Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

weit sie uns Idioten nicht in Allem klar sein mag und doch
das ganze Können der Kunst offenbart: wie die schärfste
Correctheit der Umrisse, die sorgfältige Mischung der Farben,
ihren wohlberechneten Auftrag, die richtige Schattengebung,
die Berechnung der Grösse, das richtige und harmonische
Verhältniss der Theile zum Ganzen: das mag die Sippschaft
der Maler loben, welche so etwas verstehen muss. Mir aber
scheint am Zeuxis namentlich das zu loben, dass er an einem
und demselben Gegenstande die Vorzüge der Kunst in den
mannigfaltigsten Richtungen zu zeigen verstand: so bildete
er den Mann von erschreckendem und ganz wildem Aus-
sehen, mit mächtigem stolzen Haupthaar, fast ganz behaart
nicht nur am Rosskörper, sondern auch an dem mensch-
lichen Theile; mit hoch gehobenen Schultern und einem
Blicke, der zwar lächelnd, aber doch wild ist, wie der eines
Waldbewohners und ungezähmt. Dieser Auffassung ganz
entgegengesetzt zeigt er uns in der Kentaurin, so weit sie
Ross war, die schönste Bildung, wie sie sich namentlich bei
den thessalischen noch ungebändigten und unberittenen Ros-
sen findet; ebenso ist die obere Hälfte, das eigentliche Weib,
durchaus schön bis auf die Ohren: diese allein sind satyr-
haft gebildet. Die Vermischung und Verknüpfung der Leiber,
wo das Ross mit dem Weibe zusammengefügt und verbunden
ist, bildet einen sanften, keineswegs schroffen Uebergang;
und durch die allmählige Umwandlung wird das Auge ganz
unvermerkt von dem Einen in das Andere übergeführt. Die
junge Brut aber erscheint bei dem Kindischen im Ausdrucke
gleichwohl wild, und trotz ihrer Weichheit schon unbändig;
und wie dieses zu bewundern ist, so auch endlich, dass sie
ganz nach Kinderart nach dem jungen Löwen emporblicken,
indem sie jeder sich an die Mutterbrust halten und sich eng
an die Mutter anschmiegen."

Dieses Bild scheint seiner ganzen Auffassung nach unter
den Werken des Zeuxis nicht vereinzelt gestanden zu haben.
Wir können dies aus einer beiläufigen Aeusserung des Lucian
schliessen, indem er von einem Philosophen, Thrasykles, fol-
gendes charakteristische Bild entwirft (Timon 54): "Da geht
er mit ausgebreitetem Barte und heraufgezogenen Augen-
brauen, so recht aufgeblasen und stolz auf sich; blickt wie
ein Titan, mit aufgesträubtem Haar auf der Stirn, ein leib-

weit sie uns Idioten nicht in Allem klar sein mag und doch
das ganze Können der Kunst offenbart: wie die schärfste
Correctheit der Umrisse, die sorgfältige Mischung der Farben,
ihren wohlberechneten Auftrag, die richtige Schattengebung,
die Berechnung der Grösse, das richtige und harmonische
Verhältniss der Theile zum Ganzen: das mag die Sippschaft
der Maler loben, welche so etwas verstehen muss. Mir aber
scheint am Zeuxis namentlich das zu loben, dass er an einem
und demselben Gegenstande die Vorzüge der Kunst in den
mannigfaltigsten Richtungen zu zeigen verstand: so bildete
er den Mann von erschreckendem und ganz wildem Aus-
sehen, mit mächtigem stolzen Haupthaar, fast ganz behaart
nicht nur am Rosskörper, sondern auch an dem mensch-
lichen Theile; mit hoch gehobenen Schultern und einem
Blicke, der zwar lächelnd, aber doch wild ist, wie der eines
Waldbewohners und ungezähmt. Dieser Auffassung ganz
entgegengesetzt zeigt er uns in der Kentaurin, so weit sie
Ross war, die schönste Bildung, wie sie sich namentlich bei
den thessalischen noch ungebändigten und unberittenen Ros-
sen findet; ebenso ist die obere Hälfte, das eigentliche Weib,
durchaus schön bis auf die Ohren: diese allein sind satyr-
haft gebildet. Die Vermischung und Verknüpfung der Leiber,
wo das Ross mit dem Weibe zusammengefügt und verbunden
ist, bildet einen sanften, keineswegs schroffen Uebergang;
und durch die allmählige Umwandlung wird das Auge ganz
unvermerkt von dem Einen in das Andere übergeführt. Die
junge Brut aber erscheint bei dem Kindischen im Ausdrucke
gleichwohl wild, und trotz ihrer Weichheit schon unbändig;
und wie dieses zu bewundern ist, so auch endlich, dass sie
ganz nach Kinderart nach dem jungen Löwen emporblicken,
indem sie jeder sich an die Mutterbrust halten und sich eng
an die Mutter anschmiegen.“

