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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 19. Kriegswesen und Gefolgschaft.
in zarterem Alter der Aufnahme in ein Gefolge teilhaftig21. Für sie
ist die Zeit der Gefolgschaft zunächst Lehrzeit, nicht Dienstzeit, das
Haus des Gefolgsherrn zunächst Kadettenhaus. Das Verhältnis zwischen
dem Gefolgsherrn und den Gefolgsleuten fusst auf wechselseitiger
Treue. In selbstloser Hingabe an Heil und Ruhm des Herrn gipfeln
die Pflichten der Gefolgsleute. Sie schwören einen Eid, worin sie
versprechen, den Herrn zu schützen und zu verteidigen22. Im Frieden
bilden sie die Leibwache des Herrn, werden zu häuslichen Diensten
verwendet, die sich mit der Ehre des freien Mannes vertragen;
einzelne wurden wohl schon damals mit einem bestimmten Hausamte
betraut. Im Kriege kämpfen sie in der unmittelbaren Umgebung des
Herrn. Es gilt für schimpflich, sein Schicksal nicht zu teilen, ihn
zu überleben, wenn er in der Schlacht gefallen war. Der Herr ist
seinerseits verpflichtet, den Gefolgsleuten Schutz23, Unterhalt und
Ausrüstung24 zu gewähren und ihnen jene kriegerische Beschäftigung

21 Germ. c. 13: sed arma sumere non ante cuiquam moris quam civitas
suffecturum probaverit. tum in ipso concilio vel principum aliquis vel pater vel
propinqui scuto frameaque iuvenem ornant. haec apud illos toga, hic primus iu-
ventae honos; ante hoc domus pars videntur, mox rei publicae. insignis nobilitas
aut magna patrum merita principis dignationem etiam adolescentulis assignant.
ceteris robustioribus ac iam pridem probatis aggregantur, nec rubor inter comites
aspici. gradus quin etiam ipse comitatus habet, iudicio eius quem sectantur. Über
die zahlreichen Auslegungsversuche, welche dieser Stelle, namentlich den Worten
insignis -- assignant gewidmet worden sind, s. die Anmerkung bei Waitz, VG I 283.
Einen leidlich geschlossenen Gedankengang bietet die Stelle nur, wenn man dig-
nationem principis als Würdigung, Auszeichnung von Seite des Fürsten auffasst,
eine Ansicht, für die sich Waitz entscheidet. Lehnt man diese Auslegung ab
wegen der Bedenken, welche die Philologen erheben, so kann die dignatio principis
nicht so verstanden werden, dass die adolescentuli das Amt oder die Würde des
princeps, sei es sofort oder für die Zukunft (Ranke, WG III 2 S 279), zuerteilt er-
hielten, sondern so dass sie, obwohl sie nicht principes sind, das Ansehn eines prin-
ceps geniessen, principes genannt werden, etwa wie man später den nichtregierenden
Sohn des Königs als König bezeichnete.
22 Germ. c. 14: illum (principem) defendere, tueri, sua quoque fortia facta
gloriae eius assignare praecipuum sacramentum est. In der angelsächsischen Eides-
formel, Schmid, Anhang X 1, schwört der Gefolgsmann, er wolle dem Herrn
hold und getreu sein und alles lieben, was er liebt, alles meiden, was er meidet ...
und niemals mit Willen oder Vorsatz etwas thun, das ihm leid ist, unter der Be-
dingung, dass er mich halte, wie ich es verdienen will, ... und dass er alles leiste,
wie es unser Vertrag war, als ich mich ihm unterwarf und seinen Willen erkieste.
23 Ratchis 14: de gasindiis quidem nostri ita statuere, ut nullus iudex eos
opremere debeant, quoniam nos debemus gasindios nostros defendere.
