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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 19. Kriegswesen und Gefolgschaft.
rissenen Gewänder geflickt werden 19. Ein freier Mann kann in die
Hausgenossenschaft eines anderen Freien aus verschiedenen Gründen
eintreten. Später kommt es vor, dass Freie, um den Lebensunterhalt
oder eine bessere Lebensführung oder um ausreichenden Schutz zu
gewinnen, mit Beibehaltung ihrer Freiheit Hausdiener eines anderen
werden. Begrifflich ist auch die freie Hausdienerschaft eine Spielart
der Gefolgschaft, wie denn auch die Terminologie der Rechtsquellen
sie in dieselbe einbegreift. Allein für das Gesellschafts- und Ver-
fassungsleben der germanischen Zeit fiel sie jedenfalls nicht ins Ge-
wicht, da bei den damaligen agrarischen Zuständen und bei der noch
ungeschwächten Bedeutung der Geschlechtsverbände kaum ein Be-
dürfnis vorhanden war, einen Gefolgsdienst jener Art zu suchen. Sehr
beliebt war dagegen der Eintritt in militärisch organisierte Gefolg-
schaften, welche eine höhere kriegerische Ausbildung und eine inten-
sivere kriegerische Beschäftigung gewährten, als sie der Dienst im
Volksheere der kampflustigen Jugend zu bieten vermochte. Diese
Gefolgschaften militärischer Natur sind es, welche die Germania des
Tacitus schildert und welche das germanische Heldenlied verklärt.
Nur Könige und Fürsten sind in der Lage, ein nennenswertes Gefolge
dieser Art zu halten. Das war ein thatsächlicher Vorzug ihrer
Stellung 20, weil nur der Dienst am Hofe, der die Gefolgsgenossen
emporhob über die Sphäre des alltäglichen Lebens, der ihnen Kriegs-
ruhm, Ehren und Freuden in Aussicht stellte, jene Anziehungskraft
ausüben konnte, deren es bedurfte, um die beste Jugend des Volkes
zum Eintritt in ein Dienstverhältnis zu veranlassen. Denn haupt-
sächlich die Jugend und zwar die adelige Jugend drängte sich in den
Gefolgsdienst. Der Jüngling kann schon anlässlich der Wehrhaft-
machung, wie sie in der Landesgemeinde stattfindet, in die Gefolg-
schaft aufgenommen werden. Dann ist es der princeps, der ihn
durch Überreichung von Waffen wehrhaft macht. Hochedle Geburt
und hervorragende Verdienste des Vaters machen junge Leute bereits

19 K. Maurer, KrÜ II 398 nach Saxo Grammaticus V (I, p. 184): den König
Frotho gehen einmal seine Gefolgsleute dringend an, er möge heiraten, damit je-
mand da sei, der dafür sorge, dass ihnen ihre alten Kleider geflickt und neue
gemacht werden.
20 Kein Vorrecht. Von Rechts wegen konnte jeder freie Mann einen anderen
in sein Haus aufnehmen, um sich von ihm vereinbarte, auch kriegerische Dienste
leisten zu lassen. War er reich und vornehm genug, so mochte es ihm auch ge-
lingen mehrere Gefolgsleute um sich zu versammeln. Bei den Langobarden, Angel-
sachsen, Nordgermanen und Franken ist nachmals das Recht, ein Gefolge zu halten,
nicht auf den König beschränkt.

§ 19. Kriegswesen und Gefolgschaft.
rissenen Gewänder geflickt werden 19. Ein freier Mann kann in die
Hausgenossenschaft eines anderen Freien aus verschiedenen Gründen
eintreten. Später kommt es vor, daſs Freie, um den Lebensunterhalt
oder eine bessere Lebensführung oder um ausreichenden Schutz zu
gewinnen, mit Beibehaltung ihrer Freiheit Hausdiener eines anderen
werden. Begrifflich ist auch die freie Hausdienerschaft eine Spielart
der Gefolgschaft, wie denn auch die Terminologie der Rechtsquellen
sie in dieselbe einbegreift. Allein für das Gesellschafts- und Ver-
fassungsleben der germanischen Zeit fiel sie jedenfalls nicht ins Ge-
wicht, da bei den damaligen agrarischen Zuständen und bei der noch
ungeschwächten Bedeutung der Geschlechtsverbände kaum ein Be-
dürfnis vorhanden war, einen Gefolgsdienst jener Art zu suchen. Sehr
beliebt war dagegen der Eintritt in militärisch organisierte Gefolg-
schaften, welche eine höhere kriegerische Ausbildung und eine inten-
sivere kriegerische Beschäftigung gewährten, als sie der Dienst im
Volksheere der kampflustigen Jugend zu bieten vermochte. Diese
Gefolgschaften militärischer Natur sind es, welche die Germania des
Tacitus schildert und welche das germanische Heldenlied verklärt.
Nur Könige und Fürsten sind in der Lage, ein nennenswertes Gefolge
dieser Art zu halten. Das war ein thatsächlicher Vorzug ihrer
Stellung 20, weil nur der Dienst am Hofe, der die Gefolgsgenossen
emporhob über die Sphäre des alltäglichen Lebens, der ihnen Kriegs-
ruhm, Ehren und Freuden in Aussicht stellte, jene Anziehungskraft
ausüben konnte, deren es bedurfte, um die beste Jugend des Volkes
zum Eintritt in ein Dienstverhältnis zu veranlassen. Denn haupt-
sächlich die Jugend und zwar die adelige Jugend drängte sich in den
Gefolgsdienst. Der Jüngling kann schon anläſslich der Wehrhaft-
machung, wie sie in der Landesgemeinde stattfindet, in die Gefolg-
schaft aufgenommen werden. Dann ist es der princeps, der ihn
durch Überreichung von Waffen wehrhaft macht. Hochedle Geburt
und hervorragende Verdienste des Vaters machen junge Leute bereits