Dieses Bild scheint seiner ganzen Auffassung nach unter
den Werken des Zeuxis nicht vereinzelt gestanden zu haben.
Wir können dies aus einer beiläufigen Aeusserung des Lucian
schliessen, indem er von einem Philosophen, Thrasykles, fol-
gendes charakteristische Bild entwirft (Timon 54): „Da geht
er mit ausgebreitetem Barte und heraufgezogenen Augen-
brauen, so recht aufgeblasen und stolz auf sich; blickt wie
ein Titan, mit aufgesträubtem Haar auf der Stirn, ein leib-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0087" n="79"/>
weit sie uns Idioten nicht in Allem klar sein mag und doch<lb/>
das ganze Können der Kunst offenbart: wie die schärfste<lb/>
Correctheit der Umrisse, die sorgfältige Mischung der Farben,<lb/>
ihren wohlberechneten Auftrag, die richtige Schattengebung,<lb/>
die Berechnung der Grösse, das richtige und harmonische<lb/>
Verhältniss der Theile zum Ganzen: das mag die Sippschaft<lb/>
der Maler loben, welche so etwas verstehen muss. Mir aber<lb/>
scheint am Zeuxis namentlich das zu loben, dass er an einem<lb/>
und demselben Gegenstande die Vorzüge der Kunst in den<lb/>
mannigfaltigsten Richtungen zu zeigen verstand: so bildete<lb/>
er den Mann von erschreckendem und ganz wildem Aus-<lb/>
sehen, mit mächtigem stolzen Haupthaar, fast ganz behaart<lb/>
nicht nur am Rosskörper, sondern auch an dem mensch-<lb/>
lichen Theile; mit hoch gehobenen Schultern und einem<lb/>
Blicke, der zwar lächelnd, aber doch wild ist, wie der eines<lb/>
Waldbewohners und ungezähmt. Dieser Auffassung ganz<lb/>
entgegengesetzt zeigt er uns in der Kentaurin, so weit sie<lb/>
Ross war, die schönste Bildung, wie sie sich namentlich bei<lb/>
den thessalischen noch ungebändigten und unberittenen Ros-<lb/>
sen findet; ebenso ist die obere Hälfte, das eigentliche Weib,<lb/>
durchaus schön bis auf die Ohren: diese allein sind satyr-<lb/>
haft gebildet. Die Vermischung und Verknüpfung der Leiber,<lb/>
wo das Ross mit dem Weibe zusammengefügt und verbunden<lb/>
ist, bildet einen sanften, keineswegs schroffen Uebergang;<lb/>
und durch die allmählige Umwandlung wird das Auge ganz<lb/>
unvermerkt von dem Einen in das Andere übergeführt. Die<lb/>
junge Brut aber erscheint bei dem Kindischen im Ausdrucke<lb/>
gleichwohl wild, und trotz ihrer Weichheit schon unbändig;<lb/>
und wie dieses zu bewundern ist, so auch endlich, dass sie<lb/>
ganz nach Kinderart nach dem jungen Löwen emporblicken,<lb/>
indem sie jeder sich an die Mutterbrust halten und sich eng<lb/>
an die Mutter anschmiegen.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Dieses Bild scheint seiner ganzen Auffassung nach unter<lb/>
den Werken des Zeuxis nicht vereinzelt gestanden zu haben.<lb/>
Wir können dies aus einer beiläufigen Aeusserung des Lucian<lb/>
schliessen, indem er von einem Philosophen, Thrasykles, fol-<lb/>
gendes charakteristische Bild entwirft (Timon 54): &#x201E;Da geht<lb/>
er mit ausgebreitetem Barte und heraufgezogenen Augen-<lb/>
brauen, so recht aufgeblasen und stolz auf sich; blickt wie<lb/>
ein Titan, mit aufgesträubtem Haar auf der Stirn, ein leib-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0087] weit sie uns Idioten nicht in Allem klar sein mag und doch das ganze Können der Kunst offenbart: wie die schärfste Correctheit der Umrisse, die sorgfältige Mischung der Farben, ihren wohlberechneten Auftrag, die richtige Schattengebung, die Berechnung der Grösse, das richtige und harmonische Verhältniss der Theile zum Ganzen: das mag die Sippschaft der Maler loben, welche so etwas verstehen muss. Mir aber scheint am Zeuxis namentlich das zu loben, dass er an einem und demselben Gegenstande die Vorzüge der Kunst in den mannigfaltigsten Richtungen zu zeigen verstand: so bildete er den Mann von erschreckendem und ganz wildem Aus- sehen, mit mächtigem stolzen Haupthaar, fast ganz behaart nicht nur am Rosskörper, sondern auch an dem mensch- lichen Theile; mit hoch gehobenen Schultern und einem Blicke, der zwar lächelnd, aber doch wild ist, wie der eines Waldbewohners und ungezähmt. Dieser Auffassung ganz entgegengesetzt zeigt er uns in der Kentaurin, so weit sie Ross war, die schönste Bildung, wie sie sich namentlich bei den thessalischen noch ungebändigten und unberittenen Ros- sen findet; ebenso ist die obere Hälfte, das eigentliche Weib, durchaus schön bis auf die Ohren: diese allein sind satyr- haft gebildet. Die Vermischung und Verknüpfung der Leiber, wo das Ross mit dem Weibe zusammengefügt und verbunden ist, bildet einen sanften, keineswegs schroffen Uebergang; und durch die allmählige Umwandlung wird das Auge ganz unvermerkt von dem Einen in das Andere übergeführt. Die junge Brut aber erscheint bei dem Kindischen im Ausdrucke gleichwohl wild, und trotz ihrer Weichheit schon unbändig; und wie dieses zu bewundern ist, so auch endlich, dass sie ganz nach Kinderart nach dem jungen Löwen emporblicken, indem sie jeder sich an die Mutterbrust halten und sich eng an die Mutter anschmiegen.“ Dieses Bild scheint seiner ganzen Auffassung nach unter den Werken des Zeuxis nicht vereinzelt gestanden zu haben. Wir können dies aus einer beiläufigen Aeusserung des Lucian schliessen, indem er von einem Philosophen, Thrasykles, fol- gendes charakteristische Bild entwirft (Timon 54): „Da geht er mit ausgebreitetem Barte und heraufgezogenen Augen- brauen, so recht aufgeblasen und stolz auf sich; blickt wie ein Titan, mit aufgesträubtem Haar auf der Stirn, ein leib-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/87
Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/87>, abgerufen am 15.05.2024.