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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 30. Die Knechte.
eines rechtlich unteilbaren Wirtschafts- und Vermögenskomplexes an-
genommen. Der Knecht konnte nicht mehr ohne die Hufe, die Hufe
nicht mehr ohne den Knecht veräussert werden. Rechtlich gelangt
diese Veränderung darin zum Ausdruck, dass die servi casati seit der
zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts zu den Immobilien gezählt
und nach den Grundsätzen des Immobiliarrechtes behandelt werden,
während die übrigen mancipia noch für Mobilien gelten. Die Ver-
folgung des Eigentums an Knechten jener Art geschieht nicht mehr
in den Formen der Vindikation von Mobilien, sondern wird wie ein
Rechtsstreit um Grundstücke durchgeführt 11. Die Prozesse um Eigen-
leute sind ebenso wie die um Grundstücke der Gerichtsbarkeit des
Grafen vorbehalten 12. Eine fränkische Rechtsquelle des neunten
Jahrhunderts stellt die mancipia und ihr peculium unter die Grund-
sätze des Immobiliarerbrechtes 13. Seit dieser Zeit wird auch die
Übereignung von servi casati in den Formen der Übereignung von
Grundstücken vorgenommen 14. Als Karl der Grosse 806 sein Reich
unter seine drei Söhne teilte, verbot er ihnen, in dem Teilreiche
eines Bruders unbewegliche Güter zu erwerben, indem er als solche
auch die servi casati bezeichnete, wogegen er die mancipia non casata
von diesem Verbote ausdrücklich ausnahm 15. Die Immobilisierung

und Gratians, Cod. Just. XI 48, 7 bestimmt: quemadmodum originarios absque
terra, ita rusticos censitosque servos vendi omnifariam non licet.
11 Form. Sal. Merkel. 30, Zeumer S 252. Siehe Sohm, Reichs- und
Gerichtsverfassung S 421 Anm 96.
12 Cap. miss. Aquisgr. sec. v. J. 810 c. 15, I 154. Cap. de iustitiis faciendis
von 811--813 c. 4, I 176.
13 Lex Chamav. 42: si quis Francus homo habuerit filios, hereditatem suam
de sylva et de terra eis dimittat et de mancipiis et de peculio.
14 Lex Rom. Curiensis VIII 5: der Schenker soll in die Schenkungsurkunde
einschreiben lassen ipsam facultatem, quam donat sive in terris vel domo aut man-
cipiis, qui (al. quia) immobilia sunt et gestis ligare debet. In einem Rechtsstreit
um Eigenleute, der 880--881 vor dem Grafen von Angouleme in den Formen des
Immobiliarprozesses durchgeführt wurde, wird der siegreiche Kläger mit den
Knechten, die das Streitobjekt bildeten, vom Beklagten investiert: tunc cum wadio
predicto preposito mancipia restituit cum sua lege et in omnibus vestituram
dedit. Holder-Egger, Notizen von S. Eparch, NA d. Gesellsch. f. ält. deutsche
Geschichtsk. VII 634 f.
15 Divisio v. J. 806 c. 11, Cap. I 129: ut nullus ex his tribus fratribus suscipiat
de regno alterius a quolibet homine traditionem vel venditionem rerum immobilium,
hoc est terrarum, vinearum atque silvarum servorumque qui iam casati sunt, sive
ceterarum rerum quae hereditatis nomine censentur excepto auro, argento et gemmis,
armis ac vestibus nec non et mancipiis non casatis et his speciebus, quae proprie
ad negotiatores pertinere noscuntur.

§ 30. Die Knechte.
eines rechtlich unteilbaren Wirtschafts- und Vermögenskomplexes an-
genommen. Der Knecht konnte nicht mehr ohne die Hufe, die Hufe
nicht mehr ohne den Knecht veräuſsert werden. Rechtlich gelangt
diese Veränderung darin zum Ausdruck, daſs die servi casati seit der
zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts zu den Immobilien gezählt
und nach den Grundsätzen des Immobiliarrechtes behandelt werden,
während die übrigen mancipia noch für Mobilien gelten. Die Ver-
folgung des Eigentums an Knechten jener Art geschieht nicht mehr
in den Formen der Vindikation von Mobilien, sondern wird wie ein
Rechtsstreit um Grundstücke durchgeführt 11. Die Prozesse um Eigen-
leute sind ebenso wie die um Grundstücke der Gerichtsbarkeit des
Grafen vorbehalten 12. Eine fränkische Rechtsquelle des neunten
Jahrhunderts stellt die mancipia und ihr peculium unter die Grund-
sätze des Immobiliarerbrechtes 13. Seit dieser Zeit wird auch die
Übereignung von servi casati in den Formen der Übereignung von
Grundstücken vorgenommen 14. Als Karl der Groſse 806 sein Reich
unter seine drei Söhne teilte, verbot er ihnen, in dem Teilreiche
eines Bruders unbewegliche Güter zu erwerben, indem er als solche
auch die servi casati bezeichnete, wogegen er die mancipia non casata
von diesem Verbote ausdrücklich ausnahm 15. Die Immobilisierung

