Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 30. Die Knechte.
ein höheres Wergeld als gewöhnliche Knechte; es reicht fast an das
Litenwergeld hinan oder steht ihm gleich 24. Zu den Ministerialen
werden insbesondere die Inhaber der Hausämter gerechnet, deren es
in den vornehmeren und grösseren Haushaltungen regelmässig vier
gab, nämlich für den Keller, für den Schatz, für den Stall und für
die Tafel. Nach ihnen führen der Schenke, der Kämmerer, der
Marschall 25 und der spätere Truchsess 26 den Namen. Einer derselben
hatte die Oberaufsicht über das gesamte Hauswesen und wurde maior
oder senescalcus (Altknecht) genannt 27. Am Hofe des Königs und
der Vornehmen haben auch freie Personen (dann wohl meistens
Gefolgsgenossen) diese einflussreichen Ämter versehen.

Die unfreie Dienerschaft gelangte zu militärischer Bedeutung.
Fränkische Grosse pflegten die Knechte, welche ihre persönliche Um-
gebung bildeten, schon in merowingischer Zeit mit Waffen zu versehen
und in den Waffen zu üben. Sie nahmen sie als Begleiter auf die
Heerfahrt mit oder stellten sich aus bewaffneten "pueri" ein militärisch
organisiertes Gefolge zusammen, um Handstreiche zu unternehmen
oder Fehden auszufechten 28. Einen reisigen Knecht kennt das
burgundische Gesetzbuch 29 als servus expeditionalis. Von einem
solchen setzt die älteste alamannische Rechtsaufzeichnung den Fall,
dass der Herr ihn im Heere zum Liten freilässt 30, eine Hilfsarbeit
zur Lex Salica, dass er im Heere getötet wird 31. Dieselbe Rolle
spielt vermutlich in Baiern der (servus) exercitalis 32 und der daselbst

24 Nach Lex Sal. 10, 6 im ganzen 75 solidi. Bei den Langobarden hat der
servus ministerialis gleiche Wundbusse mit dem Aldio und ein Wergeld von 50 solidi
(10 solidi weniger als das des Aldio). Der miles und die militunia stehen nach
Lex Sal. Hessels 79, 2 und 76, 9 im Wergelde dem Liten gleich.
25 Der Heroldsche Text der Lex Salica nennt 11, 6, Hessels col. 61 den
maior, infestor (infertor, Aufträger), scantio und den marescalcus. Zum scantio
(von scancjo, ahd. scenco) vgl. den gotischen comes scanciarum (Dahn, Könige VI
333) und das französische echanson, span. escanciano. Diez, WB I s. v. escanciar.
Den mariscalcus, Mährenknecht nennt auch die Lex Alam. 81. Der Kämmerer
wird in fränkischen Heiligenleben und bei Gregor als thesaurarius, gelegentlich
auch als cubicularius erwähnt. Waitz, VG II 2 S 72. 73. Ahd. Glossen Graff,
IV 402. 403, sagen dafür: kamarari, triskamarari.
26 Truhsazzo, dapifer Graff VI 304, der die Leute setzt; Kluge, WB S 350.
27 Lex Alam. 81.
28 Roth, BW S 154.
29 Lex Burg. 10, 1: servum ... (e)lectum ministerialem sive expeditionalem.
30 Pactus Alam. II 48.
31 Recap. A 22: inde ad solidos LXXV, ut si quis servum ministerialem in
oste occiserit.
