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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 30. Die Knechte.
der angesiedelten Knechte hat in Neustrien begonnen und zunächst
das fränkische Rechtsgebiet ergriffen. Im sächsischen und im thüringi-
schen Rechte gelten zur Zeit Karls des Grossen die mancipia noch
schlechtweg für Fahrhabe 16.

Eine höher stehende Klasse von Knechten waren ferner die
Diener, welche den Dienst um die Person des Herrn versahen oder
zur Führung des Haushaltes verwendet wurden. Sie hiessen in
merowingischer Zeit famuli, pueri 17, vassi 18, vassalli 19, vassi ad
ministerium 20 oder ministeriales 21. Das Wort vassus, vermutlich aus
dem Keltischen stammend 22, hat in der karolingischen Zeit eine ge-
steigerte Bedeutung gewonnen; es bezeichnet nunmehr vorzugsweise
freie Leute, die in ein Dienstverhältnis höherer Ordnung eingetreten
waren. Dagegen hat der Name der Ministerialen, obwohl ihn die
fränkischen Quellen auch in anderem Sinne gebrauchen 23, als Standes-
name die vorwiegende Beziehung auf Unfreie höheren Ranges bei-
behalten, so dass er später für sie technisch geworden ist. Sie haben

16 Lex Sax. 62: nulli liceat traditionem hereditatis suae facere ... mancipia
liceat illi dare ac vendere. Lex Angl. et Werin. 33: sorori pecuniam ac mancipia,
proximo vero paterni generis terram relinquat.
17 Bei Gregor von Tours und in Urkunden. Waitz, VG II 1 S 222 Anm 1.
18 Lex Alam. 81, 3; Marculf II 17.
19 Zeuss, Trad. Wiz. Nr 17 S 25, Nr 52 S 54. Pardessus, Dipl. II 284 Nr 476.
20 Lex Sal. 10. Mit Rücksicht auf die veränderte Bedeutung haben die jün-
geren Texte das Wort getilgt. Der Heroldsche Text ersetzt es durch die Auf-
zählung der Hausämter.
21 Lex Burg. 10, 1. Recapitulatio legis Sal. A 11. 15. 21. 22. Edictus Roth. 76:
de haldius et servus menisteriales. De illos uero menisteriales dicimus, qui docti
domui nutriti aut probati sunt; 131: de alio uero minesteriale, qui secundus ei
inuenitur, tamen nomen minesteriale habet ...
22 Vassus wird fast insgemein aus dem keltischen gwas, junger Mann, Diener,
famulus hergeleitet. Die romanische Form vassallus scheint durch Anlehnung an
das keltische Adjektiv gwasawl, dienend entstanden zu sein. Von dem Diminutivum
vaseletus stammt das französische valet. Diez, WB I s. v. vassallo. Verunglückte
Herleitungen aus Geselle, Gast, Geisel, vadium sind aufgezählt bei Deloche, La
trustis et l'antrustion, 1873, S 255. Ein niederdeutsches wassen mit der Be-
deutung ligare, worauf Deloche im Anschluss an Gryphiander verweist, ist bei
Schiller und Lübben, Mnd. WB nicht bezeugt.
23 So heissen auch Unfreie, die auf den Landgütern des Herrn das Amt eines
maior, decanus, cellerarius oder sonst ein officium versehen. Guerard I 599.
Auch Freie, die ein Staats- oder Hausamt (ministerium) bekleiden, werden mi-
nisteriales genannt. Als unfreie Ministerialen sind dagegen der miles in Lex Sal.
Hessels 79, 2 und die militunia a. O. 72, 3; 76, 9 aufzufassen. Der miles in
79, 2 entspricht dem puer in 42, 4 und Extrav. A VI 2. Über miles in der Be-
deutung officialis s. Brunner, RG der Urk. S 257.

§ 30. Die Knechte.
der angesiedelten Knechte hat in Neustrien begonnen und zunächst
das fränkische Rechtsgebiet ergriffen. Im sächsischen und im thüringi-
schen Rechte gelten zur Zeit Karls des Groſsen die mancipia noch
schlechtweg für Fahrhabe 16.

Eine höher stehende Klasse von Knechten waren ferner die
Diener, welche den Dienst um die Person des Herrn versahen oder
zur Führung des Haushaltes verwendet wurden. Sie hieſsen in
merowingischer Zeit famuli, pueri 17, vassi 18, vassalli 19, vassi ad
ministerium 20 oder ministeriales 21. Das Wort vassus, vermutlich aus
dem Keltischen stammend 22, hat in der karolingischen Zeit eine ge-
steigerte Bedeutung gewonnen; es bezeichnet nunmehr vorzugsweise
freie Leute, die in ein Dienstverhältnis höherer Ordnung eingetreten
waren. Dagegen hat der Name der Ministerialen, obwohl ihn die
fränkischen Quellen auch in anderem Sinne gebrauchen 23, als Standes-
name die vorwiegende Beziehung auf Unfreie höheren Ranges bei-
behalten, so daſs er später für sie technisch geworden ist. Sie haben