und Gratians, Cod. Just. XI 48, 7 bestimmt: quemadmodum originarios absque
terra, ita rusticos censitosque servos vendi omnifariam non licet.
11 Form. Sal. Merkel. 30, Zeumer S 252. Siehe Sohm, Reichs- und
Gerichtsverfassung S 421 Anm 96.
12 Cap. miss. Aquisgr. sec. v. J. 810 c. 15, I 154. Cap. de iustitiis faciendis
von 811—813 c. 4, I 176.
13 Lex Chamav. 42: si quis Francus homo habuerit filios, hereditatem suam
de sylva et de terra eis dimittat et de mancipiis et de peculio.
14 Lex Rom. Curiensis VIII 5: der Schenker soll in die Schenkungsurkunde
einschreiben lassen ipsam facultatem, quam donat sive in terris vel domo aut man-
cipiis, qui (al. quia) immobilia sunt et gestis ligare debet. In einem Rechtsstreit
um Eigenleute, der 880—881 vor dem Grafen von Angoulême in den Formen des
Immobiliarprozesses durchgeführt wurde, wird der siegreiche Kläger mit den
Knechten, die das Streitobjekt bildeten, vom Beklagten investiert: tunc cum wadio
predicto preposito mancipia restituit cum sua lege et in omnibus vestituram
dedit. Holder-Egger, Notizen von S. Eparch, NA d. Gesellsch. f. ält. deutsche
Geschichtsk. VII 634 f.
15 Divisio v. J. 806 c. 11, Cap. I 129: ut nullus ex his tribus fratribus suscipiat
de regno alterius a quolibet homine traditionem vel venditionem rerum immobilium,
hoc est terrarum, vinearum atque silvarum servorumque qui iam casati sunt, sive
ceterarum rerum quae hereditatis nomine censentur excepto auro, argento et gemmis,
armis ac vestibus nec non et mancipiis non casatis et his speciebus, quae proprie
ad negotiatores pertinere noscuntur.
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[233/0251] § 30. Die Knechte. eines rechtlich unteilbaren Wirtschafts- und Vermögenskomplexes an- genommen. Der Knecht konnte nicht mehr ohne die Hufe, die Hufe nicht mehr ohne den Knecht veräuſsert werden. Rechtlich gelangt diese Veränderung darin zum Ausdruck, daſs die servi casati seit der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts zu den Immobilien gezählt und nach den Grundsätzen des Immobiliarrechtes behandelt werden, während die übrigen mancipia noch für Mobilien gelten. Die Ver- folgung des Eigentums an Knechten jener Art geschieht nicht mehr in den Formen der Vindikation von Mobilien, sondern wird wie ein Rechtsstreit um Grundstücke durchgeführt 11. Die Prozesse um Eigen- leute sind ebenso wie die um Grundstücke der Gerichtsbarkeit des Grafen vorbehalten 12. Eine fränkische Rechtsquelle des neunten Jahrhunderts stellt die mancipia und ihr peculium unter die Grund- sätze des Immobiliarerbrechtes 13. Seit dieser Zeit wird auch die Übereignung von servi casati in den Formen der Übereignung von Grundstücken vorgenommen 14. Als Karl der Groſse 806 sein Reich unter seine drei Söhne teilte, verbot er ihnen, in dem Teilreiche eines Bruders unbewegliche Güter zu erwerben, indem er als solche auch die servi casati bezeichnete, wogegen er die mancipia non casata von diesem Verbote ausdrücklich ausnahm 15. Die Immobilisierung 10 11 Form. Sal. Merkel. 30, Zeumer S 252. Siehe Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung S 421 Anm 96. 12 Cap. miss. Aquisgr. sec. v. J. 810 c. 15, I 154. Cap. de iustitiis faciendis von 811—813 c. 4, I 176. 13 Lex Chamav. 42: si quis Francus homo habuerit filios, hereditatem suam de sylva et de terra eis dimittat et de mancipiis et de peculio. 14 Lex Rom. Curiensis VIII 5: der Schenker soll in die Schenkungsurkunde einschreiben lassen ipsam facultatem, quam donat sive in terris vel domo aut man- cipiis, qui (al. quia) immobilia sunt et gestis ligare debet. In einem Rechtsstreit um Eigenleute, der 880—881 vor dem Grafen von Angoulême in den Formen des Immobiliarprozesses durchgeführt wurde, wird der siegreiche Kläger mit den Knechten, die das Streitobjekt bildeten, vom Beklagten investiert: tunc cum wadio predicto preposito mancipia restituit cum sua lege et in omnibus vestituram dedit. Holder-Egger, Notizen von S. Eparch, NA d. Gesellsch. f. ält. deutsche Geschichtsk. VII 634 f. 15 Divisio v. J. 806 c. 11, Cap. I 129: ut nullus ex his tribus fratribus suscipiat de regno alterius a quolibet homine traditionem vel venditionem rerum immobilium, hoc est terrarum, vinearum atque silvarum servorumque qui iam casati sunt, sive ceterarum rerum quae hereditatis nomine censentur excepto auro, argento et gemmis, armis ac vestibus nec non et mancipiis non casatis et his speciebus, quae proprie ad negotiatores pertinere noscuntur. 10 und Gratians, Cod. Just. XI 48, 7 bestimmt: quemadmodum originarios absque terra, ita rusticos censitosque servos vendi omnifariam non licet.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/251>, abgerufen am 03.05.2024.