32 Herzog Theodebert schenkt die villa Einhöring "et exercitales uiros" (Indi-
culus Arnonis VII 2), "cum commanentibus ibidem servis et aliis exercitalibus ho-

§ 30. Die Knechte.
ein höheres Wergeld als gewöhnliche Knechte; es reicht fast an das
Litenwergeld hinan oder steht ihm gleich 24. Zu den Ministerialen
werden insbesondere die Inhaber der Hausämter gerechnet, deren es
in den vornehmeren und gröſseren Haushaltungen regelmäſsig vier
gab, nämlich für den Keller, für den Schatz, für den Stall und für
die Tafel. Nach ihnen führen der Schenke, der Kämmerer, der
Marschall 25 und der spätere Truchseſs 26 den Namen. Einer derselben
hatte die Oberaufsicht über das gesamte Hauswesen und wurde maior
oder senescalcus (Altknecht) genannt 27. Am Hofe des Königs und
der Vornehmen haben auch freie Personen (dann wohl meistens
Gefolgsgenossen) diese einfluſsreichen Ämter versehen.

Die unfreie Dienerschaft gelangte zu militärischer Bedeutung.
Fränkische Groſse pflegten die Knechte, welche ihre persönliche Um-
gebung bildeten, schon in merowingischer Zeit mit Waffen zu versehen
und in den Waffen zu üben. Sie nahmen sie als Begleiter auf die
Heerfahrt mit oder stellten sich aus bewaffneten „pueri“ ein militärisch
organisiertes Gefolge zusammen, um Handstreiche zu unternehmen
oder Fehden auszufechten 28. Einen reisigen Knecht kennt das
burgundische Gesetzbuch 29 als servus expeditionalis. Von einem
solchen setzt die älteste alamannische Rechtsaufzeichnung den Fall,
daſs der Herr ihn im Heere zum Liten freiläſst 30, eine Hilfsarbeit
zur Lex Salica, daſs er im Heere getötet wird 31. Dieselbe Rolle
spielt vermutlich in Baiern der (servus) exercitalis 32 und der daselbst

24 Nach Lex Sal. 10, 6 im ganzen 75 solidi. Bei den Langobarden hat der
servus ministerialis gleiche Wundbuſse mit dem Aldio und ein Wergeld von 50 solidi
(10 solidi weniger als das des Aldio). Der miles und die militunia stehen nach
Lex Sal. Hessels 79, 2 und 76, 9 im Wergelde dem Liten gleich.
25 Der Heroldsche Text der Lex Salica nennt 11, 6, Hessels col. 61 den
maior, infestor (infertor, Aufträger), scantio und den marescalcus. Zum scantio
(von scancjo, ahd. scenco) vgl. den gotischen comes scanciarum (Dahn, Könige VI
333) und das französische échanson, span. escanciano. Diez, WB I s. v. escanciar.
Den mariscalcus, Mährenknecht nennt auch die Lex Alam. 81. Der Kämmerer
wird in fränkischen Heiligenleben und bei Gregor als thesaurarius, gelegentlich
auch als cubicularius erwähnt. Waitz, VG II 2 S 72. 73. Ahd. Glossen Graff,
IV 402. 403, sagen dafür: kamarari, triskamarari.
26 Truhsâzzo, dapifer Graff VI 304, der die Leute setzt; Kluge, WB S 350.
27 Lex Alam. 81.
28 Roth, BW S 154.
29 Lex Burg. 10, 1: servum … (e)lectum ministerialem sive expeditionalem.
30 Pactus Alam. II 48.
31 Recap. A 22: inde ad solidos LXXV, ut si quis servum ministerialem in
oste occiserit.
