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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 22. Friedlosigkeit und Opfertod.
oder dem Richter und seinen Organen oder jenem und diesen vor-
behält 38.

Vereinzelte Rechtsgrundsätze, welche die Quellen der fränkischen
Zeit für die Todesstrafe aufstellen, weisen darauf hin, dass sie aus
der Friedlosigkeit ihren Ursprung genommen habe. Wie die Fried-
losigkeit kann die Todesstrafe gegen Geldzahlung erlassen werden.
Verbrechen, die sonst durch compositio gesühnt werden dürfen, wer-
den im Fall der handhaften That mit dem Tode bestraft 39. Wie mit
der Friedloslegung ist auch mit dem Todesurteil nach fränkischem
Rechte die Konfiskation des Vermögens verbunden 40. Laut einer
jüngeren, aber durchaus glaubwürdigen Nachricht musste nach frän-
kischem Rechte der Aberkennung des Lebens die utlagatio voraus-
gehen 41. Wo später von Todesstrafen die Rede ist, werden sie nicht
selten unter Ausdrücken erwähnt, welche sie als Vollstreckung der
Friedlosigkeit erscheinen lassen 42. Auf engen Zusammenhang zwischen

festenden Gerichtes den gemeinen Frieden und hat die Bedeutung eines provisori-
schen Todesurteils. Planck, Gerichtsverf. II 299. 300.
38 Brieler Rechtsbuch, ed. Fruin S 188. Jüt. Low II 22. Frostuthingsl. III 9.
39 Mit Recht bemerkt K. Maurer, KrÜ III 56 Anm 5, dass dieses Vor-
kommnis sich unter der Voraussetzung einer Ableitung der Todesstrafe aus früherer
Friedlosigkeit, aber auch nur unter dieser Voraussetzung leicht erklärt. S. noch
K. Maurer, KrV XVI 90.
40 Cap. Sal. I c. 6 (Hessels Tit. 71): morte damnentur et res ipsorum
fiscus adquirat. Cap. Aquisgr. v. J. 809, I 148: de illis hominibus, qui propter eorum
culpas ad mortem diiudicati fuerint et postea vita eis fuerit concessa .. c. 1: nullam
potest facere repetitionem, quia omnes res suae secundum iudicium Francorum in
publico fuerunt vocatae. Lex Rib. 69: de vita conponat et omnes res suas fisco cen-
seantur. Dagegen (eine Neuerung im Verhältnis zum älteren Rechte) Rib. 79: omnes
res suas heredes possedeant.
41 Wenn es im Ssp Landr. III 54 § 4 heisst, der Franke könne sein Leben
nicht verwirken, er werde denn auf handhafter That gefangen oder es sei ihm sein
fränkisch Recht "verdelet", so wird damit eben nur betont, dass die Verhängung
der Todesstrafe die Friedlosigkeit voraussetzt, welche im Fall der handhaften That
ipso iure eintritt, sonst aber ausdrücklich ausgesprochen werden muss.
42 Gawargjan dauthau heisst bei den Goten zum Tod verurteilen. Waragtreo
der Galgen. S. oben Anm 10. Ags. vearg, der zum Galgen und der zur Acht ver-
urteilte Missethäter. Von dem Frauenräuber sagt die Decretio Childeberti c. 4,
I 16: vitae periculum feriatur. Jedermann verfolge ihn als einen Feind Gottes.
Der Graf des Gaues, in welchem die That begangen wurde, töte ihn und er liege
busslos. Erreicht der Entführer mit der freiwillig Entführten das Asyl einer Kirche,
so sollen beide exiliert, also die Friedlosigkeit durch Verbannung, nicht durch
Tötung vollstreckt werden. Marculf II 16: unde (wegen Frauenraub) vitae peri-
culum incurrere debui; sed intervenientes sacerdotes vel bonis hominibus vitam
obtenui. Vgl. noch Lindenbrog Form. 16. 20 Zeumer S 277. 281.

