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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 21. Fehde und Busse.
absque compositione8 die Franken. Ugildr, ogildr heisst er im
Norden9.

Die Missethat als solche setzt aus dem Frieden, begründet die
rechtmässige Feindschaft des Verletzten. Der Thäter darf daher,
wenn er auf handhafter That betroffen wird, sofort getötet werden.
Auch die Tötung aus Notwehr fällt ursprünglich unter diesen Ge-
sichtspunkt10.

Die Fehde ist ein Recht des Verletzten und seiner Sippe, sie ist
das Recht, die Genugthuung im Wege der Selbsthilfe zu suchen. Die
Genugthuung, welche die Fehde sucht, ist Rache, die älteste in den
Naturtrieben des Menschen begründete Reaktion gegen das Unrecht.
Die Rache kann sofort in dem Momente geübt werden, in welchem
das Recht der Fehde entstand. Das geschieht z. B., wenn der
Thäter auf handhafter That ertappt und erschlagen wird. Der Ge-
sichtspunkt der Fehde tritt da hinter dem der Rache thatsächlich
zurück. Selbstverständlich ist auch eine Fehde denkbar, in der es
dem Beleidigten nicht gelingt, Rache zu nehmen. Andrerseits kann
aber auch Rache und zwar erlaubte Rache genommen werden, ohne
dass ihr ein Fehderecht im eigentlichen Sinne zu Grunde liegt. Wenn
jemand eine Missethat beging, die ihm die volle Friedlosigkeit zuzog,
so konnte er wie von jedem Volksgenossen, auch vom unmittelbar
Beleidigten busslos getötet werden. Das war dann ein Akt erlaubter
Rache, aber nicht Ausübung eines Fehderechtes.

Die Unthaten, aus welchen eine rechtmässige Fehde entstehen
kann, haben keinen rechtlichen Einfluss auf die Stellung des Misse-
thäters zu seiner Sippe. Sie heben seine Zugehörigkeit zur Sippe
nicht auf. Schliesst ihn die Sippe nicht freiwillig aus, so ist sie ver-
pflichtet, den angegriffenen Genossen zu schützen. Da andrerseits bei
dem lebhaften Gefühle enger Zusammengehörigkeit der Sippegenossen
die Verletzung des einzelnen als Verletzung seiner Sippe erscheint,
so stellt sich die altgermanische Fehde als Geschlechterfehde dar, als
ein Krieg zwischen zwei feindlichen Sippen, dessen Ausgang die Ge-
samtheit der unbeteiligten Volksgenossen mit verschränkten Armen

.. repotit sibi duas partes pretii de conpositionem suam .. Vgl. auch die Episode
aus der Njalssaga bei Wilda, Strafrecht S 173, 2, wo Gunnar dem Njal, der die
Busse für den Tod Sigmunds anbietet, erwidert, dieser sei schon lange gebüsst
gewesen.
8 Cap. legibus add. 818--19 c. 1, I 281.
9 Wilda, Strafrecht S 281. v. Amira, Vollstreckungsverfahren S 10; Alt-
schwed. Obligationenrecht S 142.
10 Arg. Form. Turon. 30 Zeumer S 152.

§ 21. Fehde und Buſse.
absque compositione8 die Franken. Ugildr, ogildr heiſst er im
Norden9.

Die Missethat als solche setzt aus dem Frieden, begründet die
rechtmäſsige Feindschaft des Verletzten. Der Thäter darf daher,
wenn er auf handhafter That betroffen wird, sofort getötet werden.
Auch die Tötung aus Notwehr fällt ursprünglich unter diesen Ge-
sichtspunkt10.

Die Fehde ist ein Recht des Verletzten und seiner Sippe, sie ist
das Recht, die Genugthuung im Wege der Selbsthilfe zu suchen. Die
Genugthuung, welche die Fehde sucht, ist Rache, die älteste in den
Naturtrieben des Menschen begründete Reaktion gegen das Unrecht.
Die Rache kann sofort in dem Momente geübt werden, in welchem
das Recht der Fehde entstand. Das geschieht z. B., wenn der
Thäter auf handhafter That ertappt und erschlagen wird. Der Ge-
sichtspunkt der Fehde tritt da hinter dem der Rache thatsächlich
zurück. Selbstverständlich ist auch eine Fehde denkbar, in der es
dem Beleidigten nicht gelingt, Rache zu nehmen. Andrerseits kann
aber auch Rache und zwar erlaubte Rache genommen werden, ohne
daſs ihr ein Fehderecht im eigentlichen Sinne zu Grunde liegt. Wenn
jemand eine Missethat beging, die ihm die volle Friedlosigkeit zuzog,
so konnte er wie von jedem Volksgenossen, auch vom unmittelbar
Beleidigten buſslos getötet werden. Das war dann ein Akt erlaubter
Rache, aber nicht Ausübung eines Fehderechtes.