32 Herzog Theodebert schenkt die villa Einhöring „et exercitales uiros“ (Indi-
culus Arnonis VII 2), „cum commanentibus ibidem servis et aliis exercitalibus ho-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0253" n="235"/><fw place="top" type="header">§ 30. Die Knechte.</fw><lb/>
ein höheres Wergeld als gewöhnliche Knechte; es reicht fast an das<lb/>
Litenwergeld hinan oder steht ihm gleich <note place="foot" n="24">Nach Lex Sal. 10, 6 im ganzen 75 solidi. Bei den Langobarden hat der<lb/>
servus ministerialis gleiche Wundbu&#x017F;se mit dem Aldio und ein Wergeld von 50 solidi<lb/>
(10 solidi weniger als das des Aldio). Der miles und die militunia stehen nach<lb/>
Lex Sal. <hi rendition="#g">Hessels</hi> 79, 2 und 76, 9 im Wergelde dem Liten gleich.</note>. Zu den Ministerialen<lb/>
werden insbesondere die Inhaber der Hausämter gerechnet, deren es<lb/>
in den vornehmeren und grö&#x017F;seren Haushaltungen regelmä&#x017F;sig vier<lb/>
gab, nämlich für den Keller, für den Schatz, für den Stall und für<lb/>
die Tafel. Nach ihnen führen der Schenke, der Kämmerer, der<lb/>
Marschall <note place="foot" n="25">Der Heroldsche Text der Lex Salica nennt 11, 6, <hi rendition="#g">Hessels</hi> col. 61 den<lb/>
maior, infestor (infertor, Aufträger), scantio und den marescalcus. Zum scantio<lb/>
(von scancjo, ahd. scenco) vgl. den gotischen comes scanciarum (<hi rendition="#g">Dahn</hi>, Könige VI<lb/>
333) und das französische échanson, span. escanciano. <hi rendition="#g">Diez</hi>, WB I s. v. escanciar.<lb/>
Den mariscalcus, Mährenknecht nennt auch die Lex Alam. 81. Der Kämmerer<lb/>
wird in fränkischen Heiligenleben und bei Gregor als thesaurarius, gelegentlich<lb/>
auch als cubicularius erwähnt. <hi rendition="#g">Waitz</hi>, VG II 2 S 72. 73. Ahd. Glossen <hi rendition="#g">Graff</hi>,<lb/>
IV 402. 403, sagen dafür: kamarari, triskamarari.</note> und der spätere Truchse&#x017F;s <note place="foot" n="26">Truhsâzzo, dapifer <hi rendition="#g">Graff</hi> VI 304, der die Leute setzt; <hi rendition="#g">Kluge</hi>, WB S 350.</note> den Namen. Einer derselben<lb/>
hatte die Oberaufsicht über das gesamte Hauswesen und wurde maior<lb/>
oder senescalcus (Altknecht) genannt <note place="foot" n="27">Lex Alam. 81.</note>. Am Hofe des Königs und<lb/>
der Vornehmen haben auch freie Personen (dann wohl meistens<lb/>
Gefolgsgenossen) diese einflu&#x017F;sreichen Ämter versehen.</p><lb/>
            <p>Die unfreie Dienerschaft gelangte zu militärischer Bedeutung.<lb/>
Fränkische Gro&#x017F;se pflegten die Knechte, welche ihre persönliche Um-<lb/>
gebung bildeten, schon in merowingischer Zeit mit Waffen zu versehen<lb/>
und in den Waffen zu üben. Sie nahmen sie als Begleiter auf die<lb/>
Heerfahrt mit oder stellten sich aus bewaffneten &#x201E;pueri&#x201C; ein militärisch<lb/>
organisiertes Gefolge zusammen, um Handstreiche zu unternehmen<lb/>
oder Fehden auszufechten <note place="foot" n="28"><hi rendition="#g">Roth</hi>, BW S 154.</note>. Einen reisigen Knecht kennt das<lb/>
burgundische Gesetzbuch <note place="foot" n="29">Lex Burg. 10, 1: servum &#x2026; (e)lectum ministerialem sive expeditionalem.</note> als servus expeditionalis. Von einem<lb/>
solchen setzt die älteste alamannische Rechtsaufzeichnung den Fall,<lb/>
da&#x017F;s der Herr ihn im Heere zum Liten freilä&#x017F;st <note place="foot" n="30">Pactus Alam. II 48.</note>, eine Hilfsarbeit<lb/>
zur Lex Salica, da&#x017F;s er im Heere getötet wird <note place="foot" n="31">Recap. A 22: inde ad solidos LXXV, ut si quis servum ministerialem in<lb/>