§ 22. Friedlosigkeit und Opfertod.
oder dem Richter und seinen Organen oder jenem und diesen vor-
behält 38.

Vereinzelte Rechtsgrundsätze, welche die Quellen der fränkischen
Zeit für die Todesstrafe aufstellen, weisen darauf hin, daſs sie aus
der Friedlosigkeit ihren Ursprung genommen habe. Wie die Fried-
losigkeit kann die Todesstrafe gegen Geldzahlung erlassen werden.
Verbrechen, die sonst durch compositio gesühnt werden dürfen, wer-
den im Fall der handhaften That mit dem Tode bestraft 39. Wie mit
der Friedloslegung ist auch mit dem Todesurteil nach fränkischem
Rechte die Konfiskation des Vermögens verbunden 40. Laut einer
jüngeren, aber durchaus glaubwürdigen Nachricht muſste nach frän-
kischem Rechte der Aberkennung des Lebens die utlagatio voraus-
gehen 41. Wo später von Todesstrafen die Rede ist, werden sie nicht
selten unter Ausdrücken erwähnt, welche sie als Vollstreckung der
Friedlosigkeit erscheinen lassen 42. Auf engen Zusammenhang zwischen

festenden Gerichtes den gemeinen Frieden und hat die Bedeutung eines provisori-
schen Todesurteils. Planck, Gerichtsverf. II 299. 300.
38 Brieler Rechtsbuch, ed. Fruin S 188. Jüt. Low II 22. Frostuþíngsl. III 9.
39 Mit Recht bemerkt K. Maurer, KrÜ III 56 Anm 5, daſs dieses Vor-
kommnis sich unter der Voraussetzung einer Ableitung der Todesstrafe aus früherer
Friedlosigkeit, aber auch nur unter dieser Voraussetzung leicht erklärt. S. noch
K. Maurer, KrV XVI 90.
40 Cap. Sal. I c. 6 (Hessels Tit. 71): morte damnentur et res ipsorum
fiscus adquirat. Cap. Aquisgr. v. J. 809, I 148: de illis hominibus, qui propter eorum
culpas ad mortem diiudicati fuerint et postea vita eis fuerit concessa .. c. 1: nullam
potest facere repetitionem, quia omnes res suae secundum iudicium Francorum in
publico fuerunt vocatae. Lex Rib. 69: de vita conponat et omnes res suas fisco cen-
seantur. Dagegen (eine Neuerung im Verhältnis zum älteren Rechte) Rib. 79: omnes
res suas heredes possedeant.
41 Wenn es im Ssp Landr. III 54 § 4 heiſst, der Franke könne sein Leben
nicht verwirken, er werde denn auf handhafter That gefangen oder es sei ihm sein
fränkisch Recht „verdelet“, so wird damit eben nur betont, daſs die Verhängung
der Todesstrafe die Friedlosigkeit voraussetzt, welche im Fall der handhaften That
ipso iure eintritt, sonst aber ausdrücklich ausgesprochen werden muſs.
42 Gawargjan dauþau heiſst bei den Goten zum Tod verurteilen. Waragtreo
der Galgen. S. oben Anm 10. Ags. vearg, der zum Galgen und der zur Acht ver-
urteilte Missethäter. Von dem Frauenräuber sagt die Decretio Childeberti c. 4,
I 16: vitae periculum feriatur. Jedermann verfolge ihn als einen Feind Gottes.
Der Graf des Gaues, in welchem die That begangen wurde, töte ihn und er liege
buſslos. Erreicht der Entführer mit der freiwillig Entführten das Asyl einer Kirche,
so sollen beide exiliert, also die Friedlosigkeit durch Verbannung, nicht durch
Tötung vollstreckt werden. Marculf II 16: unde (wegen Frauenraub) vitae peri-
culum incurrere debui; sed intervenientes sacerdotes vel bonis hominibus vitam
obtenui. Vgl. noch Lindenbrog Form. 16. 20 Zeumer S 277. 281.