Die Unthaten, aus welchen eine rechtmäſsige Fehde entstehen
kann, haben keinen rechtlichen Einfluſs auf die Stellung des Misse-
thäters zu seiner Sippe. Sie heben seine Zugehörigkeit zur Sippe
nicht auf. Schlieſst ihn die Sippe nicht freiwillig aus, so ist sie ver-
pflichtet, den angegriffenen Genossen zu schützen. Da andrerseits bei
dem lebhaften Gefühle enger Zusammengehörigkeit der Sippegenossen
die Verletzung des einzelnen als Verletzung seiner Sippe erscheint,
so stellt sich die altgermanische Fehde als Geschlechterfehde dar, als
ein Krieg zwischen zwei feindlichen Sippen, dessen Ausgang die Ge-
samtheit der unbeteiligten Volksgenossen mit verschränkten Armen

.. repotit sibi duas partes pretii de conpositionem suam .. Vgl. auch die Episode
aus der Njálssaga bei Wilda, Strafrecht S 173, 2, wo Gunnar dem Njál, der die
Buſse für den Tod Sigmunds anbietet, erwidert, dieser sei schon lange gebüſst
gewesen.
8 Cap. legibus add. 818—19 c. 1, I 281.
9 Wilda, Strafrecht S 281. v. Amira, Vollstreckungsverfahren S 10; Alt-
schwed. Obligationenrecht S 142.
10 Arg. Form. Turon. 30 Zeumer S 152.
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[158/0176] § 21. Fehde und Buſse. absque compositione 8 die Franken. Ugildr, ogildr heiſst er im Norden 9. Die Missethat als solche setzt aus dem Frieden, begründet die rechtmäſsige Feindschaft des Verletzten. Der Thäter darf daher, wenn er auf handhafter That betroffen wird, sofort getötet werden. Auch die Tötung aus Notwehr fällt ursprünglich unter diesen Ge- sichtspunkt 10. Die Fehde ist ein Recht des Verletzten und seiner Sippe, sie ist das Recht, die Genugthuung im Wege der Selbsthilfe zu suchen. Die Genugthuung, welche die Fehde sucht, ist Rache, die älteste in den Naturtrieben des Menschen begründete Reaktion gegen das Unrecht. Die Rache kann sofort in dem Momente geübt werden, in welchem das Recht der Fehde entstand. Das geschieht z. B., wenn der Thäter auf handhafter That ertappt und erschlagen wird. Der Ge- sichtspunkt der Fehde tritt da hinter dem der Rache thatsächlich zurück. Selbstverständlich ist auch eine Fehde denkbar, in der es dem Beleidigten nicht gelingt, Rache zu nehmen. Andrerseits kann aber auch Rache und zwar erlaubte Rache genommen werden, ohne daſs ihr ein Fehderecht im eigentlichen Sinne zu Grunde liegt. Wenn jemand eine Missethat beging, die ihm die volle Friedlosigkeit zuzog, so konnte er wie von jedem Volksgenossen, auch vom unmittelbar Beleidigten buſslos getötet werden. Das war dann ein Akt erlaubter Rache, aber nicht Ausübung eines Fehderechtes. Die Unthaten, aus welchen eine rechtmäſsige Fehde entstehen kann, haben keinen rechtlichen Einfluſs auf die Stellung des Misse- thäters zu seiner Sippe. Sie heben seine Zugehörigkeit zur Sippe nicht auf. Schlieſst ihn die Sippe nicht freiwillig aus, so ist sie ver- pflichtet, den angegriffenen Genossen zu schützen. Da andrerseits bei dem lebhaften Gefühle enger Zusammengehörigkeit der Sippegenossen die Verletzung des einzelnen als Verletzung seiner Sippe erscheint, so stellt sich die altgermanische Fehde als Geschlechterfehde dar, als ein Krieg zwischen zwei feindlichen Sippen, dessen Ausgang die Ge- samtheit der unbeteiligten Volksgenossen mit verschränkten Armen 7 8 Cap. legibus add. 818—19 c. 1, I 281. 9 Wilda, Strafrecht S 281. v. Amira, Vollstreckungsverfahren S 10; Alt- schwed. Obligationenrecht S 142. 10 Arg. Form. Turon. 30 Zeumer S 152. 7 .. repotit sibi duas partes pretii de conpositionem suam .. Vgl. auch die Episode aus der Njálssaga bei Wilda, Strafrecht S 173, 2, wo Gunnar dem Njál, der die Buſse für den Tod Sigmunds anbietet, erwidert, dieser sei schon lange gebüſst gewesen.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/176>, abgerufen am 28.04.2024.