19 K. Maurer, KrÜ II 398 nach Saxo Grammaticus V (I, p. 184): den König
Frotho gehen einmal seine Gefolgsleute dringend an, er möge heiraten, damit je-
mand da sei, der dafür sorge, daſs ihnen ihre alten Kleider geflickt und neue
gemacht werden.
20 Kein Vorrecht. Von Rechts wegen konnte jeder freie Mann einen anderen
in sein Haus aufnehmen, um sich von ihm vereinbarte, auch kriegerische Dienste
leisten zu lassen. War er reich und vornehm genug, so mochte es ihm auch ge-
lingen mehrere Gefolgsleute um sich zu versammeln. Bei den Langobarden, Angel-
sachsen, Nordgermanen und Franken ist nachmals das Recht, ein Gefolge zu halten,
nicht auf den König beschränkt.
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[138/0156] § 19. Kriegswesen und Gefolgschaft. rissenen Gewänder geflickt werden 19. Ein freier Mann kann in die Hausgenossenschaft eines anderen Freien aus verschiedenen Gründen eintreten. Später kommt es vor, daſs Freie, um den Lebensunterhalt oder eine bessere Lebensführung oder um ausreichenden Schutz zu gewinnen, mit Beibehaltung ihrer Freiheit Hausdiener eines anderen werden. Begrifflich ist auch die freie Hausdienerschaft eine Spielart der Gefolgschaft, wie denn auch die Terminologie der Rechtsquellen sie in dieselbe einbegreift. Allein für das Gesellschafts- und Ver- fassungsleben der germanischen Zeit fiel sie jedenfalls nicht ins Ge- wicht, da bei den damaligen agrarischen Zuständen und bei der noch ungeschwächten Bedeutung der Geschlechtsverbände kaum ein Be- dürfnis vorhanden war, einen Gefolgsdienst jener Art zu suchen. Sehr beliebt war dagegen der Eintritt in militärisch organisierte Gefolg- schaften, welche eine höhere kriegerische Ausbildung und eine inten- sivere kriegerische Beschäftigung gewährten, als sie der Dienst im Volksheere der kampflustigen Jugend zu bieten vermochte. Diese Gefolgschaften militärischer Natur sind es, welche die Germania des Tacitus schildert und welche das germanische Heldenlied verklärt. Nur Könige und Fürsten sind in der Lage, ein nennenswertes Gefolge dieser Art zu halten. Das war ein thatsächlicher Vorzug ihrer Stellung 20, weil nur der Dienst am Hofe, der die Gefolgsgenossen emporhob über die Sphäre des alltäglichen Lebens, der ihnen Kriegs- ruhm, Ehren und Freuden in Aussicht stellte, jene Anziehungskraft ausüben konnte, deren es bedurfte, um die beste Jugend des Volkes zum Eintritt in ein Dienstverhältnis zu veranlassen. Denn haupt- sächlich die Jugend und zwar die adelige Jugend drängte sich in den Gefolgsdienst. Der Jüngling kann schon anläſslich der Wehrhaft- machung, wie sie in der Landesgemeinde stattfindet, in die Gefolg- schaft aufgenommen werden. Dann ist es der princeps, der ihn durch Überreichung von Waffen wehrhaft macht. Hochedle Geburt und hervorragende Verdienste des Vaters machen junge Leute bereits 19 K. Maurer, KrÜ II 398 nach Saxo Grammaticus V (I, p. 184): den König Frotho gehen einmal seine Gefolgsleute dringend an, er möge heiraten, damit je- mand da sei, der dafür sorge, daſs ihnen ihre alten Kleider geflickt und neue gemacht werden. 20 Kein Vorrecht. Von Rechts wegen konnte jeder freie Mann einen anderen in sein Haus aufnehmen, um sich von ihm vereinbarte, auch kriegerische Dienste leisten zu lassen. War er reich und vornehm genug, so mochte es ihm auch ge- lingen mehrere Gefolgsleute um sich zu versammeln. Bei den Langobarden, Angel- sachsen, Nordgermanen und Franken ist nachmals das Recht, ein Gefolge zu halten, nicht auf den König beschränkt.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/156>, abgerufen am 27.04.2024.