oste occiserit.</note>. Dieselbe Rolle<lb/>
spielt vermutlich in Baiern der (servus) exercitalis <note xml:id="seg2pn_1_1" next="#seg2pn_1_2" place="foot" n="32">Herzog Theodebert schenkt die villa Einhöring &#x201E;et exercitales uiros&#x201C; (Indi-<lb/>
culus Arnonis VII 2), &#x201E;cum commanentibus ibidem servis et aliis exercitalibus ho-</note> und der daselbst<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[235/0253] § 30. Die Knechte. ein höheres Wergeld als gewöhnliche Knechte; es reicht fast an das Litenwergeld hinan oder steht ihm gleich 24. Zu den Ministerialen werden insbesondere die Inhaber der Hausämter gerechnet, deren es in den vornehmeren und gröſseren Haushaltungen regelmäſsig vier gab, nämlich für den Keller, für den Schatz, für den Stall und für die Tafel. Nach ihnen führen der Schenke, der Kämmerer, der Marschall 25 und der spätere Truchseſs 26 den Namen. Einer derselben hatte die Oberaufsicht über das gesamte Hauswesen und wurde maior oder senescalcus (Altknecht) genannt 27. Am Hofe des Königs und der Vornehmen haben auch freie Personen (dann wohl meistens Gefolgsgenossen) diese einfluſsreichen Ämter versehen. Die unfreie Dienerschaft gelangte zu militärischer Bedeutung. Fränkische Groſse pflegten die Knechte, welche ihre persönliche Um- gebung bildeten, schon in merowingischer Zeit mit Waffen zu versehen und in den Waffen zu üben. Sie nahmen sie als Begleiter auf die Heerfahrt mit oder stellten sich aus bewaffneten „pueri“ ein militärisch organisiertes Gefolge zusammen, um Handstreiche zu unternehmen oder Fehden auszufechten 28. Einen reisigen Knecht kennt das burgundische Gesetzbuch 29 als servus expeditionalis. Von einem solchen setzt die älteste alamannische Rechtsaufzeichnung den Fall, daſs der Herr ihn im Heere zum Liten freiläſst 30, eine Hilfsarbeit zur Lex Salica, daſs er im Heere getötet wird 31. Dieselbe Rolle spielt vermutlich in Baiern der (servus) exercitalis 32 und der daselbst 24 Nach Lex Sal. 10, 6 im ganzen 75 solidi. Bei den Langobarden hat der servus ministerialis gleiche Wundbuſse mit dem Aldio und ein Wergeld von 50 solidi (10 solidi weniger als das des Aldio). Der miles und die militunia stehen nach Lex Sal. Hessels 79, 2 und 76, 9 im Wergelde dem Liten gleich. 25 Der Heroldsche Text der Lex Salica nennt 11, 6, Hessels col. 61 den maior, infestor (infertor, Aufträger), scantio und den marescalcus. Zum scantio (von scancjo, ahd. scenco) vgl. den gotischen comes scanciarum (Dahn, Könige VI 333) und das französische échanson, span. escanciano. Diez, WB I s. v. escanciar. Den mariscalcus, Mährenknecht nennt auch die Lex Alam. 81. Der Kämmerer wird in fränkischen Heiligenleben und bei Gregor als thesaurarius, gelegentlich auch als cubicularius erwähnt. Waitz, VG II 2 S 72. 73. Ahd. Glossen Graff, IV 402. 403, sagen dafür: kamarari, triskamarari. 26 Truhsâzzo, dapifer Graff VI 304, der die Leute setzt; Kluge, WB S 350. 27 Lex Alam. 81. 28 Roth, BW S 154. 29 Lex Burg. 10, 1: servum … (e)lectum ministerialem sive expeditionalem. 30 Pactus Alam. II 48. 31 Recap. A 22: inde ad solidos LXXV, ut si quis servum ministerialem in oste occiserit. 32 Herzog Theodebert schenkt die villa Einhöring „et exercitales uiros“ (Indi- culus Arnonis VII 2), „cum commanentibus ibidem servis et aliis exercitalibus ho-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/253
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/253>, abgerufen am 12.05.2024.