16 Lex Sax. 62: nulli liceat traditionem hereditatis suae facere … mancipia
liceat illi dare ac vendere. Lex Angl. et Werin. 33: sorori pecuniam ac mancipia,
proximo vero paterni generis terram relinquat.
17 Bei Gregor von Tours und in Urkunden. Waitz, VG II 1 S 222 Anm 1.
18 Lex Alam. 81, 3; Marculf II 17.
19 Zeuſs, Trad. Wiz. Nr 17 S 25, Nr 52 S 54. Pardessus, Dipl. II 284 Nr 476.
20 Lex Sal. 10. Mit Rücksicht auf die veränderte Bedeutung haben die jün-
geren Texte das Wort getilgt. Der Heroldsche Text ersetzt es durch die Auf-
zählung der Hausämter.
21 Lex Burg. 10, 1. Recapitulatio legis Sal. A 11. 15. 21. 22. Edictus Roth. 76:
de haldius et servus menisteriales. De illos uero menisteriales dicimus, qui docti
domui nutriti aut probati sunt; 131: de alio uero minesteriale, qui secundus ei
inuenitur, tamen nomen minesteriale habet …
22 Vassus wird fast insgemein aus dem keltischen gwâs, junger Mann, Diener,
famulus hergeleitet. Die romanische Form vassallus scheint durch Anlehnung an
das keltische Adjektiv gwasawl, dienend entstanden zu sein. Von dem Diminutivum
vaseletus stammt das französische valet. Diez, WB I s. v. vassallo. Verunglückte
Herleitungen aus Geselle, Gast, Geisel, vadium sind aufgezählt bei Deloche, La
trustis et l’antrustion, 1873, S 255. Ein niederdeutsches wassen mit der Be-
deutung ligare, worauf Deloche im Anschluſs an Gryphiander verweist, ist bei
Schiller und Lübben, Mnd. WB nicht bezeugt.
23 So heiſsen auch Unfreie, die auf den Landgütern des Herrn das Amt eines
maior, decanus, cellerarius oder sonst ein officium versehen. Guérard I 599.
Auch Freie, die ein Staats- oder Hausamt (ministerium) bekleiden, werden mi-
nisteriales genannt. Als unfreie Ministerialen sind dagegen der miles in Lex Sal.
Hessels 79, 2 und die militunia a. O. 72, 3; 76, 9 aufzufassen. Der miles in
79, 2 entspricht dem puer in 42, 4 und Extrav. A VI 2. Über miles in der Be-
deutung officialis s. Brunner, RG der Urk. S 257.
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[234/0252] § 30. Die Knechte. der angesiedelten Knechte hat in Neustrien begonnen und zunächst das fränkische Rechtsgebiet ergriffen. Im sächsischen und im thüringi- schen Rechte gelten zur Zeit Karls des Groſsen die mancipia noch schlechtweg für Fahrhabe 16. Eine höher stehende Klasse von Knechten waren ferner die Diener, welche den Dienst um die Person des Herrn versahen oder zur Führung des Haushaltes verwendet wurden. Sie hieſsen in merowingischer Zeit famuli, pueri 17, vassi 18, vassalli 19, vassi ad ministerium 20 oder ministeriales 21. Das Wort vassus, vermutlich aus dem Keltischen stammend 22, hat in der karolingischen Zeit eine ge- steigerte Bedeutung gewonnen; es bezeichnet nunmehr vorzugsweise freie Leute, die in ein Dienstverhältnis höherer Ordnung eingetreten waren. Dagegen hat der Name der Ministerialen, obwohl ihn die fränkischen Quellen auch in anderem Sinne gebrauchen 23, als Standes- name die vorwiegende Beziehung auf Unfreie höheren Ranges bei- behalten, so daſs er später für sie technisch geworden ist. Sie haben 16 Lex Sax. 62: nulli liceat traditionem hereditatis suae facere … mancipia liceat illi dare ac vendere. Lex Angl. et Werin. 33: sorori pecuniam ac mancipia, proximo vero paterni generis terram relinquat. 17 Bei Gregor von Tours und in Urkunden. Waitz, VG II 1 S 222 Anm 1. 18 Lex Alam. 81, 3; Marculf II 17. 19 Zeuſs, Trad. Wiz. Nr 17 S 25, Nr 52 S 54. Pardessus, Dipl. II 284 Nr 476. 20 Lex Sal. 10. Mit Rücksicht auf die veränderte Bedeutung haben die jün- geren Texte das Wort getilgt. Der Heroldsche Text ersetzt es durch die Auf- zählung der Hausämter. 21 Lex Burg. 10, 1. Recapitulatio legis Sal. A 11. 15. 21. 22. Edictus Roth. 76: de haldius et servus menisteriales. De illos uero menisteriales dicimus, qui docti domui nutriti aut probati sunt; 131: de alio uero minesteriale, qui secundus ei inuenitur, tamen nomen minesteriale habet … 22 Vassus wird fast insgemein aus dem keltischen gwâs, junger Mann, Diener, famulus hergeleitet. Die romanische Form vassallus scheint durch Anlehnung an das keltische Adjektiv gwasawl, dienend entstanden zu sein. Von dem Diminutivum vaseletus stammt das französische valet. Diez, WB I s. v. vassallo. Verunglückte Herleitungen aus Geselle, Gast, Geisel, vadium sind aufgezählt bei Deloche, La trustis et l’antrustion, 1873, S 255. Ein niederdeutsches wassen mit der Be- deutung ligare, worauf Deloche im Anschluſs an Gryphiander verweist, ist bei Schiller und Lübben, Mnd. WB nicht bezeugt. 23 So heiſsen auch Unfreie, die auf den Landgütern des Herrn das Amt eines maior, decanus, cellerarius oder sonst ein officium versehen. Guérard I 599. Auch Freie, die ein Staats- oder Hausamt (ministerium) bekleiden, werden mi- nisteriales genannt. Als unfreie Ministerialen sind dagegen der miles in Lex Sal. Hessels 79, 2 und die militunia a. O. 72, 3; 76, 9 aufzufassen. Der miles in 79, 2 entspricht dem puer in 42, 4 und Extrav. A VI 2. Über miles in der Be- deutung officialis s. Brunner, RG der Urk. S 257.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/252>, abgerufen am 13.05.2024.