt' uns ein weiser Gott
gemacht,

Damit ihr hier, in vielen Stücken, ein thierisch Leben
solltet führen?

Jhr solltet Ehr' und Reichthum suchen, um beyd', im
Sterben, zu verlieren?

Dieß thut ihr nicht. Was bleibt denn übrig? Kommt,
laßt uns, mir und euch zur Lehr,

Zugleich dem Ursprung aller Dinge zum Preise, Lobe,
Ruhm und Ehr,

Die Quellen des Betragens suchen! ob etwan, wenn
wir sie bedacht,

Wir, durch die Herrlichkeit gerührt, noch möchten seyn
zu recht gebracht.
Wir Menschen kommen in die Welt, und merkens
nicht. Wenn wir es merken,

Daß wir auf Erden seyn, und leben; hat die Gewohn-
heit allbereit,

Daß wir gekommen, ausgetilgt, durch schläfrige Ver-
gessenheit.
Das
Neu-Jahrs-Gedicht,
Zu trinken, eſſen, euch zu mehren? erhaben, groß und
reich zu werden?

Dieß ſagt ihr nicht: Jhr wißt es beſſer. Die eitlen
Handlungen allein,

Die koͤnnen nimmermehr der Endzweck vernuͤnftger Crea-
turen ſeyn,

Wovon die Seelen ewig dauren, und, nach dem Abſchied
von der Erden,

Der Seligkeit genieſſen ſollen. Jhr ſtutzt vielleicht bey
meinem Fragen.

Denn wuͤrdet ihr, im Ernſt, wohl ſagen,
Jndem ihr nie daran gedacht:
Zu dieſen angefuͤhrten Werken haͤtt’ uns ein weiſer Gott
gemacht,

Damit ihr hier, in vielen Stuͤcken, ein thieriſch Leben
ſolltet fuͤhren?

Jhr ſolltet Ehr’ und Reichthum ſuchen, um beyd’, im
Sterben, zu verlieren?

Dieß thut ihr nicht. Was bleibt denn uͤbrig? Kommt,
laßt uns, mir und euch zur Lehr,

Zugleich dem Urſprung aller Dinge zum Preiſe, Lobe,
Ruhm und Ehr,

Die Quellen des Betragens ſuchen! ob etwan, wenn
wir ſie bedacht,

Wir, durch die Herrlichkeit geruͤhrt, noch moͤchten ſeyn
zu recht gebracht.
Wir Menſchen kommen in die Welt, und merkens
nicht. Wenn wir es merken,

