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Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784.

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lichstes thut, sie zum Trinken aufzumuntern, denn es
würde eine große Schande für sie seyn, wenn einer
von der Gesellschaft das Haus, ohne betrunken zu
seyn, verlassen sollte. Wenn die Gäste fortgehen wol-
len, so erscheint die Wirthinn, nachdem sie gerufen
worden, tritt aber nur in das Zimmer, wendet sich
nach dem Winkel, wo die Familienheiligen stehen,
kreuziget und bückt sich tief, und hierauf macht sie der
Gesellschaft ein Compliment, ohne einen Schritt wei-
ter zu kommen, sondern bleibt stehen. Sie ist da-
bey in einem weiten mit Pelz gefütterten Rocke geklei-
det, hat eine Haube von Zobel auf, und ihr Gesicht
ist über und über mit Schminke und Schminkpfläster-
chen belegt. Der ganze Leib aber ist frey, indem sie
weder eine Schnürbrust noch Mieder, oder Unterrock,
ja nicht einmal Strümpfbänder trägt, sondern nur
Pantoffeln mit sehr hohen Absätzen anhat. Jn die-
sem Aufzuge nöthiget der Herr alle seine Gäste, einen
nach dem andern, seiner Frau ihr Compliment zu ma-
chen. Hinter ihr stehet ein Bedienter mit einem Tel-
ler und vier Gläsern, die mit Brandweine, Weine,
Meth und Biere angefüllet sind, die jedermann auf
die Gesundheit der Dame zu trinken verbunden ist.
Hierauf begiebt sie sich wieder weg, ohne ein Wort zu
sagen; alsdenn werden andere Frauenzimmer von der
Familie auf eben diese Art herein gebracht, und so be-
schließen sie ihre Gastmähler sehr betrunken.

Jn Rußland heirathet man gemeiniglich sehrJhre Heira-
then.

jung, und die Aeltern stiften die Heirath ohne auf die
Neigung ihrer Kinder zu sehen, die einander nicht zu
sehen bekommen, als bis sie in ihre Schlafkammer
geführet werden. Dieses war ehedem auch bey Vor-

nehmen
G 2

lichſtes thut, ſie zum Trinken aufzumuntern, denn es
wuͤrde eine große Schande fuͤr ſie ſeyn, wenn einer
von der Geſellſchaft das Haus, ohne betrunken zu
ſeyn, verlaſſen ſollte. Wenn die Gaͤſte fortgehen wol-
len, ſo erſcheint die Wirthinn, nachdem ſie gerufen
worden, tritt aber nur in das Zimmer, wendet ſich
nach dem Winkel, wo die Familienheiligen ſtehen,
kreuziget und buͤckt ſich tief, und hierauf macht ſie der
Geſellſchaft ein Compliment, ohne einen Schritt wei-
ter zu kommen, ſondern bleibt ſtehen. Sie iſt da-
bey in einem weiten mit Pelz gefuͤtterten Rocke geklei-
det, hat eine Haube von Zobel auf, und ihr Geſicht
iſt uͤber und uͤber mit Schminke und Schminkpflaͤſter-
chen belegt. Der ganze Leib aber iſt frey, indem ſie
weder eine Schnuͤrbruſt noch Mieder, oder Unterrock,
ja nicht einmal Struͤmpfbaͤnder traͤgt, ſondern nur
Pantoffeln mit ſehr hohen Abſaͤtzen anhat. Jn die-
ſem Aufzuge noͤthiget der Herr alle ſeine Gaͤſte, einen
nach dem andern, ſeiner Frau ihr Compliment zu ma-
chen. Hinter ihr ſtehet ein Bedienter mit einem Tel-
ler und vier Glaͤſern, die mit Brandweine, Weine,
Meth und Biere angefuͤllet ſind, die jedermann auf
die Geſundheit der Dame zu trinken verbunden iſt.
Hierauf begiebt ſie ſich wieder weg, ohne ein Wort zu
ſagen; alsdenn werden andere Frauenzimmer von der
Familie auf eben dieſe Art herein gebracht, und ſo be-
ſchließen ſie ihre Gaſtmaͤhler ſehr betrunken.

Jn Rußland heirathet man gemeiniglich ſehrJhre Heira-
then.

jung, und die Aeltern ſtiften die Heirath ohne auf die
Neigung ihrer Kinder zu ſehen, die einander nicht zu
ſehen bekommen, als bis ſie in ihre Schlafkammer
gefuͤhret werden. Dieſes war ehedem auch bey Vor-

nehmen
G 2
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[99/0109] lichſtes thut, ſie zum Trinken aufzumuntern, denn es wuͤrde eine große Schande fuͤr ſie ſeyn, wenn einer von der Geſellſchaft das Haus, ohne betrunken zu ſeyn, verlaſſen ſollte. Wenn die Gaͤſte fortgehen wol- len, ſo erſcheint die Wirthinn, nachdem ſie gerufen worden, tritt aber nur in das Zimmer, wendet ſich nach dem Winkel, wo die Familienheiligen ſtehen, kreuziget und buͤckt ſich tief, und hierauf macht ſie der Geſellſchaft ein Compliment, ohne einen Schritt wei- ter zu kommen, ſondern bleibt ſtehen. Sie iſt da- bey in einem weiten mit Pelz gefuͤtterten Rocke geklei- det, hat eine Haube von Zobel auf, und ihr Geſicht iſt uͤber und uͤber mit Schminke und Schminkpflaͤſter- chen belegt. Der ganze Leib aber iſt frey, indem ſie weder eine Schnuͤrbruſt noch Mieder, oder Unterrock, ja nicht einmal Struͤmpfbaͤnder traͤgt, ſondern nur Pantoffeln mit ſehr hohen Abſaͤtzen anhat. Jn die- ſem Aufzuge noͤthiget der Herr alle ſeine Gaͤſte, einen nach dem andern, ſeiner Frau ihr Compliment zu ma- chen. Hinter ihr ſtehet ein Bedienter mit einem Tel- ler und vier Glaͤſern, die mit Brandweine, Weine, Meth und Biere angefuͤllet ſind, die jedermann auf die Geſundheit der Dame zu trinken verbunden iſt. Hierauf begiebt ſie ſich wieder weg, ohne ein Wort zu ſagen; alsdenn werden andere Frauenzimmer von der Familie auf eben dieſe Art herein gebracht, und ſo be- ſchließen ſie ihre Gaſtmaͤhler ſehr betrunken. Jn Rußland heirathet man gemeiniglich ſehr jung, und die Aeltern ſtiften die Heirath ohne auf die Neigung ihrer Kinder zu ſehen, die einander nicht zu ſehen bekommen, als bis ſie in ihre Schlafkammer gefuͤhret werden. Dieſes war ehedem auch bey Vor- nehmen Jhre Heira- then. G 2

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Zitationshilfe: Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/109>, abgerufen am 29.04.2024.