24 Das angelsächsische Recht kennt ein sog. Heergeräte (heregeatu), welches
aus dem Nachlasse des verstorbenen Mannes an dessen Herrn zu bezahlen ist. In
Pferden, Waffen und Geld bestehend wird es von Konrad Maurer, KrÜ II 393

§ 19. Kriegswesen und Gefolgschaft.
in zarterem Alter der Aufnahme in ein Gefolge teilhaftig21. Für sie
ist die Zeit der Gefolgschaft zunächst Lehrzeit, nicht Dienstzeit, das
Haus des Gefolgsherrn zunächst Kadettenhaus. Das Verhältnis zwischen
dem Gefolgsherrn und den Gefolgsleuten fuſst auf wechselseitiger
Treue. In selbstloser Hingabe an Heil und Ruhm des Herrn gipfeln
die Pflichten der Gefolgsleute. Sie schwören einen Eid, worin sie
versprechen, den Herrn zu schützen und zu verteidigen22. Im Frieden
bilden sie die Leibwache des Herrn, werden zu häuslichen Diensten
verwendet, die sich mit der Ehre des freien Mannes vertragen;
einzelne wurden wohl schon damals mit einem bestimmten Hausamte
betraut. Im Kriege kämpfen sie in der unmittelbaren Umgebung des
Herrn. Es gilt für schimpflich, sein Schicksal nicht zu teilen, ihn
zu überleben, wenn er in der Schlacht gefallen war. Der Herr ist
seinerseits verpflichtet, den Gefolgsleuten Schutz23, Unterhalt und
Ausrüstung24 zu gewähren und ihnen jene kriegerische Beschäftigung

21 Germ. c. 13: sed arma sumere non ante cuiquam moris quam civitas
suffecturum probaverit. tum in ipso concilio vel principum aliquis vel pater vel
propinqui scuto frameaque iuvenem ornant. haec apud illos toga, hic primus iu-
ventae honos; ante hoc domus pars videntur, mox rei publicae. insignis nobilitas
aut magna patrum merita principis dignationem etiam adolescentulis assignant.
ceteris robustioribus ac iam pridem probatis aggregantur, nec rubor inter comites
aspici. gradus quin etiam ipse comitatus habet, iudicio eius quem sectantur. Über
die zahlreichen Auslegungsversuche, welche dieser Stelle, namentlich den Worten
insignis — assignant gewidmet worden sind, s. die Anmerkung bei Waitz, VG I 283.
Einen leidlich geschlossenen Gedankengang bietet die Stelle nur, wenn man dig-
nationem principis als Würdigung, Auszeichnung von Seite des Fürsten auffaſst,
eine Ansicht, für die sich Waitz entscheidet. Lehnt man diese Auslegung ab
wegen der Bedenken, welche die Philologen erheben, so kann die dignatio principis
nicht so verstanden werden, daſs die adolescentuli das Amt oder die Würde des
princeps, sei es sofort oder für die Zukunft (Ranke, WG III 2 S 279), zuerteilt er-
hielten, sondern so daſs sie, obwohl sie nicht principes sind, das Ansehn eines prin-
ceps genieſsen, principes genannt werden, etwa wie man später den nichtregierenden
Sohn des Königs als König bezeichnete.
22 Germ. c. 14: illum (principem) defendere, tueri, sua quoque fortia facta
gloriae eius assignare praecipuum sacramentum est. In der angelsächsischen Eides-
formel, Schmid, Anhang X 1, schwört der Gefolgsmann, er wolle dem Herrn
hold und getreu sein und alles lieben, was er liebt, alles meiden, was er meidet …
und niemals mit Willen oder Vorsatz etwas thun, das ihm leid ist, unter der Be-
dingung, daſs er mich halte, wie ich es verdienen will, … und daſs er alles leiste,
wie es unser Vertrag war, als ich mich ihm unterwarf und seinen Willen erkieste.
23 Ratchis 14: de gasindiis quidem nostri ita statuere, ut nullus iudex eos
opremere debeant, quoniam nos debemus gasindios nostros defendere.