Daß wir auf Erden ſeyn, und leben; hat die Gewohn-
heit allbereit,

Daß wir gekommen, ausgetilgt, durch ſchlaͤfrige Ver-
geſſenheit.
Das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0330" n="316"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Neu-Jahrs-Gedicht,</hi> </fw><lb/>
              <lg n="6">
                <l>Zu trinken, e&#x017F;&#x017F;en, euch zu mehren? erhaben, groß und<lb/><hi rendition="#et">reich zu werden?</hi></l><lb/>
                <l>Dieß &#x017F;agt ihr nicht: Jhr wißt es be&#x017F;&#x017F;er. Die eitlen<lb/><hi rendition="#et">Handlungen allein,</hi></l><lb/>
                <l>Die ko&#x0364;nnen nimmermehr der Endzweck vernu&#x0364;nftger Crea-<lb/><hi rendition="#et">turen &#x017F;eyn,</hi></l><lb/>
                <l>Wovon die Seelen ewig dauren, und, nach dem Ab&#x017F;chied<lb/><hi rendition="#et">von der Erden,</hi></l><lb/>
                <l>Der Seligkeit genie&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollen. Jhr &#x017F;tutzt vielleicht bey<lb/><hi rendition="#et">meinem Fragen.</hi></l><lb/>
                <l>Denn wu&#x0364;rdet ihr, im Ern&#x017F;t, wohl &#x017F;agen,</l><lb/>
                <l>Jndem ihr nie daran gedacht:</l><lb/>
                <l>Zu die&#x017F;en angefu&#x0364;hrten Werken ha&#x0364;tt&#x2019; uns ein wei&#x017F;er Gott<lb/><hi rendition="#et">gemacht,</hi></l><lb/>
                <l>Damit ihr hier, in vielen Stu&#x0364;cken, ein thieri&#x017F;ch Leben<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;olltet fu&#x0364;hren?</hi></l><lb/>
                <l>Jhr &#x017F;olltet Ehr&#x2019; und Reichthum &#x017F;uchen, um beyd&#x2019;, im<lb/><hi rendition="#et">Sterben, zu verlieren?</hi></l><lb/>
                <l>Dieß thut ihr nicht. Was bleibt denn u&#x0364;brig? Kommt,<lb/><hi rendition="#et">laßt uns, mir und euch zur Lehr,</hi></l><lb/>
                <l>Zugleich dem Ur&#x017F;prung aller Dinge zum Prei&#x017F;e, Lobe,<lb/><hi rendition="#et">Ruhm und Ehr,</hi></l><lb/>
                <l>Die Quellen des Betragens &#x017F;uchen! ob etwan, wenn<lb/><hi rendition="#et">wir &#x017F;ie bedacht,</hi></l><lb/>
                <l>Wir, durch die Herrlichkeit geru&#x0364;hrt, noch mo&#x0364;chten &#x017F;eyn<lb/><hi rendition="#et">zu recht gebracht.</hi></l>
              </lg><lb/>
              <lg n="7">
                <l>Wir Men&#x017F;chen kommen in die Welt, und merkens<lb/><hi rendition="#et">nicht. Wenn wir es merken,</hi></l><lb/>
                <l>Daß wir auf Erden &#x017F;eyn, und leben; hat die Gewohn-<lb/><hi rendition="#et">heit allbereit,</hi></l><lb/>
                <l>Daß wir gekommen, ausgetilgt, durch &#x017F;chla&#x0364;frige Ver-<lb/><hi rendition="#et">ge&#x017F;&#x017F;enheit.</hi></l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Das</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[316/0330] Neu-Jahrs-Gedicht, Zu trinken, eſſen, euch zu mehren? erhaben, groß und reich zu werden? Dieß ſagt ihr nicht: Jhr wißt es beſſer. Die eitlen Handlungen allein, Die koͤnnen nimmermehr der Endzweck vernuͤnftger Crea- turen ſeyn, Wovon die Seelen ewig dauren, und, nach dem Abſchied von der Erden, Der Seligkeit genieſſen ſollen. Jhr ſtutzt vielleicht bey meinem Fragen. Denn wuͤrdet ihr, im Ernſt, wohl ſagen, Jndem ihr nie daran gedacht: Zu dieſen angefuͤhrten Werken haͤtt’ uns ein weiſer Gott gemacht, Damit ihr hier, in vielen Stuͤcken, ein thieriſch Leben ſolltet fuͤhren? Jhr ſolltet Ehr’ und Reichthum ſuchen, um beyd’, im Sterben, zu verlieren? Dieß thut ihr nicht. Was bleibt denn uͤbrig? Kommt, laßt uns, mir und euch zur Lehr, Zugleich dem Urſprung aller Dinge zum Preiſe, Lobe, Ruhm und Ehr, Die Quellen des Betragens ſuchen! ob etwan, wenn wir ſie bedacht, Wir, durch die Herrlichkeit geruͤhrt, noch moͤchten ſeyn zu recht gebracht. Wir Menſchen kommen in die Welt, und merkens nicht. Wenn wir es merken, Daß wir auf Erden ſeyn, und leben; hat die Gewohn- heit allbereit, Daß wir gekommen, ausgetilgt, durch ſchlaͤfrige Ver- geſſenheit. Das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/330
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/330>, abgerufen am 06.05.2024.