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[174/0192] § 22. Friedlosigkeit und Opfertod. oder dem Richter und seinen Organen oder jenem und diesen vor- behält 38. Vereinzelte Rechtsgrundsätze, welche die Quellen der fränkischen Zeit für die Todesstrafe aufstellen, weisen darauf hin, daſs sie aus der Friedlosigkeit ihren Ursprung genommen habe. Wie die Fried- losigkeit kann die Todesstrafe gegen Geldzahlung erlassen werden. Verbrechen, die sonst durch compositio gesühnt werden dürfen, wer- den im Fall der handhaften That mit dem Tode bestraft 39. Wie mit der Friedloslegung ist auch mit dem Todesurteil nach fränkischem Rechte die Konfiskation des Vermögens verbunden 40. Laut einer jüngeren, aber durchaus glaubwürdigen Nachricht muſste nach frän- kischem Rechte der Aberkennung des Lebens die utlagatio voraus- gehen 41. Wo später von Todesstrafen die Rede ist, werden sie nicht selten unter Ausdrücken erwähnt, welche sie als Vollstreckung der Friedlosigkeit erscheinen lassen 42. Auf engen Zusammenhang zwischen 37 38 Brieler Rechtsbuch, ed. Fruin S 188. Jüt. Low II 22. Frostuþíngsl. III 9. 39 Mit Recht bemerkt K. Maurer, KrÜ III 56 Anm 5, daſs dieses Vor- kommnis sich unter der Voraussetzung einer Ableitung der Todesstrafe aus früherer Friedlosigkeit, aber auch nur unter dieser Voraussetzung leicht erklärt. S. noch K. Maurer, KrV XVI 90. 40 Cap. Sal. I c. 6 (Hessels Tit. 71): morte damnentur et res ipsorum fiscus adquirat. Cap. Aquisgr. v. J. 809, I 148: de illis hominibus, qui propter eorum culpas ad mortem diiudicati fuerint et postea vita eis fuerit concessa .. c. 1: nullam potest facere repetitionem, quia omnes res suae secundum iudicium Francorum in publico fuerunt vocatae. Lex Rib. 69: de vita conponat et omnes res suas fisco cen- seantur. Dagegen (eine Neuerung im Verhältnis zum älteren Rechte) Rib. 79: omnes res suas heredes possedeant. 41 Wenn es im Ssp Landr. III 54 § 4 heiſst, der Franke könne sein Leben nicht verwirken, er werde denn auf handhafter That gefangen oder es sei ihm sein fränkisch Recht „verdelet“, so wird damit eben nur betont, daſs die Verhängung der Todesstrafe die Friedlosigkeit voraussetzt, welche im Fall der handhaften That ipso iure eintritt, sonst aber ausdrücklich ausgesprochen werden muſs. 42 Gawargjan dauþau heiſst bei den Goten zum Tod verurteilen. Waragtreo der Galgen. S. oben Anm 10. Ags. vearg, der zum Galgen und der zur Acht ver- urteilte Missethäter. Von dem Frauenräuber sagt die Decretio Childeberti c. 4, I 16: vitae periculum feriatur. Jedermann verfolge ihn als einen Feind Gottes. Der Graf des Gaues, in welchem die That begangen wurde, töte ihn und er liege buſslos. Erreicht der Entführer mit der freiwillig Entführten das Asyl einer Kirche, so sollen beide exiliert, also die Friedlosigkeit durch Verbannung, nicht durch Tötung vollstreckt werden. Marculf II 16: unde (wegen Frauenraub) vitae peri- culum incurrere debui; sed intervenientes sacerdotes vel bonis hominibus vitam obtenui. Vgl. noch Lindenbrog Form. 16. 20 Zeumer S 277. 281. 37 festenden Gerichtes den gemeinen Frieden und hat die Bedeutung eines provisori- schen Todesurteils. Planck, Gerichtsverf. II 299. 300.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/192>, abgerufen am 28.04.2024.