24 Das angelsächsische Recht kennt ein sog. Heergeräte (heregeatu), welches
aus dem Nachlasse des verstorbenen Mannes an dessen Herrn zu bezahlen ist. In
Pferden, Waffen und Geld bestehend wird es von Konrad Maurer, KrÜ II 393
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[139/0157] § 19. Kriegswesen und Gefolgschaft. in zarterem Alter der Aufnahme in ein Gefolge teilhaftig 21. Für sie ist die Zeit der Gefolgschaft zunächst Lehrzeit, nicht Dienstzeit, das Haus des Gefolgsherrn zunächst Kadettenhaus. Das Verhältnis zwischen dem Gefolgsherrn und den Gefolgsleuten fuſst auf wechselseitiger Treue. In selbstloser Hingabe an Heil und Ruhm des Herrn gipfeln die Pflichten der Gefolgsleute. Sie schwören einen Eid, worin sie versprechen, den Herrn zu schützen und zu verteidigen 22. Im Frieden bilden sie die Leibwache des Herrn, werden zu häuslichen Diensten verwendet, die sich mit der Ehre des freien Mannes vertragen; einzelne wurden wohl schon damals mit einem bestimmten Hausamte betraut. Im Kriege kämpfen sie in der unmittelbaren Umgebung des Herrn. Es gilt für schimpflich, sein Schicksal nicht zu teilen, ihn zu überleben, wenn er in der Schlacht gefallen war. Der Herr ist seinerseits verpflichtet, den Gefolgsleuten Schutz 23, Unterhalt und Ausrüstung 24 zu gewähren und ihnen jene kriegerische Beschäftigung 21 Germ. c. 13: sed arma sumere non ante cuiquam moris quam civitas suffecturum probaverit. tum in ipso concilio vel principum aliquis vel pater vel propinqui scuto frameaque iuvenem ornant. haec apud illos toga, hic primus iu- ventae honos; ante hoc domus pars videntur, mox rei publicae. insignis nobilitas aut magna patrum merita principis dignationem etiam adolescentulis assignant. ceteris robustioribus ac iam pridem probatis aggregantur, nec rubor inter comites aspici. gradus quin etiam ipse comitatus habet, iudicio eius quem sectantur. Über die zahlreichen Auslegungsversuche, welche dieser Stelle, namentlich den Worten insignis — assignant gewidmet worden sind, s. die Anmerkung bei Waitz, VG I 283. Einen leidlich geschlossenen Gedankengang bietet die Stelle nur, wenn man dig- nationem principis als Würdigung, Auszeichnung von Seite des Fürsten auffaſst, eine Ansicht, für die sich Waitz entscheidet. Lehnt man diese Auslegung ab wegen der Bedenken, welche die Philologen erheben, so kann die dignatio principis nicht so verstanden werden, daſs die adolescentuli das Amt oder die Würde des princeps, sei es sofort oder für die Zukunft (Ranke, WG III 2 S 279), zuerteilt er- hielten, sondern so daſs sie, obwohl sie nicht principes sind, das Ansehn eines prin- ceps genieſsen, principes genannt werden, etwa wie man später den nichtregierenden Sohn des Königs als König bezeichnete. 22 Germ. c. 14: illum (principem) defendere, tueri, sua quoque fortia facta gloriae eius assignare praecipuum sacramentum est. In der angelsächsischen Eides- formel, Schmid, Anhang X 1, schwört der Gefolgsmann, er wolle dem Herrn hold und getreu sein und alles lieben, was er liebt, alles meiden, was er meidet … und niemals mit Willen oder Vorsatz etwas thun, das ihm leid ist, unter der Be- dingung, daſs er mich halte, wie ich es verdienen will, … und daſs er alles leiste, wie es unser Vertrag war, als ich mich ihm unterwarf und seinen Willen erkieste. 23 Ratchis 14: de gasindiis quidem nostri ita statuere, ut nullus iudex eos opremere debeant, quoniam nos debemus gasindios nostros defendere. 24 Das angelsächsische Recht kennt ein sog. Heergeräte (heregeatu), welches aus dem Nachlasse des verstorbenen Mannes an dessen Herrn zu bezahlen ist. In Pferden, Waffen und Geld bestehend wird es von Konrad Maurer, KrÜ II 393

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/157>, abgerufen am 28.04.2024.